Die Kälte des Regierungsgebäudes legte sich wie eine zweite Haut auf Rhun aus. Die Fenster waren geöffnet, von außerhalb traten gedämpft Gesprächen an ihn heran.
Im Inneren war fast niemand mehr. Die meisten wurden von der Mittagspause herausgelockt; die Gänge fielen dementsprechend in Leere. Jeder Schritt hallte auf dem Boden, als er zur Seite einschwenkte.
Ein Bogen nach dem anderen hatte sich durch die Wände geschlagen, führte in Räume zu den Seiten.
Das ansehnliche Gebäude verlor sich in gefährlicher Atmosphäre.Die Leibwächter hatten den Wissenschaftler in den Keller gebracht. Unter dem Regierungsgebäude -- wie auch dem Gerichtsplatz — waren kleinere Zellen versteckt, in denen Gefangene sich aufhielten und ohne Umstände befragt werden konnten.
Der Kontrast zu den hellen, strahlend weißen Gängen war bedrückend. Hinter einer Schwelle endeten die Fliesen und wurden abgelöst von grobem Gestein. Es war keine Treppe, die hinunterführte — so würde kein Architekt sie bezeichnen. Es war vielmehr eine kantige Anordnung von Hindernissen; hineingehauen in den Boden und unbeschreiblich anstrengend zu besteigen.
Hier leuchteten keine künstlichen Lichtkugeln mehr, sondern das unstete Licht von Fackeln, das durch Rhuns Bewegung aufgeschreckt wurde. Als wissen die Flammen, dass er sich nun zu einem Gefangenen — einem Straftäter — bewegen wollte, schlugen sie nach hinten; nahmen Abstand von ihm.
Einige Wachmänner beachteten ihn für einen Augenblick, ließen ihn hingegen passieren. Solange, bis er einen letzten Wachmann, unmittelbar vor dem Beginn der Zellen, passierte. Dieser sprach ihn unvermittelt an: »Bitte vergeben Sie mir, Ihnen das mitteilen zu müssen, Veu. Sie dürfen dieses Gebiet nicht betreten.«
»Ich muss mit dem Gefangenen reden.«
»Ich befürchte, das darf-«
Rhun blieb ruhig, verharrte, wo er stand. »Ich benötige lediglich Ihren Schlüssel und Ihre Brosche, um unauffällig wieder hinauszugelangen, im Fall der Fälle.« Er fasste unter seinen Mantel, holte ein Bündel Münzen hervor. »Kann ich«, begann er und zog an dem Lederriemen, der das Säckchen zusammenhielt. »Mich darauf verlassen, dass Sie sich zu dem Gespräch nicht äußern werden?« Er wippte auf die Fersen zurück, der verlockende Klang seiner Stimme verschwand. »Sie werden gehängt, wenn man erfährt, dass Sie mich haben passieren lassen. Ich habe lediglich einige Maßnahmen zu ertragen.« Rhun hielt das Geld mit einer Hand hoch. »Hm?«
»Wie viel«, brummte der Leibwächter.
»Einhundertzwanzig.«
»Einhundertsiebzig«, begann der Wächter eine Verhandlung.
Rhun brummte. »Einhundertzwanzig.«
Der Herr zog die Augenbrauen zusammen.
Rhun fügte hinzu: »Ich kann auch zu Ihrem Offizier gehen und ihm erzählen, dass Sie bestechlich sind.«
»Einhundertvierzig.« Der Wachmann entfernte die Schlüssel von seinem Gürtel, gemeinsam mit der Brosche, die seinen Revers zu klobig ausgefüllt hatte.
»Einhundertzwanzig. Nicht mehr. Deine Frau wird mir danken.« Rhun warf ihm den Beutel zu, nahm die beiden silbrigen Objekte im Austausch entgegen und ließ sich dann vom dämmrigen Licht fressen, das an den Zellen auslag. Er wandte sich nicht nochmal um.
Die Gefängnisse zu seinen Seiten waren leer gelassen; in einigen wurden Fässer und Kisten gestapelt. Ein Eisentor stand gänzlich auf, da dahinter Tisch und Stühle für die Wachmänner aufgestellt waren. Es wurde wohl als eine andere Räumlichkeit von ihnen verwendet.
Direkt zentral vom Gang brannte Licht. Ausschließlich eine Zelle war in Benutzung. Zwei Pritschen, ein runder bodennaher Tisch, ein Eimer in der Ecke. Ansonsten nur noch ein Krug Wasser und zwei Gestalten. Eine hatte Rhun den Rücken zugekehrt, lag unter der eingeklappten Pritsche...
Und die andere Person war Kellen.
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Blut eines Cruors
Fantastik[Wattys 2022 Winner] »Wir sind Kreaturen des Lichtes und doch steckt in uns eine solche Dunkelheit. Willst du wirklich erfahren, was dann erst die Schatten kreieren?« Seitdem die Cruoren die Macht an sich gerissen haben, hat sich die kleine Hafensta...