Kapitel 15;3 - Tödliche Schatten

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In Rhuns Brust polterte sein Herz, schlug in ein reines Rauschen um. Reine Nervosität spannte seine Schultern an, zerrte an seinen Knien, verdrehte seine Nerven.
Niemals hätte er gedacht, dass er sich grundlos so schrecklich fühlen könnte. Waren es Gefühle, die ihn dazu brachten, sich derart miserabel zu fühlen? Spürten die anderen Cruoren nicht das, was ihn gerade quälte?

Er sah sich in der Kammer um, vor deren Eingangstür sie ein Regal gerückt hatten.

Die wenigen Flammen der Kerzen, die sie retten konnten, erleuchteten die Schmiede in warmen Glanz, spiegelte sich in den unzähligen Metallen wider. Die Lichter offenbarten Zangen, Hämmer und Schürhaken an den Wänden. In der Ecke stand ein Kamin.
Direkt neben Rhun war ein Fenster eingelassen, womit man die Straßenseite überblicken konnte.

Fast automatisch flog sein Blick nach draußen, dorthin, wo sie zuvor gestanden hatten. Hinter der Schreibe hatte sich das Dienstmädchen auf den Boden gekniet. Sie lebte, doch hielt sich die Brust, zitterte — bebte förmlich. Dann sah sie über ihre Schulter zu ihm.

Rhun erstarrte bei dem Anblick:
Eine Hälfte ihres Gesichts war wie geschmolzen. Die Haut hing in Falten herunter, war schlaff und grau. Ihr Auge war gänzlich weiß; keine Pupille, keine Iris. Lediglich ein bleicher Ausdruck des Schreckens. Wenige Sekunden sah sie ihn an, dann schnellte ihr Kopf wieder nach vorne, wo sich das Wesen auf sie stürzen wollte. »Nein, bitte!«, hörte Rhun sie flehen.

Sie schob sich auf dem Boden nach hinten, bis sie unmittelbar unter dem Fensterbrett sitzen musste. Ihre Hand schlängelte sich den Weg hoch und sie schlug gegen das Glas. »Lasst mich rein! Bitte, lasst mich rein! Lasst mich rein!«

Das Wesen sprang auf sie zu und sie schrie spitz auf. Ein lautes Knacken — als würden Knochen brechen. Sie brüllte aus voller Kehle: »Bitte! Meine Eltern haben mich nur alleine hierhergelassen, weil ich ihnen versprochen habe, mir passiert nichts! Sie-« Ein weiteres Schreien; der Laut riss in der Mitte. Jedes Wort hämmerte in Rhuns Kopf.
Ihr Hand rutschte vom Glas herunter, dorthin, wo sie saß.

»Ich denke«, begann Chase gedämpft. »Ich mach mal den Kamin an, dann haben wir mehr Licht.«

Rhun drehte sich zu ihm um. Hatte er ignoriert, was soeben mit der Dienerin passiert war?

Chase setzte sich in Bewegung, blendete tatsächlich aus, als auch ein weiterer Schrei von außen ertönte.

Die reiche Frau wollte gerade zur Tür sprinten, um den Durchgang zu öffnen — um ihre Angestellte hineinzulassen — doch Dolunay fing sie ab. »Neinein«, hauchte die Aart ihr zart ins Ohr und hielt sie an den Schultern fest. »Wir wissen nicht, wie viel an ihr noch Mensch ist.«

Doch die Frau hörte nicht auf zu protestieren.

Dann sahen sie alle zum Fenster, als von dort ein weiteres Geräusch ertönte.
Das Dienstmädchen hatte sich aufgestellt, direkt vor die Scheibe, starrte sie unmittelbar an. Ihre Stirn klebte am Glas. Die eine Seite noch immer komplett eingesackt, weiße Augen — schwarze Bisswunden, die sich durch ihren Hals fraßen. Einer ihrer Arme ging in eine spitze Klinge über.

Sie verwandelte sich selbst in eines dieser Monster.

Rhun holte erstickt Luft.

Die Frau hielt in ihren Beschwerden ebenfalls inne. Sie löste sich aus der Berührung der Aart. »Ich werde Bretter suchen, damit wir die Fenster zunageln können. Das Glas scheint... dünn zu sein.«

Das Dienstmädchen lehnte sich nach vorne. Sie legte ihre verbleibende Hand auf die Scheibe. »Lasst mich rein!«, forderte sie ein weiteres Mal, ihre Worte hallten mechanisch. Die menschliche Seite an ihr war in einen Ausdruck tiefsten Horrors verzogen. »Bitte! Lasst mich rein, es tut so weh!«

Blut eines CruorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt