Kapitel 9;3 - Ramous

97 9 1
                                    

Das Treiben wurde reger. Menschen schnappten ihre Kinder und zogen sie wortlos mit sich.
Anderswo wurden tuschelnde Gespräche aufgenommen.
Überall verzerrte Gesichter; Angst vor einer Explosion.

Auch Caden schob seine Schwester zu Scarlett. »Bring Nya nachhause, ja? Ich gehe mit Eos nach ihrer Mutter sehen.«

Scarlett. Die, die nicht zur Bühne gehen wollte.
Was wusste sie über diese Bombe?

Wut begann Eos Körper einzunehmen, ihr Blut köchelte. Jeder Atemzug ließ die Hitze in ihr Herz eintauchen. »Was weißt du darüber«, keifte sie ihre Freundin an. »Was weißt du über diese Bombe.«

»Was?«, hauchte diese und schüttelte den Kopf. »Nichts. Wieso sollte ich denn... Was soll ich denn darüber wissen.«

»Du wolltest nur nicht zur Bühne weil du davon wusstest! Was verschweigst du mir sowas?!« Sie stürmte vorwärts — das Gefühl des Verrats in jeder Bewegung. »Du kleine-«

Als sie einen Druck an ihren Seite spürte hätte sie fast um sich geschlagen.
Caden zog sie zurück. »Hey, hey, Eos. Wir haben keine Zeit dazu. Lass uns deine Mutter suchen.«

Die anderen Bürger worden hektischer. Menschen liefen an ihnen vorbei. Er spannte den Rücken an, bedachte Scarlett länger; eindringlicher. Dann wandte er sich Nya zu. »Möchtest du lieber alleine nachhause?«

»Ja, ja« Das Mädchen ging erst einige Schritte rückwärts, drehte sich dann aber um und schloss sich dem Strom der laufenden Leute an.

Eos ballte die Hände zu Fäusten. Wie gerne sie Scarlett zur Rechenschaft ziehen würde.

Was wusste sie? Seit wann beteiligte jemand wie sie sich am Legen von Bomben?
Was wagte sie sich, niemanden einzuweihen?

»Hey!«, brüllte der Wachmann. Wieder und wieder schallten seine Befehle über das Gelände. Die Menschenmenge begann immer unruhiger zu werden, als sorge die drohende Gefahr dafür, dass sich ihr Verstand gänzlich in Instinkte verwandle.

Mittlerweile mischten sich Caden und Eos entgegen des Stroms dazu — einige Schritte auseinander. Kaum ihre Schritte wahrnehmend, raste ihr Blick durch die Menge — suchte nach den bekannten Gesichtszügen ihrer Mutter zwischen den panischen Mienen.

Irgendwann ließen sie selbst den Wachmann hinter sich zurück, der weitere Söldner in Kenntnis setzte. Der Strom wurde nach ihm ruhiger und die Wesen waren in feierlicher Stimmung. Die Musik hallte leise über die Fläche. Niemand hier wusste was für eine Gefahr auf dem Gelände schlummern könnte.

Eos holte zittrig Luft. Der Druck in ihren Beinen, das Stechen ihres Herzens, diese elendigen Gerüche des einst so guten Essens — alles nagte an ihren Nerven und fühlte sich an, wie ein zu heftiger Tritt in die Magengrube.

Ein Würgen brodelte in ihrer Kehle, doch sie zwang sich, alle Empfindungen herunterzuschlucken. Nichts. Nur die ewige Leere ihres Kopfes blieb übrig. Das und die Musik, die Kräuter, die in der Luft lagen. Diese fälschlich-fröhlichen Gesichter, die ihr wie Masken begegneten.

Die Freude auf dem Markt war verhöhnend.
Und der Weg zur Bühne schien kein Ende zu finden. Niemand wüsste, wann eine Bombe hochgehen könnte. Wenn es denn eine gab...

Was, wenn das alles gespielt war? Eine Falschmeldung. Eine Lüge?

Dann hatte sie Scarlett umsonst beschuldigt — doch nicht einmal der Gedanke genügte, ihr Schuldgefühl zu verleihen.
Die Frage blieb: Was, wenn es wirklich hier eine Bombe gab?

Was, wenn doch jede Sekunde das Leben ihrer Mutter in Gefahr sein könnte?

Eos wurde aus ihrer Starre geschleudert, als Caden ihr Handgelenk packte und durch eine enge Gruppe Menschen zog, hin zu einer Hütte, vor der sich zwei Cruoren umsahen.

Und dort stand auch ihre Mutter. Sie hatte sich gänzlich auf das Gesteck fixiert, das sie vorstellte.

Sie lebte. Der Schreck fiel; so stark, dass auch Eos Beine beinahe nachgegeben hätten.

»Mama«, hauchte sie, fiel nach vorne, stützte sich mit letzter Kraft auf der Verkaufsfläche der Hütte ab. Ihre Sicht verschwamm am Rand. Jeder Atemzug steigerte das Gefühl der nahenden Ohnmacht. »Hier ist eine Bombe«, hauchte sie, mit letztem Atem, rang nach Luft, griff vor sich, warf dabei eine Blume herunter. »Komm bitte mit nachhause.«

Die beiden Cruoren wechselten einen schnellen Blick. Selbst der, der abseits gestanden hatte, trat vor. »Wo?«, fragte er.

Eos konnte nicht antworten. Sie legte ihre Stirn auf das Holz, kühlte sich herunter, in der steten Panik, das Bewusstsein zu verlieren.

Diese Musik. Wäre diese Musik nicht, dann könnte sie atmen. Sich beruhigen.

Caden antwortete: »Angeblich an der Bühne. Irgendwo.«

Einer der Cruoren wollte zu den Sitzplätzen laufen, doch der andere — grau und von magerer Gestalt — hielt ihn fest. »Pass auf. So schnell will ich auch nicht dein Nachfolger werden, Zorn.«

»Geh nachhause«, knurrte der andere und zog sich aus der Berührung heraus. »Und informiere auf dem Weg jeden anderen darüber«

Eos hob den Blick, sah, wie ihre Mutter aus der Hütte kam und ihr aufhalf.

Der Cruor neben ihnen blieb ruhig, nickte zur Seite. »Husch, verschwindet.«

In den Armen ihrer Mutter konnte Eos erstmals stehen. Es fühlte sich keine Bewegung mehr real an.

»Caden«, flüsterte die Frau. »Dein Anwesen liegt doch an der Stadtmauer.«

»Ja.«

Sie setzten sich allmählich in Bewegung, dann wieder schneller, als der gesamte Markt panisch wurde. Die Drohung hatte sich rumgesprochen.

Eos hatte lediglich die Hand ihrer Mutter umklammert, als neben ihnen jemand brüllte.

»Ein Tod der Regierung, in der niemand fähig ist ein Leben zu führen; ein Tod den Cruoren, die sich als falsche Kinder der Götter ausgeben.« Die Person hatte sich auf die Bühne gestellt — maskiert. Ein Schmuck aus Zahnrädern zierte sein Gesicht. »Ihr seid jene, die den Hungertod nie zu befürchten hatten. Ihr wisst nicht, was die Cruoren tun. Menschen, die krank sind, haben keine Chance hier zu arbeiten. Was könnt ihr noch so still bleiben? Was wagt ihr euch, euch gegen die Gerechtigkeit zu stellen, die eure Götter predigten? Ihr seid euch ob der Experimente nicht bewusst, die sie durchführen. Sie-«

Dann ein Knall.

Blut quoll auf den Stoff seiner Kleidung.

Man hatte ihn erschossen.

Eos Mutter holte Luft, drückte aber ihre Tochter schließlich in Cadens Hände. »Behalt sie für heute Nacht bitte bei dir, ja? Bis sich die Situation beruhigt hat, in Ordnung?«

»Nein, Mama, bitte, ich will nachhause.« Als reiße ihr Alter vor ihr; bemerkte Eos zu spät, dass sie sich wie ein Kind benahm. »Ich hab Angst.«

Doch die Frau legte nur ihre Hände auf ihre Wangen. Ein warmes Gefühl, das bis zu Eos Herzen herunterführte, doch statt Trost nur Panik schürte. Jede Hoffnung versank in einem bodenlosen Loch.
»Ich komm doch nachhause. Wir sehen uns morgen« Sie lehnte sich zurück. »Ich hab dich lieb mein Schatz, pass auf.«

Eos wollte erst noch etwas erwidern, doch ihre Lippen bebten im Versuch, sich zu äußern.
Caden übte leichten Druck aus und zog sie in Richtung südwesten, wo sein zuhause lag.

Eos hielt mit seinem Schritt stand, doch betrachtete ihre Mutter noch so lange in der Masse, bis sie darin verschwand.

In Brus war ab diesem Moment ein Bürgerkrieg ausgebrochen.

Blut eines CruorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt