Kapitel 22;2 - Herr der Wächter

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»Nochmal die Dosis«

Rhun konnte nur Luft holen, ohne eine Antwort hervorzubringen.

Reine Chemie jagte durch seine Venen. Wie ein Wasserfall schoss der Strom  durch seinen Körper — Energie, deren Schmerz stechend durch ihn hämmerte.
Jeder Atemzug ließ die Schmerzen stechender werden, füllte seinen gesamten Brustkorb mit der Hitze eines Feuers.

Wie ein Tier in Ketten hing er von der Decke. Eine Sicherheitsmaßnahme — so begründete man es. Rhun konnte spüren, wie sich alles in der Hülle seines Cruoren-Körpers verkrampfte. Seine Gedanken schlossen sich um einen eingefleischten Wunsch: zu schreien. Es war, als wolle ein wahrhaftiges Monster aus ihm hervorbrechen.

Der Drang, alles zu zerfleischen, auszuholen und zu schlagen.

Seine Muskeln zuckten ein weiteres Mal. Reine Pein fiel über ihn her und erstickte ihn wie in einem Kissen.
Die Luft wurde aus seinen Lungen gepresst, sein Hals zog sich zusammen.

Die Künstlichkeit in Rhun war stets Zeuge seiner Fehler. Sie war das Elixier seines Lebens; hielt ihn zusammen.
Ohne diese Chemie in seinem Körper würde er sterben...

Rhun schmiss den Kopf zurück und keuchte. »Moment«, hauchte er unter kurzer Atmung. Sein Körper bebte, in seinem Kopf senkte sich Schwindel und der Schmerz in seiner Brust wurde zu einem Gefühl der Fülle.

Seine Augen suchten die Spritze — das reine Grauen. Der Arzt hielt sie noch immer in der Hand. Er hatte einen Schritt Abstand gewonnen und wartete geduldig darauf, dass Rhun bereit war, für weitere Qualen.

»Ist ja gleich vorbei, Veu«, murmelte eine Nachtschwärmerin, die seinen Rücken stützte. Ihre Hände fuhren in sanften, kreisförmigen Bewegungen über seine Schultern, wo auch der erste Stich gesetzt worden war. Die Stelle war angeschwollen, wie Rhun wusste. Sie musste aussehen, wie ein furchtbarer Ausschlag. „Nur wie ein Abdruck einer Allergie", so hatte der Arzt es beschrieben.

Doch Rhun spürte, dass es mehr war, als das. Unzählige elektrische Ladungen wurden über seinen Körper gejagt. Jede schmerzhafter als die vorherige, betäubten sie seinen Verstand

Er schloss die Augen für einen Moment. Die Welt vor ihm flackerte — ein anstrengendes Farbspiel aus schwarz, weiß und verzogenen Silhouetten.

»Ich habe gehört«, begann der Arzt, während er die Spritze an Rhuns Hals ansetzte. »Dass Sie ihren Nachfolger ausgesucht haben.«

Alle folgenden Worte waren in grellem Pfeifen verzerrt. Wie der Hieb einer Peitsche jagten die Schmerzen zu seinen Schläfen aufwärts. Qualen, wie die, einer Folter. Als sei der Vorgang eine Strafe für jeden Cruor... Weil die Cruoren taten, was sie taten.

Rhuns Brust hob und senkte sich, bei seinen verkrampften Versuchen zu atmen. Das Ringen mit dem eigenen Bewusstsein fühlte sich an, wie ein Kampf ums eigene Überleben.

Er krallte sich an die Ketten, die seine Hände über ihm fixierten.

»Sie sind jetzt einer der offiziellen, leitenden Cruoren, Veu. Dann-«

»Hören Sie auf zu reden«, zischte er. »Bringen Sie es einfach zuende.«

Die Frau schlängelte ihre Arme um seinen Oberkörper herum, lehnte sich zu seinem Ohr, um zu säuseln. »Nochmal tief einatmen, Veu.« Ihre kalten Finger zwickten ihn, während seine Arme und Beine zitterten.

Er wäre längst schon eingeknickt — hatte weder Gefühl, noch Verstand.
Es war erst dann, dass in seinen Kopf ein Gedanke huschte:
Was tat man mit ihm? Was war er, wenn er nur mit diesen Giften leben konnte?

Ein heißer Druck, der durch ihn vibrierte. Heiße, dann kalte Stöße suchte sich den Weg zu seinem Herzen, wo es sich zu einem tobenden Rauschen wandelte.

Blut eines CruorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt