Kapitel 6;1 - Im Konflikt geschieden

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Chase Hardings Stirn hatte Falten geschlagen, während er das Geschehen in den Kellern betrachtete. Einige Mitglieder seiner Gilde kamen mit einer Truhe Keramik hinein, nickten ihm zur Begrüßung zu und verschwanden dann im Lager.

Siebenundvierzig Leute hatte er unter sich. Jeder von ihnen hatte gelernt, mit dem Schwert umzugehen. Seine kleine Mannschaft verlorener Individuen hatte sich zu einer Armee entwickelt, in der nur noch jene aufgenommen wurden, die sich zu verteidigen wussten.
Damals, als Chase selbst noch ein Jugendlicher gewesen war, hatte er jeden in seine Reihen gelassen. Dolunay war die einzige, die noch aus dieser brüchigen Zeit an seiner Seite geblieben war. Und die Aart hatte einen Platz in seinem Herzen, den die meisten anderen niemals erlangen würden.

Caden beneidete ihn für diesen Erfolg. Auch er arbeitete schon seit vielen Jahren in Hardings Reihen und gehörte so zu dem engsten Kreis seiner Gefolgsleute. In den unsicheren Zeiten zählte Loyalität mehr, als Fähigkeiten.
Und so stand auch Caden über den Neuankömmlingen in der Gruppe — auch, wenn er nicht der erfahrenste im Kampf war.

Als er nun am nächsten Morgen — oder eher spät in der Nacht — vor ihm stand, war das Gesicht seines Anführers zerfurcht von Sorge und die Dominanz wie aus seinen Augen gewichen. Er wirkte mitgenommen; gar erschüttert.

»Scarlett ist wieder wohlauf, aber sie redet nicht viel.«, berichtete Caden. »Sie liegt jetzt in einem der Zimmer hier. Sie wollte nicht alleine zurück nachhause.«

»Wo hast du sie aufgegabelt?«

»Sie war in der dunklen Straße. Bei Eos. Die beiden waren wohl stundenlang dort und haben sich vor der Grenze über das unterhalten, was passiert ist.«

Chase Augenbrauen zuckten hin zu einem finsteren Starren: »Wie? Eos ist wieder da? Und die haben mir nicht Bescheid gegeben?«

»Kenga und sie kamen zu dem Zeitpunkt, als das Licht in der Grenze ausgefallen ist. Die hatten ganz andere Probleme. Vor allem, als sie Scarlett gesehen haben.«

»Aha« Er fuhr sich über das Gesicht, ließ seine Hand in den Nacken wandern und gab einen tiefen Laut von sich. »Gut, ich wollte ohnehin mit euch darüber reden.«

Cadens Kiefer tat sich angespannt hervor. Er lehnte sich zurück an den morschen Holzbalken des Gewölbes. »Über den Gedächtnishandel, meinst du?«

Eine Weile bewegte Chase sich nicht. Das Fackellicht ließ ihn wesentlicher älter wirken, als er war. Irgendetwas ging in seinen Zügen vor sich, dass Caden nicht einzuordnen wusste. Schließlich ein Nicken.

Die schwache Bewegung ließ unzählige Fragen in Caden aufsteigen.
Der Gedächtnishandel als Plan von Chase war durchaus etwas, das er schon lange plante, doch wieso beharrte er ausgerechnet jetzt darauf, es offen anzusprechen? Zwei Mitglieder ihrer Gruppe waren erst heute von einem Auftrag zurückgekehrt, Dolunay war noch angeschlagen und Scarlett stand mit Sicherheit weiterhin unter Schock.

Eine Nachricht wie diese ausgerechnet jetzt zu verkündigen, war entweder taktisch so geplant, oder ein Thema höchster Dringlichkeit...
Wobei Caden letzteres auszuschließen wagte: Zwangsläufig gab es keine Dringlichkeit hinter dem Gedächtnishandel. Es mag sein, dass man daran viel verdiente, doch auch mit ihren aktuellen Geschäften lebten sie nicht schlecht.
Ohnehin war Harding niemand, der ausschließlich auf Geld achtete. Seine Motive waren stets tiefgründiger als das — oftmals sogar im Sinne der Gerechtigkeit.

Caden bemühte sich seine Gedanken laut auszusprechen: »Ich denke, es ist nicht die rechte Zeit, das Thema ausgerechnet jetzt anzusprechen. Scarlett hat einen Schreck weg und du weißt wie sie zu diesem Thema steht. Damit sollten wir sie lieber nicht belasten.«

»Sie hat da aber nicht allzu viel Mitspracherecht. Sie ist nur für die Buchhaltung zuständig.«

»Das kannst du ihr sagen, so oft du willst. Sie wird da nicht mitspielen. Und wenn sie erstmal aussteigt, wird mit Sicherheit Eos mitziehen.«

Blut eines CruorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt