Ein bedrückender Dunst aus Schicksalsfäden hatte sich vor Eos Augen ausgelegt und verhinderte ihre Sicht auf die Realität. Nichts war ihren Gefühlen eine Stütze – nicht einmal die Tatsache, dass die Bombe am vorherigen Abend nicht gezündet wurde. Eher im Gegenteil: nun rechnete Eos damit, dass weitaus gefährlichere Waffen jeden Moment unter ihren Füßen schlummern könnten.
Und Cadens Anwesenheit, als sie auf dem Weg zu Scarlett war, erschwerte ihr Gemüt. Ihre Wünsche sprangen umher — so dankbar sie für seine Anwesenheit war, so sehr wollte sie ihn loswerden.
Die Wut auf Scarlett war in Unsicherheit umgeschlagen... und in Schuldgefühle, die beinahe schon zähflüssig in ihrem Herzen lagen. Niemand würde ihr Vorwürfe machen. Die Situation hatte am gestrigen Tage an ihren Nerven gezerrt. Panik hat die Oberhand gewonnen. Da sagte man häufiger etwas, das man nicht meinte, nicht wahr? Niemand würde sie dafür verurteilen. Scarlett ebenso wenig. Nicht?
Eos stieß die Luft schaudernd aus, als sie die Straße entlangschritten. Zu den Seiten saßen Menschen, in Decken zusammengerollt, eng aneinander. Bisher hatte kein Wachmann sie vertrieben. Alle waren auf der Suche nach dem Täter... Oder waren damit beschäftigt, die Cruoren zu schützen.
Die meisten Cruoren würden vorläufig in ihren Wohnhäusern bleiben und lediglich von Vertrauten versorgt werden.
Ein beunruhigender Gedanke, der in ihrem Hals brodelten. Und das ungute Gefühl sollte sich in das ewige Rauschen von Anspannung verwandeln, als sie vor dem Zuhause ihrer Freundin stand. Das Mehrfamilienhaus mutete schlicht an. Die Treppen – wie bei jeder traditionellen Baute Brus – draußen angebracht, dass man von dort aus die oberen Stockwerke erreichen konnte.
Caden setzte nicht dazu an, die Treppen zu nehmen. Stattdessen schaute er zu Eos. Der Blick dabei so monoton, dass sie ihn am liebsten geohrfeigt hätte. »Bist du bereit, Hörnchen?«, fragte er schließlich. »Du siehst jetzt schon fertig aus.«
»Ich hoffe nur, sie hat eine gute Erklärung-«
»Ich bezweifle, dass sie damit etwas zu tun hat. Außerdem, es ist im Endeffekt nichts passiert.«
Eos grummelte nur, mahlte die Zähne aufeinander. Ihre Finger kribbelten, als wollen sie zu einem Schwert greifen, etwas, womit sie sich beruhigen könnte – vielleicht aber sehnten sich ihre Finger auch einfach danach Scarletts Hände in ihren zu halten. Sich zu entschuldigen... Dafür, dass sie ihr eine Straftat unterstellt, überreagiert, hatte. Doch Eos Gedanken waren ein reines Bild der Zerstörung: wie dickflüssige Masse klebten ihre Gedanken aneinander – alle Eindrücken waren miteinander verschmolzen und ihre Stimmung schlug so oft um, wie das Schicksal selbst.
Sie nahm die ersten Stufen, spürte, wie ihre Finger über das kalte Metall des Geländers wanderten. Die Eingangstür zu Scarletts Wohnung war von innen stets mit einem zusätzlichen Vorhang zugezogen.
Eos blickte zuvor noch einmal zu Caden, dann klopfte sie. Das sonst so natürliche Signal fühlte sich falsch an ihren Fingerknöcheln an, als würde die Schuld auf ihren Knochen haften.Einige Sekunden wartete sie. Dann ein weiteres Klopfen.
Ohne Reaktion.
Sie sah zu ihm. Er hatte sich auf das Geländer gesetzt und blies die Wangen auf. »Na schön. Dann haben wir einen schicken Morgenspaziergang hinter uns gebracht.«
»Ich habe den Schlüssel bei« Eos zeigte ihn hoch, steckte ihn dann in das Schloss.
Eine Umdrehung, dann wollte sie die Tür aufschieben... Nur um festzustellen, dass sie von innen zugehalten zu werden schien.
»Lass die Scheiße, Scarlett«, fauchte sie, legte dann ihre Stirn an die Scheibe. »Es tut mir Leid. Ich bin hier, um mich zu entschuldigen.«
Dort, wo ihr Herz zuvor aus Wut geschlagen hatte, wurde es warm und träge. Ein schweres Gefühl, das mit tiefstem Unwohlsein einherging.
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Blut eines Cruors
Fantasi[Wattys 2022 Winner] »Wir sind Kreaturen des Lichtes und doch steckt in uns eine solche Dunkelheit. Willst du wirklich erfahren, was dann erst die Schatten kreieren?« Seitdem die Cruoren die Macht an sich gerissen haben, hat sich die kleine Hafensta...