Kapitel 20;2 - Zeremonie aus Glas

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Erst eine Nacht war vergangen und schon hatte Rhun das dringende Bedürfnis, sich eine eigene Wohnung zu suchen.
Zwar hatte er ein Zimmer alleine für sich — mit all dem Nötigen — doch zu viele Geräusche störten seinen Aufenthalt. Gedämpfte Gespräche auf den Fluren, das dröhnende Lachen der Wachmänner, die Angestellten, die störten, um zu fragen, ob er etwas benötigte.

Ruhe konnte er nicht genießen. Weder am Abend, noch am Tag.
Und so stand am frühen Vormittag Declan mit seinem Sekretär vor ihm.
Die Cruoren hatten ungewöhnlich runde Gesichter, sahen eher aus wie Geschwister, als Kollegen.

Rhun hatte sich auf seinem Bett zurückgelehnt, umklammerte mit seinen Fingern ein Buch, das man ihm gegeben hatte.
»Wenn ich das selbst nur wüsste...«, antwortete er auf die zuvor gestellte Frage.

»Notfalls«, bot Declan nüchtern an. »Können auch wir deine Begleiter werden, wenn du das möchtest, mein Freund.«

»Bei allem nötigen Respekt... Du würdest lieber sehen, dass ich während des Rituals aufgespießt werde, als einzuschreiten.«

Doch sein gegenüber blieb ruhig. Er versteckte die Arme hinter seinem Rücken. »Mit welcher Begründung? Ich hege keinen Groll auf dich, wenn du das denkst.« Er schien erst zu überlegen, ob er fortfahren sollte, tat es aber dann: »Anders als du haben wir keine Gefühle, die etwas solches zulassen könnten.«

Selbstverständlich würde er dieses Argument verwenden.
Zorn hatte es getan; jeder Cruor würde es tun, wenn er erfuhr, dass Rhun einer solch hohen Position innewohnen sollte.

Declans Sekretär machte sich im Zimmer selbstständig. Er hing eine rote Kluft über den Schrank. Es war ein Mantel, der beinahe nur aus einer Schleppe bestand, an deren beiden Enden die Monde eingestickt waren. Ein edler Stoff, der im Sonnenlicht funkelte, wie von Tau auf Gras.
Es war die selbe Kleidung, wie auch Zorn sie damals getragen hatte. Weite Ärmel, große Falten, die geteilte Spitze.

Dieses Kunstwerk, das er tragen sollte, wirkte vor dem Holz unscheinbar und doch unendlich anmutig.

Er wurde bei dem Gedanken ruhiger — das Wissen, dass so viele es vor ihm getragen hatten, nahm ihm die Angst. »Dann seid ihr eben meine Beschützer.«

Declan nickte schwach, dann deutete er einmal mehr auf das Buch, das er Rhun gegeben hatte.

Es war ein schweres Werk, in dem selben Stoff geschlagen, wie die Kutte. Mit goldener Schrift waren Zitate eingelassen worden. Es war das Regelwerk, welches die Cruoren durch die Zeremonie führte.

Alles fühlte sich edel an. Wie es auf Rhuns Oberschenkeln lag und seine Finger an den Seiten über das Papier fuhren. Wie Seide, hauchdünn — zart kitzelte es seine Haut.

»Bist du morgen schon bereit?«, fragte Declan.

Wenn es nach Rhun gehen würde, hätte er diese Frage verneint. Es war zu früh für ihn. Er wusste nicht, ob er all diese Verantwortung übernehmen wollte... konnte. Er hatte sein Haus verloren, seinen Alltag, seinen Herren. Und doch nickte er.
Entweder das Ritual würde morgen stattfinden; oder den Tag darauf.

Zwei bis drei Tage durften höchstens verstreichen, bis die Nachfolger eingeweiht werden würden. »Ich weiß, was ich tun muss. Danke.«

»Ich hoffe, dass dein Selbstbewusstsein nicht trügt. Nach dem Anbruch des morgigen Tages wird-«

Rhun unterbrach ihn: »Kein Wort meine Lippen verlassen, ich weiß.«

»Und keine Emotion gezeigt«, brummte der Sekretär, während er die Kluft glättete.

Erst wollte Rhun eine Konter äußern, doch das Schweigen, das folgte, sprach ebenso viel.

»Ich werde dann morgen auf dich warten«, versicherte Declan und ließ ihn zurück.

Blut eines CruorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt