Kapitel 17;4 - Zweischneidiges Schwert

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Die Welt wusste nicht, was Dolunay getan hatte. Noch nicht.
Es reichte, wenn es ihr Geheimnis blieb.

Sie schloss die Lider, öffnete ihre Haare, um den kühlen Wind hindurchfahren zu lassen. Jeder Gedanke schien zu verschwimmen — eine einheitliche Masse ohne Emotionen und Wertungen. Es war vorbei.

Doch Oryns Stimme donnerte durch ihre Scheinwelt; er erinnerte sie an die Umstände, die zu alldem geführt hatten. Sein Satz erschütterte die komplette Projektion — somit auch die Glückseligkeit, die damit einhergegangen war. »Ich habe meine Arbeit getan.« Er war unter einem Vordach stehengeblieben, um seinen Rucksack auf den Rücken zu wuchten. »Jetzt halt auch du dich an unsere Abmachung.«

»Jetzt? Du willst auf der Stelle mit mir los?«
Das würde sie nicht zulassen. Im Dunst der Nacht zu verschwinden war so einfach wie respektlos. Sie würde Chase zuvor einweihen, dass sie weg wäre.
Belügen könnte sie ihn nicht. Der Fakt, dass dem Herzog das Gedächtnis ausgelöscht worden war, war ein steinerner Zeuge dafür, dass Dolunay ihre Aufgabe erfolgreich erfüllt hatte.

»Ich? Willst du etwa, dass ich dich begleite? Nein, du wirst alleine zu ihm. Ich bleibe in Brus und warte darauf, dass die Welt untergeht. Ganz davon ab, dass es jeden Tag soweit sein kann«

Vorlautes Stück. Auf der Stelle umbringen wollte sie ihn. Sie hatten Glück gehabt, nicht für den Gedächtnistaub beschuldigt worden zu sein. Man hatte sie gehen lassen — im Vertrauen.

»Ich werde erst einmal hier bleiben«, knurrte sie.

»Süße« Oryn schnalzte mit der Zunge.

Am liebsten hätte Dolunay ausgeholt und ihn geohrfeigt, konnte den Drang hingegen noch zurückhalten.

Er bewegte sich weiter durch die Straße, hob aber mahnend einen Finger und ließ ihn auf-und abwippen. »Warte nicht so lange, rate ich dir. Sonst muss ich dich nachher noch finden.«

Das kannst du nicht, wenn ich dich vorher davon abhalte.

Die Überlegung wurde zum Impuls.
Dolunay preschte vorwärts, stieß ihn an eine Hauswand.

»Hey, hey. Wieso wusste ich, dass das kommt« Sein Lachen war atemlos, druckste in seiner Kehle, als fürchte er sie nicht.

Sie nahm ihren Dolch.

Und doch keine Veränderung in seinen Augen. Er schüttelte nur den Kopf. »Würde ich dir nicht raten«

Sie tat es dennoch. Wollte es zuende bringen. Ihre Gruppe würde sie nicht verraten. Wer wusste schon, was dieser Priester von ihr wollte? Oryn zu vertrauen war wie ein Weg in ihr Grab — und somit in eine der Höllenebenen.

Der Aart jedoch nutzte ihren Moment der Unachtsamkeit, nahm ihre Schultern, drehte sie, warf sie auf den Boden.
»Lange genug hast du ja durchgehalten, mich nicht wieder aufschlitzen zu wollen«

Das blaue Licht das er ausstrahlte, schien sie zu schlucken. Der Kegel erhellte die Feldsteine.

Dolunay kniete sich hin, schlängelte dabei ihren Fuß um seinen Knöchel, zog sich an ihm hoch.

Er streckte seine Arme aus, wollte sie aufheben, wie ein Tier.

Sie boxte jedoch nach oben aus, traf seine Magengrube.

Er röchelte, krümmte sich. Schließlich ließ er sie los.

Dolunay griff wieder zum Dolch, bemerkte aus dem Augenwinkel, wie er an ihre Seite sprang und sich auf ihren Arm stemmte.

Oryn drückte ihren Kopf auf den Stein zurück.
Ein starker Griff; Dolunay war bemüht, ihn wegzukratzen, ihre Hand wegzuziehen... vergebens.

Sein Schuh drückte auf ihrer Ellenbeuge, der Hacken presste sich ins Fleisch.

Blut eines CruorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt