Kapitel 26. Überzeugungsprobleme

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Am nächsten Tag wachten die Freunde pünktlich auf.
Als der Polizist, der jeden Tag die Türen öffnete, zu ihnen kam, brach er wie aus dem nichts in Panik aus.
"Was ist denn los?", fragte Thomas verwundert.
"Sieht man das nicht?", fragte der Wachmann und zeigte auf das leere Bett, "Eure schuppige Freundin ist weg!"
"Ach so, nein nein!", sagte der Mann, "Die ist da unten!"
Er sah unter sein Bett.
Der Drache lag noch immer zusammengerollt in ihrer provisorischen Höhle.
Thomas klopfte an das Bettgestell.
Die Echse öffnete langsam die Augen.
Als sie aufstehen wollte, rannte sie mit dem Kopf gegen den Lattenrost.
"Au...", sagte sie benommen, "Ich glaube das hat weh getan..."
"Du glaubst?", fragte Leroy, welche ebenfalls gekommen war, und lachte, "Also, dir morgens zusehen, wie du aufwachst, ist besser als Kaffee!"
"Was soll das sein?", fragte Ora, "Ist das was zum essen?"
"Theoretisch auch, aber diese Bohnen schmecken verdammt grässlich!", erwiederte die Frau, "Normalerweise brüht man es in Wasser auf und trinkt es!"
"Es ist also Tee?", fragte der Drache.
"So ähnlich...", sagte Zera.
"Komm jetzt erstmal raus da!", sagte Mathèo.
"Muss das sein?", fragte die Echse, "Es ist so gemütlich hier!"
"Wenn du raus kommst kriegst du das hier!", sagte Leroy und hielt ihr einen frischen Fisch vor die Nase.
"Das ist unfair!", erwiederte Ora, "Ihr wisst genau, dass ich da nicht wiederstehen kann!"
"Tja, dann musst du wohl herkommen!", sagte die Frau.

Ora brummte.
Nach ein paar Sekunden streckte sie ihre Schnauze unter der Schlafstadt hervor.
Sie schnüffelte ein bisschen und rutschte schließlich ganz heraus.
"Na geht doch!", sagte die Erwachsene.
"Und jetzt her damit!", erwiederte der Drache, "Sonst werd' ich ungemütlich!"
Die Frau warf ihr den Fisch hin und sie schlang ihn mit einem Haps herunter.
"Siehst du?", flüsterte Mathèo seinem Freund zu, "Fischesserin!"
Es gongte.
"Kommt frühstücken!", sagte Leroy, "Du solltest dich wieder verwandeln, Ora, sonst kriegt die halbe Kantine einen Kollaps!"
"Na gut!", erwiederte die Echse und war innerhalb einer Millisekunde wieder ein Mensch.
Dann gingen sie zusammen zum Frühstück.

"Es wäre echt cool, wenn alle wüssten, was du wirklich bist!", meinte Lucy, "Dann würde uns nie mehr jemand blöd kommen!"
"Ich bin nicht dazu da, um Leute zu verschrecken!", sagte Ora genervt.
"Ja schon, aber wenn sie Respekt vor dir haben, dann lassen sie uns auch in Ruhe!", sagte Sissi.
"Irgendwann werden es sowieso alle wissen, aber ich habe nicht vor, es ihnen zu zeigen!", erwiederte der Drache.
Mina saß nachdenklich da.
"Sag mal... hast du deine Schwester gekannt, als sie g..... gestorben ist?", fragte sie.
Ora stockte.
Sie nickte und senkte den Kopf.
"Und ich war wohl auch ein wenig schuld daran!", sagte sie.
Sie erzählte ihnen genau, was damals passiert war.
"Das muss schlimm gewesen sein!", meinte Zera, "Aber wieso wollte deine Mutter, dass..."
"Meine Schwestern hatten einen Mangel an gewissen Genen, die für unsere eigentlich schwarze Farbe sorgen!", erklärte der Drache "Sie waren schneeweiß! Unsere Mutter hat die Familientraditionen immer sehr ernst genommen... und dazu gehört eben auch die Farbe!"
"Deine Schwestern sind also... Albinos?", fragte Ailee.
Ora nickte.
"Das ist ziemlich seltsam, dass du nicht auch weiß bist!", sagte Mina, "Ihr habt ja die gleichen Gene, du und deine Schwestern! Es hätte zwar nur eine weiß sein können und die anderen beiden schwarz, aber dass nur eine von euch dunkel bleibt ist mir nicht verständlich!"
"Nun ja, die Natur ist in der Lage, Wunder zu vollbringen!", sagte Lucy, "Ora selbst ist das beste Beispiel! Ich meine, ein Tier das Feuer speien kann! Das ist doch unglaublich!"
Das Mädchen wurde rot.

Morgens wurde immer ein Buffet auf einem der Tische vorbereitet, von dem dich jeder etwas nehmen konnte.
Es war auch möglich, auf Vorbestellung etwas warmes nach Wahl zu bekommen, doch das wollte kaum jemand.
"Soll ich dir was mitbringen?", fragte Mathèo den Drachen.
"Wenn du willst!", erwiederte diese, "Ich lasse mich überraschen!"
Nach ein paar Minuten kam der Mann zurück.
Er hatte dem Mädchen einige Scheiben Räucherlachs, ein wenig Speck, zwei kleine Würstchen und zum trinken ein Glas Wasser mitgebracht.
"Du scheinst es verstanden zu haben!", meinte Ora und lächelte, "Danke!"

"Wie kommt es, dass noch nie jemand einen Drachen gesehen hat?", fragte Ailee während dem Essen.
"Viele haben schon einmal einen von uns gesehen!", sagte der Drache, "Die meisten halten sich aber dann selbst für verrückt und erzählen niemandem davon! Und wenn dann jemand doch einmal etwas darüber sagt, halten ihn alle zum Narren!"
"Heißt das, diese ganzen Videos im Internet sind wahr?', fragte das Mädchen.
"Kann sein!", erwiederte Ora, "... Sagt mal... wieso hattet ihr gestern gar keine Angst? Die meisten Leute reagieren immer komisch, wenn sie mich sehen!"
"Wir sind teilweise seit ein paar Jahren hier drin!", sagte Lucy, "Da wird man ein wenig verrückt! Für uns könnte das hier jetzt einfach ein seltsamer Traum sein! Wenn du morgen weg wärst, würden wir uns nicht wundern!"
"Heißt... ihr seid euch garnicht sicher, ob ich überhaupt existiere?", fragte der Drache verwundert, "... sowas macht das Leben lebenswert!"
"Das kling jetzt vielleicht gemein, aber ja!", erwiederte Sissi.
"Wollt ihr damit sagen, ich bin verrückt, nur weil ich sie sehe?", fragte Ailee, "Ich bin nämlich noch nicht lange hier!"
"Du könntest auch einfach nicht da sein!", sagte Mina, "Wir würden es nicht merken! Wir sehen öfter mal Leute, die nicht da sind!"
Die beiden Mädchen sahen sich gegenseitig an.
"Die sind ja alle einer Meinung!", flüsterte Ailee dem Drachen zu, "Wie sollen wir ihnen beweisen, dass wir existieren? Warte... du bist schon da, oder?"
Ora zwickte das Mädchen am Arm.
"Aua!", sagte diese leise und strich sich über die schmerzende Stelle, "Ok.. du bist real! Ich wollte nur sicher gehen! Aber wie sollen wir ihnen das zeigen? Imaginäre Freunde können die Leute doch theoretisch auch verletzen, sodass es weh tut, oder?"
Ora nickte.
Beim Wort "verletzen" fiel ihr etwas ein.
"Nun sagt mal...", sagte sie, "Wenn wir nicht echt sind, wie konnte mich dann das Messer eures 'Freundes' gestern am Hals schneiden?"
Sie zeigte ihnen die Wunde.

Die Erwachsenen dachten nach.
"Tja, das ist natürlich ungewöhnlich!", meinte Zera, "... aber das heißt ja dass..."
"Sind wir jetzt immernoch nicht da?", fragte Ailee genervt.
"Du hast echt Glück gehabt, dass die Klinge nicht deine Halsschlagader getroffen hat!", sagte Thomas schließlich, "Das wäre nicht gut ausgegangen!"
Ora kicherte.
"Wenigstens einer hat es verstanden!", sagte sie, "Klickt es bei den anderen auch endlich mal?"
"Wir sollten das Thema jetzt einfach beenden und unser Frühstück essen!", sagte Sissi schließlich, "Punkt, aus, Ende!"
Sie aßen noch fertig und wollten den Rest des Tages einfach nur genießen.
Ob das so einfach war, war nicht sicher.

Die Königin der DrachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt