Kapitel 114. Frieden in Lillé

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Am nächsten Tag wachte Ora früh wieder auf.
Sie spürte die weichen Federn ihrer Freundin auf ihrer Haut, die sich durch deren Atmung leicht bewegten.
Sie lächelte entspannt.
Die Schmerzen schienen verschwunden.
Sie sah ihre Flügel an.
Die Wunden schienen sich verschlossen zu haben.
Sie konnte sie ohne jeglichen Schmerz bewegen.
Sie stand vorsichtig auf.
Ihr linkes Hinterbein schmerzte noch leicht, wenn sie stand, doch es kam ihr mehr wie ein Muskelkater vor.
Sie trabte fröhlich einige Meter.
Nichts tat besonders stark weh.
Sie flatterte mit den Flügeln.
Auch diese waren vollkommen gesund.
Sie erzeugten ein metallisches Geräusch, wenn sie damit schlug.
Sie waren deutlich schwerer geworden, doch sie konnte damit umgehen.
Sie verwandelte sich in ihre Menschengestalt.
Ihre Flügel verschwanden auch.
Die Zacken an ihren Knöcheln und Schultern blieben jedoch.
Sie ragten durch ihre dadurch zerrissene Kleidung.
Doch etwas war anders.
Ihr nicht-mechanischer Unterarm fühlte sich seltsam an.
Sie zog ihren Ärmel nach oben.
An der Außenseite ihres Arms waren plötzlich auch dünne schwarze Knochenplatten, die wie ein Kamm in einer Reihe standen und bis zu ihrem Ellbogen reichten.
Sie konnte sie wie ihre Schuppen zur Seite klappen.
In ihrer wahren Gestalt waren sie allerdings verschwunden.
"Deshalb hat der Arm so wehgetan!", dachte sie sich.
Sie tastete noch ein paar andere Stellen ab, in der sie Schmerzen gespürt hatte.
An einigen empfindlichen Stellen wie unterhalb des Halses oder an der hinteren Hüfte fanden sich noch weitere harte Panzer.
Der Großteil ihres Körpers war plötzlich von Schuppen bedeckt.
Während sie sich weiter untersuchte, bemerkte sie garnicht, dass Rewe aufgewacht war und sie gelassen beobachtete.
"Na sieh mal an, dir geht's ja wieder gut!", sagte diese plötzlich.
Das Mädchen erschrak und ließ vor Schreck ihr aufgeknöpftes Oberteil fallen, das sie nur locker festgehalten hatte.
Sie wurde rot.
"Die Schuppen sind an den richtigen Stellen gewachsen!", sagte die Frau, "Gut für dich!"
Der Drache runzelte die Stirn.
Sie sah an sich nach unten.
Oberhalb ihres Bauches und an ihrem Rücken fand sie keine menschliche Hautfarbe mehr.
"Oh, ähh...", sagte sie.
Ihre Freundin kicherte.
"Du bist also auch noch am untersuchen, wie?", fragte sie und stellte sich zu ihr vor den Spiegel, "Du bist wunderschön, wenn du schüchtern bist!"
Sie umarmte sie von hinten.
"Ich könnte zu dieser Feier nächstes Mal einfach nur einen Rock anziehen!", sagte die Königin, "Wäre natürlicher als ein Kleid!"
"Wenn du mir dann nicht recht frierst!", sagte der Vogel.
"Zwischen Schuppen und dünnem Stoff ist nicht viel Unterschied!", sagte die Drachin, "Außerdem ist das Fest ja hauptsächlich drinnen!"
"Auch wieder wahr!", sagte der Papagei, "Aber noch ist es nicht so weit! Was willst du heute machen?"
"Nach Lillé schleichen und bei unseren Freunden mit meinen coolen Flügeln angeben!", sagte Ora, "Man soll ja immer das Beste aus allem machen!"
Rewe kicherte.
"Ich bin dabei!", sagte sie, "Gehen wir!"
Das Mädchen ging los.
"Willst du dir nicht was anziehen?", fragte die Frau.
"Wozu?", fragte der Drache, "Damit ich mir noch einen Pulli zerreiße? Verstecken kann ich mein wahres Aussehen jetzt eh nichtmehr einfach! Ich zieh mir zur Tarnung den Mantel an, mehr brauch ich nicht!"
"Das... ist wahr!", sagte ihre Freundin, "Na dann, ab geht's!"
Sie machten sich fertig und gingen an die Stadtgrenze.

Von dort teleportierte die Königin sie direkt ins Gefängnis.
Da sie sehr früh dran waren, mussten sie eine Weile warten, bis jemand kam.
Die Dètectives waren ein paar der ersten, die ankamen.
Sie waren sichtlich erleichtert, als sie sie sahen.
"Ora!", sagte Ella erstaunt, "Du kommst genau richtig!"
"Wieso...?", fragte die Drachin verwirrt.
"Die Leute, die dich letztes Mal in der Zelle gesehen haben, wollten wissen, was es damit auf sich hat, dass du vor einem Monat draußen warst!", sagte Lucas, "Wir haben ihnen gesagt, dass deine Unschuld bewiesen wurde und wir dich freigelassen haben! Jetzt wollen sie sich bei dir entschuldigen und dass wir das organisieren, weil wir ja 'einen gewissen Draht' zu dir haben! Wir wollten heute losgehen und nach dir suchen!"
"Das müsst ihr ja jetzt zum Glück nichtmehr!", sagte der Vogel.
"Warum seid ihr eigentlich hier?", fragte die Erwachsene.
"Wir wollten euch ihren neuen Look zeigen!", sagte der Papagei.
Sie zog mit einem Ruck Ora's Mantel von ihrem Körper.
Diese seufzte.
"Macht dir das Spaß?", fragte sie und verschränkte die Arme.
"Ich werde nichtmehr oft die Gelegenheit haben, dir in der Öffentlichkeit die Kleider vom Leib zu reißen!", sagte Rewe, "Das muss ich doch ausnutzen!"
Sie grinste.
Das Mädchen kicherte.
"Du siehst... gut aus!", sagte die Polizistin, "Bisschen freizügig, aber sonst..."
Sie ging einmal um sie herum.
"Du hast dich... ziemlich verändert!", sagte sie.
"Ich weiß!", sagte der Drache, "Es ist viel passiert, seit wir das letzte Mal hier waren! Es wäre deutlich zu viel, um alles zu erklären!"
"Es ist schön, euch zu sehen!", sagte der Mann und umarmte sie sanft, "Wir haben uns schon ein wenig Sorgen gemacht! Schön, dass es euch gut geht!"
Er löste sich wieder von ihr.
"Aber fass mal in einem Satz zusammen, was sich verändert hat!", sagte er.
"Ich bin gefährlicher geworden!", sagte die Königin.
Im nächsten Moment schossen ihre Flügel aus ihrem Rücken.
Die Menschen torkelten erschrocken zurück.
"Ach du...", sagte die Frau begeistert, "Die sind riesig!"
Die Drachin lächelte zögerlich.
"Wenn ihr wüsstet...", dachte sie.
Sie zog ihre Flügel wieder ein.
"Dürfen wir unsere Freunde sehen?", bat sie, "Die Pause war schon viel zu lang!"
"Natürlich, kommt mit!", sagte die Beamte.
Sie gingen zu den Zellen.
Die Freundinnen gingen mit einem Schlüssel in den richtigen Stock und schlichen sich an die Zelle ihrer Freunde.
Ora fiel etwas ein.
Sie bat Rewe mit einem Handzeichen, leise zu sein, bevor sie unsichtbar wurde.
Diese musste sich ein Lachen verkneifen und versteckte sich hinter einer Ecke.
Die Menschen lagen noch in ihren Betten und unterhielten sich, als die Türen plötzlich wie aus dem Nichts aufgingen.
Das Mädchen hatte nur an einem Schlüsselloch in der Mitte in beide Richtungen drehen müssen.
Die Freunde schraken auf.
"Was zum...", sagte Thomas stockend.
Er stand auf und schlich vorsichtig zur Tür.
Als er bemerkte, dass nur ihre beiden offen waren, trat er wieder zurück.
"Das Ding muss nen Kurzschluss haben!", sagte er.
"Theoretisch dürften wir jetzt raus...", sagte Lucy nach einem Blick auf die Uhr.
"Aber dann kriegen wir Ärger!", sagte Mina.
Sie hörten plötzlich ein leises Patschen von draußen.
Der Drache hatte ihre Schuhe ausgezogen und ging nun auf sie zu.
Die Menschen beobachteten die Fußspuren, die im Staub auf dem Boden entstanden.
"Diese zärtlichen Füßchen kenne ich!", sagte Mathéo, "Ora, komm raus!"
"Wie hast du das denn jetzt erkannt?". fragte die Königin und stand plötzlich vor ihm.
"Ich glaub nicht an Geister!", sagte der Mann belüstigt.
Er hob sie mit Leichtigkeit hoch.
"Du siehst anders aus!", sagte er.
"Ich weiß!", sagte die Drachin.
"Weißt du, wenn du einfach so hier reingelaufen wärst, hätte ich dich nicht erkannt!", sagte Sissi.
Ora kicherte.
"Ist momentan besser, nicht erkannt zu werden!", sagte sie, "Und jetzt lass mich runter!"
Sie zappelte, dass der Erwachsene sie fallen ließ.
"Wieso trägst du kein Oberteil?", fragte Ailee.
"Würde ich eins tragen, würden die Knochen durch stechen!", sagte der Drache, "Bringt mir nicht viel!"
"Bist du allein hier oder hast du Rewe auch dabei?", fragte das Mädchen.
"Natürlich hab ich sie dabei!", sagte die Königin, "Und ich will schnell zu ihr zurück!"
Sie lief nach draußen, zog ihre Freundin hinter der Ecke hervor und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen.
Diese schob sie sanft weg.
"Nanu, so stürmisch?", fragte sie, "In der Öffentlichkeit? So kenn ich dich garnicht!"
Sie hob eine Augenbraue.
Die Drachin schnurrte und schlug mit dem Schweif.
"Ich musste das für gestern Abend nachholen!", flüsterte sie, "Außerdem hat das doch keiner gesehen!"
Sie löste sich von ihr und wartete auf die anderen.

Die Königin der DrachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt