Kapitel 11

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Chase

Die heißen Sonnenstrahlen prasseln gnadenlos auf meinen Rücken, ich spüre schon, wie ich verbrenne. Heute ist der dritte Schultag nach den Ferien und schon schwänzen wir. Zu unserer Verteidigung: Die Lehrer waren alle nicht da. Das passiert bei uns nicht selten, die Leute arbeiten hier, wie sie wollen. Hauptsache man kommt irgendwie über die Runden. Auf dieser Seite der Küste läuft alles eher weniger erlaubt ab. Es gibt mehr Schwarzarbeiter als man denkt, aber das spielt hier keine Rolle. Die Menschen versuchen zu überleben und würden alles dafür tun. Wie sollte man sowas verurteilen? Wir haben keine andere Wahl, sogar ich habe schon viel Dreck anstecken, obwohl ich erst achtzehn Jahre alt bin. Hier lernt man schnell auf eigenen Beinen zu stehen, denn hier sind keine Sugar Eltern, die einem das Leben erleichtern. Wenn man auf diesem Teil der Küste aufwächst, wird man schon als Kleinkind ins kalte Wasser geworfen. Und niemand ist da um einen rauszuhelfen.

»Wir sollten uns gleich abkühlen gehen. Es ist heute wärmer als gedacht.« Ich ignoriere Leilas Stimme und halte meine Augen weiterhin geschlossen. Wir verbringen schon den gesamten Vormittag auf Keatons Boot. Es ist ein altes Model und hat einen verkalkten Motor. Nur mit viel Glück von oben funktioniert es noch, dafür frisst das Ding jedoch einen Haufen an Benzin.

»Ich habe den Anker eingeworfen. Spring rein.« Keaton sonnt sich genau wie ich auf dem vorderen Teil des Bootes. Ich liege auf dem Bauch, habe eine Cap auf dem Hinterkopf und trage bloß eine blaue Badehose. In weniger als zwei Stunden müssen Keaton und ich mit der Arbeit beginnen. Wir liefern Autoteile von A nach B, natürlich nur auf unserer Seite der Küste. Ein alter Freund von Keatons Dad stellte uns vor wenigen Wochen ein, da er unbedingt Lieferanten benötigt. Er ist schon zu alt.

»Seth, kommst du mit?«

»Ich lerne.« Ich unterdrücke ein Stöhnen und konzentriere mich viel lieber auf die heißen Sonnenstrahlen auf meinem Rücken. »Ich bezweifle doch sehr, dass wir die Arbeit am Freitag schreiben. Mr Bold ist sicherlich mit anderen Dingen beschäftigt«, raune ich und dann macht Keaton neben mir die Geräusche mit der Nase, als würde er sich gerade irgendeinen Stoff durch die Nase ziehen. Leila kichert kurz auf, dann springt sie ins Wasser. Kalte Tropfen treffen auf meinen Rücken, die perfekte Abkühlung.

»Ich setze meine Zukunft nicht aufs Spiel.«

»Wach auf, Seth!«, faucht Keaton und setzt sich hin. So fühlt es sich jedenfalls an, ich öffne meine Augen nicht. »Du hast keine verdammte Zukunft. Jedenfalls nicht mit einem Bildungsabschluss, dafür lebst du auf der falschen Seite.«

»Vielleicht adoptiert mich einer der reichen Moms.« Ich pruste und habe plötzlich genug vom Sonnen. Mit verschlafenen Augen setze ich mich auf und lehne meinen Rücken gegen den Rand des Bootes. »Bewirb dich bei Nobody. Vielleicht hat sie noch einen Platz als FBI-Agent für dich.«

»Diesen Platz würde Leila viel eher anstreben als ich.« Ich beobachte, wie Seth allen Ernstes durch sein Algebra Buch blättert und so tut, als würde er lernen. »Vielleicht auch nicht«, fährt Keaton fort und holt sich aus unserer Kühltasche ein Bier. Langsam müssen wir sparsamer werden. Die Schule hat wieder begonnen, deswegen haben wir weniger Zeit um Geld anschaffen zu gehen. Die Leute machen es hier einem nicht leicht. Seit Mom im Pflegeheim lebt müssen Ray und ich selbst für uns aufkommen. Man könnte meinen, dass er als großer Bruder in die Vaterrolle des Hauses schlüpft und alles dafür tut um uns über die Runden zu bringen, doch da täuscht man sich gewaltig. Er steckt in einem unendlich, schwarzen Loch du ich habe keine Ahnung wie ich ihn davon befreien kann.

»Leila konnte am Samstag nicht herausfinden, wer sich hinter Nobody versteckt.« Seth unterdrückt ein Schnauben. »Erinnere mich bloß nicht daran. Es war die dümmste Entscheidung gewesen dort aufzutauchen.« Er legt das Buch beiseite und zeigt mit seinem Zeigefinger warnend auf Keaton und mich. »Wieso deutest du auf mich? Ich habe mich- im Gegensatz zu euch- an unsere Abmachung gehalten.« Ich rümpfe wenig berührt mit der Nase und erinnere mich für eine Sekunde an Blondie zurück. Ich wünsche mir die eine Sekunde meines Lebens zurück. Hast du mich gehört Universum? Keine Zeit der Welt ist es Wert an Blondie zu denken. Pure Zeitverschwendung.

»Ich hätte das mit dem Bastard klären können, ich wollte nur keine Schlägerei anzetteln.« Seth rollt mit den Augen. Anscheinend hat er genug vom Lernen.

»Du weißt ganz genau wie es dort abläuft. Auch wenn dich dort jemand abknallen würde, würde nicht der Täter in den Knast landen, sondern du. Ganz egal was du machst, die da drüben sind und bleiben die Gewinner.« Keaton pfeffert seine Bierdose über das Deck des Bootes. Etwas von der Flüssigkeit verteilt sich auf dem Boden und ich widerstehe dem Drang ihn anzubrüllen nicht so verschwenderisch zu sein.

»Sie bekommen alles in den Arsch geschoben und das soll endlich aufhören! Deswegen habe ich auch der Schlampe etwas ins Getränk gemischt.« Die Rädchen meines Gehirns beginnen an sich zu drehen. Ich erinnere mich an den Anblick zurück, als ich Blondie beobachtet habe (übrigens hätte ich diese Zeit auch gerne wieder zurück). Sie starrte in ihren Becher, wenig später versuchte sie Leila vom Boden aufzuhelfen, dann verlor sie das Bewusstsein. Als die Bullen drohten aufzutauchen, sind wir vier abgehauen. Wir rannten zu den Hütten, versteckten uns eine Weile dort und schlenderten dann zu unserem Jeep. Als wären wir niemals dort gewesen.

»Du hast das echt getan?«, frage ich leicht geschockt. Und dass ich so reagiere, schockiert mich ebenfalls. Seth und auch Keaton starren mich an, als hätte ich sie nicht mehr alle. Keatons Stirn liegt in Falten. »Ja? Das hätte dir direkt klar sein müssen, als du den neuen Artikel von Nobody gelesen hast. Natürlich hatte ich da meine Finger im Spiel.«

»Ich habe keinen neuen Artikel gelesen. Ich bin kein Abonnent dieser Zeitverschwendung.« Ich rolle mit den Augen.

»Denkst du ich? Leila hat es mir unter die Nase gehalten. Ich dachte sie hätte es euch auch gezeigt.« Kurz schaue ich rüber ins Wasser und erkenne wie Leila sich gelassen auf dem Rücken treiben lässt. Das Meer ist heute besonders ruhig, wir sind nicht allzu weit vom Strand entfernt.

»Nein, hat sie nicht. Was hast du ihr gegeben?« Meine Neugierde überrascht selbst mich. Ist mir doch scheiß egal, dass diese Prinzessin erneut im schlechten Licht steht. Es ist gut so, die dunklen Seiten der Menschen sollen gefälligst aufgedeckt werden. Immerhin kann ich es ihr nicht verzeihen, was sie mit meinem Bruder angestellt hat. Nur wegen ihr steckt er in diesem Emotionalen Loch.

»Wieso interessiert es dich auf einmal? Die Party ist schon ein paar Tage her.« Seth mustert mich skeptisch, als wäre ich krank. »Es interessiert mich nicht«, antworte ich trocken.

»Ich habe ihr K.O Tropfen in den Drink geschüttet, damit Madame versteht mit wem sie sich angelegt hat.«

»Angelegt hat? Alle auf der Seite der Küste sind wie sie.«

»Nimmst du sie in Schutz?« Seth reißt die Augen auf, woraufhin ich anfange zu lachen. »Niemals.« Ich lasse meine Knöchel knacksen und stehe auf. »Woher hast du das Zeug überhaupt?« Ich rage vor Keaton, der desinteressiert an der Kühltasche spielt. »Dein Bruder kennt da jemanden.« Meine Nasenflügel blähen sich auf, doch ich gebe mich diesem Gefühl nicht hin. »War ja klar.«

»Es ist doch scheiß egal, von wem ich das Zeug habe. Das Wichtige ist, dass ich es getan habe. Die reichen Kids kriegen immer was sie wollen, aber nie was sie verdienen. Das haben wir an dem Bastard gesehen, der Leila an die Wäsche wollt. Das mit den Tropfen war unsere Rache an der Aktion, also komm runter.«

»Leider Gottes muss ich Keaton recht geben.« Seth steht ebenfalls auf und räumt seine Bücher in seinen kaputten Rucksack. »Die Leute da drüben wissen nicht, wie gut sie es haben und du hast gemerkt, wie sie auf uns scheißen. Das mit Leila am Samstag war nur ein Beispiel, aber wir beenden das. Die Zeit der Rache ist gekommen.«

Da ich mir das nicht länger anhören kann mache ich einen Kopfsprung ins Wasser und widerstehe dem Drang niemals mehr aufzutauchen. 

Broken Shine - Wenn aus Rache Liebe wird 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt