Chase
Ich habe sie fallen lassen.
Ich habe Melody Princeton einfach aus meinen Händen rutschen lassen und musste das Geräusche ertragen, als ihr zierlicher Körper aufs harte Parkett gestoßen ist.
Ich habe keinen Schimmer was mich dazu gebracht hat sie einfach fallen zu lassen, allerdings weiß ich auch nicht, wieso ich sie überhaupt erst aufgefangen habe. Als ich mit dem Werfen fertig war, konnte ich nicht anders als stehen zu bleiben, damit ich sie weiter beobachten kann. Jedem in diesem Raum muss aufgefallen sein, dass wir beide irgendein Problem miteinander haben. Oder auch keine Probleme miteinander haben, dafür aber etwas anderes. Immerhin standen wir minutenlang stumm nebeneinander ohne die gottverdammte Kugel zu werfen.
Als ich dann mitansehen musste, wie sie den Halt unter ihren Füßen verloren hat und umkippte, handelte ich in Windeseile. Innerhalb von Sekunden habe ich ihren Körper in den Händen getragen und war nur froh, dass sie die Bowlingkugel auf den Boden fallen lassen hat. Es hätte schlimmer enden können, sie hätte sich die schwere Kugel auch auf den Kopf schmettern können. In meinem Körper befand sich uhrplötzlich so viel Adrenalin, doch als ich sie sicher in meinen Armen hin und her wiegen konnte, entspannte ich mich allmählich.
Keine Ahnung, woher auf einmal dieser krasse Beschützerinstinkt herkommt. Ich schiebe es auf Leila. Wir kennen uns schon unser Leben lang und ich schrecke vor nichts zurück um sie aus verzwickten Situationen zu retten. Das lernt man sich an, wenn man mit zierlichen, kleinen Mädchen leben muss. Man hat den Drang sie vor allem und jedem beschützen zu wollen.
Doch diesmal hätte jemand anderes Melody vor mir beschützen müssen.
Nachdem ich sie vor einem harten Aufprall beschützt habe.
»Melody!« Ihre Freunde stürmen auf uns zu. Erst jetzt wache ich aus meiner Starre auf und erhebe mich mit schwachen Beinen. Kurz starre ich vor meine eigenen Füße, wo Melody auf dem Rücken liegt, und gerade dabei ist sich aufzusetzen. Ihr Gesicht hat sie schmerzerfüllt verzogen, sie reibt sich mit ihrer rechten Hand den unteren Rücken.
Ein furchtbar schlechtes Gewissen überkommt mich, doch dann tauchen die Bilder von meiner Mom im Krankenhaus auf. Sie hatte es schlimmer erwischt als Melody jetzt.
Unsere Blicke kreuzen sich für einen kurzen Augenblick, ich presse meinen Kiefer fest zusammen. Melody wirkt völlig aufgelöst, sie sieht mich mit ihren runden Augen an, als würde sie ergründen wollen, weshalb ich ihr so etwas antue. Warum ich ihr so etwas antue, nachdem wir uns im Museum so prächtig verstanden haben.
Da ich es keine Sekunde länger hier aushalte mache ich kehrt und verlasse wie ein Besessener die Bowlinghalle. Ich muss dringend an die frische Luft! Zum Glück kommt mir auf den Weg nach oben niemand in die Quere, in mir herrscht wieder zu viel Adrenalin. Als ich nach draußen trete und den dunklen Nachthimmel erblicke atme ich erleichtert aus. Ich laufe am Deck entlang und schaue auf das Wasser runter. Nur wenige Minuten später wird meine Ruhe gestört, da meine Freunde mir gefolgt waren.
»Chase!« Leila scheint aufgebracht zu sein. Ich bleibe nicht stehen, sondern laufe weiter am Geländer entlang. Auf einen Vortrag kann ich gut verzichten. Keaton überholt mich mit einer verblüfften Geschwindigkeit und schubst mich zurück, sodass ich nicht weiter laufen kann.
»Was sollte der Scheiß?«, fährt er mich wütend an. Wow. Ich verziehe das Gesicht und stemme die Arme vor die Brust.
»Was das sollte?«, wiederhole ich. Leila und Seth tauchen nun auch vor mir auf, Leila ist ganz außer Puste. Tja, so ist das eben mit kurzen Beinen.
»Wieso hast du sie fallen lassen, alter? Das war doch pure Absicht«, stellt Seth fest und reibt sich die Schläfre. Er wirkt aufgelöst, als würde es hierbei um seine Schwester gehen. »Wir können mächtigen Ärger bekommen, wenn sie das petzt. Die Lehrer werden Wind davon bekommen und dann kann ich mir meine Zukunft abschminken.« Daher weht der Wind. Seth nimmt die ganze Sache mit der Schule und der Bildung ernst und das schlimme ist, ich kann es ihm nicht verübeln. Um aus dem Höllenloch zu verschwinden, welches wir Zuhause nennen, muss er schulisch glänzen um eine faire Chance in der Berufswelt zu bekommen. Seth ist der gebildetste von uns allen, er ist ziemlich zielstrebig. Er hat es verdient eine ordentliche Ausbildung machen zu können.
»Es geht hier nicht darum, dass sie es petzen kann, Seth!« Leila schlägt ihm leicht gegen die Schulter, dann fixiert sie mich. »Wieso machst du sowas? Es schien als hätte sie sich verletzt.«
Das schlechte Gewissen packt mich erneut, doch ich muss es abschütteln.
»Sie hat es verdient«, presse ich scharf hervor. Keaton schnaubt und rümpft sich die Nase. »Ich gebe es ungern zu, aber das hat sie nicht. Du kannst sie nicht erst auffangen und dann fallen lassen. Das war echt eine Scheißaktion.«
»Gerade du möchtest mir einen Vortrag halten darüber, wie man sich richtig verhält? Du hast ihr viel schlimmere Sachen an den Kopf geworfen und überhaupt hegst du den Hass zu den reichen Kids am meisten.« Keaton taxiert mich mit zusammengepressten Lidern. »Das mag sein, aber ich würde niemals so weit gehen und jemanden von ihnen absichtlich verletzen. Jedenfalls nicht bei den weiblichen Personen.« Ich schlucke, dann richte ich meinen Blick Richtung Wasser.
»Ich weiß auch nicht was in mich gefahren ist, okay? Sie hat es verdient, verstanden?«
»Das hast du vorhin schon behauptet. Wieso hat sie es denn verdient?« Leila verschränkt die Arme vor der Brust. Ich erinnere mich ungern an die Zeit damals zurück, doch wenn ich möchte, dass meine Freunde mein Verhalten verstehen, muss ich es tun.
»Wisst ihr noch damals die Sache mit meinem Bruder und meiner Mom?«
»Und mit Rays Freundin?«, fragt Seth. Ich nicke und forme meine Hände zu festen Fäusten.
»Sie war das.« Leila schnappt fassungslos nach Luft. »Melody Princeton war dafür verantwortlich und deswegen verdient sie alles was ich ihr zugefügt habe.« Keaton mustert mich überlegend, als müsste er darüber nachdenken, ob er mir glauben schenken kann, oder nicht. Schließlich atmet er ergebend aus und legt mir seine schwere Hand auf die Schulter.
»Das hättest du uns direkt sagen sollen, Bro. Wir waren damals für dich da und das wird sich nicht ändern.«
Und ich weiß, dass ich auf meine Freunde zählen kann. Sie sind fast alles was mir geblieben ist.
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Broken Shine - Wenn aus Rache Liebe wird 1
RomanceRache ist süß. Aber was passiert, wenn sich dein Herz einmischt? Was geschieht, wenn aus Rache bitteres Verlangen wird? Diese Frage stellt sich Chase Woodchuck, als er ohne Vorwarnung in Melody Princetons Leben tritt und eine offene Rechnung begl...