Kapitel 17

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Melody

Der Wind weht mir durch die blonden Strähnchen, während ich den Highway auf dem Weg zu der Firma meines Dads befahre. Es ist Freitagnachmittag, normalerweise würde ich meinen Nachmittag anders verbringen, aber Dad besteht darauf, dass ich ihm seine rote Mappe mit Informationen über einen neuen Lieferanten vorbeibringe. Er hat sie heute Morgen Zuhause liegen lassen, nun darf ich den Boten spielen. Nachdem ich meine Pflichten als unerwünschte Tochter erfüllt habe, fahre ich rüber zu Nate, die anderen sind auch schon dort. Wir wollen morgen nach Charleston fahren um ein wenig rauszukommen. In wenigen Wochen findet schon die Klassenfahrt auf See statt, Blair, Rachel und ich haben noch keine Outfits für diese Tage. Da war dieses Problem noch dringend lösen müssen haben sich die Jungs bereit erklärt uns in die Stadt mit der größten Mall in unserem Umkreis zu begleiten. Danach wollen wir noch in eine Bar, nur aus diesem Grund haben sich Nate und Zed bereit erklärt. Das wir sie mitnehmen, damit sie unsere Taschen tragen haben wir drei für uns behalten. Sie erfahren früh genug von ihrem Schicksal.

Dads Firma ist ungefähr eine halbe Stunde von unserem Haus entfernt und befindet sich abseits der Küste. Die Firma wurde in der Nähe des Festlandes gebaut, der Salzgeruch des Meeres verschwimmt hinter mir. Die Fenster meines Fiats sind geöffnet, ebenso das Schiebedach oben. Ich merke förmlich, wenn ich mich von meiner Heimatstadt entferne. Sonst verfolgt mich der Geruch nach Meeressalz, sogar meine Haare haben diesen Duft schon angenommen, aber je weiter ich fahre, desto mehr entferne ich mich meiner Komfortzone.

Die Musik läuft auf ganz laut, ich genieße den Wind, der mir durch die Haare weht und blende für einigen Minuten mein gesamtes Leben aus. Ich möchte weder daran denken gleich meinen Dad zu sehen, noch dass ich später wieder zurück in das Höllenloch kriechen muss, welches sich mein Zuhause nennt. Ich erkenne das Webeschild meines Dads, die Firma befindet sich nur noch fünf Meilen entfernt. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal hier gewesen bin. Als Kind war ich öfters hier, da Mom Zeit für sich wollte und ich trotzdem irgendwo untergebracht werden musste. Dad sperrte mich dann meistens mit Malsachen in sein Büro, oder verpflichtete einen seiner Mitarbeiter dazu sich um mich zu kümmern. In den letzten Jahren war ich ziemlich selten hier gewesen, nie hatte Dad mich dazu gebeten ihm irgendwelche Mappen zu liefern. Er hätte genau so gut Mom darum beten können, das hätte mir so einiges erspart. Es macht mir nichts aus diese Strecke für ihn zurückzulegen, aber der emotionaler Schmerz ist unvermeidbar.

Ich erreiche den Besucherparkplatz der Firma und steige mit einem mulmigen Gefühl aus meinem Fiat. Dads Firma erstreckt sich über eine gesamte Straße, weit und breit sind keine Wohnhäuser zu sehen. Die große Lagerhalle und die Produktionshalle befindet sich weiter hinten, ich habe direkt an dem Empfangsbüro geparkt, da Dad meistens im Büro sitzt und nichts in den Hallen zu suchen hat. Er hat schon über hundert Mitarbeiter, jeder kennt Dads Firma. Da rundherum nur Küstenstädte von uns sind, ist Dads Arbeit hier nicht wegzudenken, er bekommt genügend Aufträge. Eigentlich könnte Dad sich langsam entspannt zurücklehnen und den Dingen ihren Lauf lassen ohne hier jeden Tag im Büro zu arbeiten. Mit dem Geld, welches er verdient, könnte er locker Zuhause bleiben, oder Homeoffice machen, aber das zieht er nicht einmal in Erwägung. Wahrscheinlich da er mich so nicht besonders oft zu Gesicht bekommt.

Seufzend trete ich die Glastür zum Empfangsbereich auf, in meiner Hand liegt die Mappe meines Dads. Mrs Ashton, Dads Sekretärin sitzt am Empfang und sieht von ihrem Computer hoch, als sie mich erkennt.

»Oh Miss Princeton. Sie habe ich schon ewig nicht mehr gesehen.« Sie hat blondes Haar die so lange sind wie meine eigenen. Nur ist sie Mitte Dreißig, hat schon einige Falten im Gesicht und sie denkt ihr roter Lippenstift würde sie jünger zaubern. Wenn sie das wirklich denkt, macht sie sich was vor. »Ich soll für meinen Dad eine Mappe abgeben. Wo steckt er?«, frage ich desinteressiert und denke gar nicht darüber nach sie vernünftig zu Begrüßen. Immerhin tat sie das auch nicht. Mrs Ashton mustert mich eine Weile als müsse sie mich genaustens unter die Lupe nehmen, bevor ich meinen Dad sehen kann. Am liebsten würde ich die Mappe einfach hier am Empfang abgegeben und wieder verschwinden, aber so leicht wird mir das nicht gemacht. »Ihr Dad hat nichts von einer Mappe erwähnt. Ich rufe ihn am besten Mal an.« Augenrollend stemme ich meinen Ellenbogen an dem Tresen ab und sehe mich gelangweilt im Raum herum, während ich warte. Mrs Ashton greift stets nach dem Telefon und drückt einige Tasten, bevor sie sich den Hörer ans Ohr presst. Mir kommt es vor, als würde sie sich extrem viel Zeit lassen und das nur um mich zu ärgern. »Leider geht keiner dran, Mäuschen.« Sie legt den Hörer wieder ab und beäugt mich lächelnd. Ich merke ihr an, dass sie es genießt. »Dann werde ich einfach in sein Büro gehen und dort auf ihn warten. Es war mir ein Vergnügen Sie wiederzusehen.« Ich schenke ihr mein breitestes Lächeln, dann marschiere ich rüber zu der Tür neben ihrem Tresen. Meine Hand liegt schon am Türgriff, da drehe ich meinen Oberköper noch einmal zu ihr herum. »Aber wenn ich so darüber nachdenke, stimmt das gar nicht. Wenn ich hier raus bin, werde ich mich wohl erst einmal in einem Mülleimer übergeben müssen, damit mir ihr Anblick erspart bleibt.« Bevor Mrs Ashton einen auf beleidigte Leberwurst machen kann, stoße ich die Tür auf und betrete den langen Flur. Dads Büro liegt am Ende des Ganges, ich bin froh, dass ich auf dem Weg dorthin keinem Menschen mehr begegne. Ohne zu klopfen, betrete ich Dads Büro und stelle genervt fest, dass er sich nicht darin befindet. Der Raum ist ordentlich hinterlassen worden, unzählige Ordner stapeln sich auf den ganzen Regalen. Der Schreibtisch meines Dads ist aufgeräumt. Erst überlege ich hier auf ihn zu warten, doch darauf habe ich keine Lust. Wer weiß wie lange er weg bleibt, außerdem muss ich zu meinen Freunden. Ohne zu überlegen, wo ich lang gehe, verlasse ich Dads Büro und steuere auf die Tür zu auf der »Nur für Mitarbeiter« geschrieben steht. Der Geruch von Öl und Metall dringt mir in die Nase, ich habe diesen Geruch noch nie gemocht. Eine schwere Metalltür liegt vor mir, die ich mit voller Kraft aufdrücke, dann gelange ich in die Lagerhalle. Die Halle ist größer als ich sie mir vorgestellt habe. Einige Gabelstapler stehen reichts an der Wand, hohe Regale mit verpackten Materialien schmücken den Raum und die Decke erstreckt sich ganz oben am Himmel. Einige Mitarbeiter in blauen Arbeitsklamotten laufen an mir vorbei und transportieren eine große Platte, die aussieht wie eine Tür eines Bootes. Sie beachten mich nicht, nur ein etwas jüngerer Mitarbeiter scannt meinen Körper kurz ab, bevor er sich wieder auf das schwere Ding in seinen Händen konzentriert. Kurz schaue ich an mir selbst hinab, ich habe schon ganz vergessen was ich trage. Ich habe mir ein gelbes Sommerkleid mit weißen Blümchen angezogen, dazu weiße Boots. Es ist unglaublich kalt in diesen Hallen, kein Wunder, dass Dad immer mit einem dickeren Anzug her kommt. Ah, genau Dad. Ich muss ihn finden, dann kann ich endlich von hier verschwinden.

Broken Shine - Wenn aus Rache Liebe wird 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt