Kapitel 20

440 39 0
                                    

In weniger als einer halben Stunde erreiche ich die North-Coast-High und erinnere mich an die Straße. Hier haben wir gehalten, als Zed im Schulgebäude den Flyer fand. Meine Navigation führt mich weiter und verspricht mir, dass ich in vier Minuten mein Ziel erreicht habe. Durch meine Adern schießt pure Energie und Adrenalin, ich fühle mich, als würde ich in meinem Auto schweben können. Immer wieder taucht Chase Gesicht vor meinem Inneren auf, wie er reagiert hatte, als ich seinen Namen laut über die Lippen gebracht habe. Ich habe meinen Freunden nichts von alledem berichtet, weil ich mir noch nicht klar war, ob ich Chase und seine Freunde wirklich ans Messer liefern wollte. Wie konnte ich so naiv und dämlich sein? Das war ein gewaltiger Schnitt in meinem Charakter, so etwas wird mir nicht mehr passieren. Das ist bloß geschehen, da ich mich selbst angezweifelt habe. Ich habe tatsächlich darüber nachgedacht zu versuchen ein besserer Mensch zu werden und wofür? Man sieht, wohin es führen kann, wenn man nicht ständig auf der Hut ist.

Ich verlasse die Hauptstraße und biege ihn eine ziemlich wacklige Straße aus Kieselsteinchen ein. Die Straße wirkt eher wie nur für Fußgänger gedacht, aber mir ist alles egal. Keine Menschenseele ist zu erkennen, auch nicht, als ich unerwartet zum Stehen komme, da Reifen den Weg versperren. Drei schwarze Reifen liegen in einer Reihe auf dem Kieselweg und hindern mich daran, die Straße weiter zu befahren. Ich schalte den Motor ab und schaue noch einmal aufs Navi. Chase Behausung sollte in zwanzig Metern auf der linken Seite sein, das werde ich schon ohne Navigation schaffen. Mit meinem Handy und meinem Autoschlüssel ausgestattet passiere ich den Weg, umrunde die Reifen und stolpere beinahe über meine eigenen Beine. Es ist gruselig, wie ruhig es in dieser Gegend ist. Links und rechts von mir stehen vereinzelte Hütten, die ziemlich schäbig und runtergekommen wirken. Sie zeugen nicht den Anschein, dass jemand in ihnen lebt, aber so muss es sein. Man merkt den Unterschied zu den Häusern in unserem Vierteil eindeutig. Zumal man diese Behausungen nicht als Häuser bezeichnen kann. Sie wirken wie die Strandhäuser in unserer Gegend, nur kaputter und ohne Leben. Das Gras ist trocken, die Bäume ebenso. Hier gibt es keine staatlichen Gärtner, die unsere Pflanzen und Bäume erblühen lassen. Einige Fensterscheiben sind zerbrochen, viel lieber konzentriere ich mich auf mein eigentliches Ziel. In meiner emotionalen Verfassung fällt es mir ohnehin schwer Mitleid mit den Menschen hier zu haben. Der Kieselweg endet und ich halte abrupt inne. Geradeaus kann ich einen langen Steg entdecken, der am Wasser grenzt. Ich gelange auf ein Stück Wiese, viele Bäume schmücken den Platz. Dann erkenne ich eine braune Hütte, die sich etwas Abseits von den anderen platziert hat.

Als würden meine Beine über den Boden fliegen können rase ich auf die Hütte zu und suche nach irgendwelchen Personen, aber niemand hält sich draußen auf. Zähneknirschend bleibe ich vor den paar Treppenstufen stehen, die zur Veranda führen. Das Holz sieht feucht aus und in den Stufen sind einige Löcher. Meine Kehle wird staub trocken, wenn ich mir vorstelle, dass Chase hier lebt. Meine Eltern haben zwar viele Ecken und Kanten, aber ich musste noch nie in meinem Leben in so einer Unterkunft übernachten. Hier hat man ja Angst, dass nachts die Dielen runterfallen und dich vernichten. Und ich möchte mir gar nicht vorstellen wie viele Ungeziefer hier nachts rumkrabbeln. Obwohl, wenn ich so recht darüber nachdenke, gehört Chase genau hier her. Ungeziefer zu Ungeziefer, nicht?

Bevor ich meinen Einbruch wage, atme ich noch einmal tief durch. Dann erklimme ich die wenigen Stufen zur Veranda und höre, wie das Holz unter meinem Gewicht knarzt. Auf der Veranda steht eine alte Couch in der Farbe des Mooses. Unzählige Bierdosen liegen auf dem Boden verteilt und als ich auf die Tür schaue, stelle ich fest wie einfach die Sache hier ist. Die Tür ist nichts weiter als ein Gitter gegen unerwünschte Parasiten. Mit meinem Fuß stoße ich das Gitter auf und zögere nicht länger als ich hinein trete. Der Geruch von Sandelholz und abgestandenem Bier dringt durch meine Nase und bezweckt, dass ich mein Gesicht angewidert verziehe. Hier riecht es wie in einem Suff, wodurch mein Verdacht noch mehr verstärkt wird. Wenn man bedenkt aus welchen Reihen Chase und seine Freunde kommen ist es nur typisch, dass er mir die Drogen untergejubelt hat. Augenblicklich erinnere ich mich an das zornige Gesicht meiner Mom zurück und an die Tatsache, dass sie sich bloß um unseren Ruf sorgen gemacht hat. Ich forme meine Hände zu festen Fäusten und drücke die Zähne zusammen, dann knalle ich das Gitter zu und nehme Chase Hütte unter die Lupe. Eine grüne Ausziehcouch steht rechts, Chipstüten und andere Abfälle liegen darauf. Der Boden knarzt unter meinen Füßen, egal, wie langsam ich ein Fuß vor den anderen setze. Die Gardinen an den Fenstern sind zugezogen, generell ist es sehr schwül in der Hütte und hier fehlt eindeutig die Luftfeuchtigkeit. Kein Wunder, dass Chase so ist wie er ist. Er gelangt nicht an genügend Sauerstoff um seinen Menschenverstand standzuhalten. Und wieso versuche ich sein Verhalten mit komischen Argumenten zu rechtfertigen?

Broken Shine - Wenn aus Rache Liebe wird 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt