Broken Shine - Wenn aus Rache Liebe wird 1

Kapitel 60

Melody

So fühlt sich also ein gebrochenes Herz an.

Es fühlt sich an, als hätte dir jemand ein scharfes Messer an die Brust gesetzt und je länger du versuchst vor den Ereignissen wegzurennen, desto tiefer rutscht das Messer in dein Herz. Es ist das Gefühl nicht atmen zu können, obwohl deine Atemwege und deine Lungen frei sind. Mir rinnen Tränen über die Wangen, sie befeuchten mein gesamtes Gesicht und sorgen dafür, dass ich etwas fühlen muss. In den ganzen letzten Jahren habe ich mit Absicht vermieden zu weinen. Ich wollte nichts fühlen, mich in nichts hineinsteigern. Ich wollte bloß Leben, ohne mich mit irgendwelchen Emotionen rumschlagen zu müssen. Dann ließ ich einen Menschen in mein Leben, der es nicht verdient hat. Der mich nun in ein dunkles Loch zieht, aus dem ich nicht mehr rauskommen werde.

Ich bin am Ende, völlig am Ende.

Niemand hat mitbekommen, wie ich die Strandbar verlassen habe. Obwohl nein, das stimmt nicht. Sie haben es mitbekommen, da sich alle um uns angehäuft haben. Trotzdem haben sie nicht gesehen, wie ich hinter der Hütte verschwunden bin und die Flucht ergriffen habe. Mein Handy klingelt andauernd in meiner kleinen Tasche, doch ich mache mir nicht einmal die Mühe um nachzuschauen wer es ist. Weil ich mit niemanden reden möchte.

Es ist schließlich mein gebrochenes Herz, also komme ich auch allein damit klar.

Ich brauche niemanden der mir versichert, dass alles wieder gut wird, denn so ist es nicht. Chase hat mich ausgenutzt, weil er dachte, dass ich das Mädchen war, mit dem sein Bruder den Sommer vor zwei Jahren verbracht hat. Ich erinnere mich nicht mehr an alle Einzelheiten, da es der Sommer ist, an denen meine Freundinnen und ich nicht mehr zurückdenken.

Es geschah am Anfang der Ferien. Blair lernte Ray bei einer Party am Strand kennen, da er und seine Freunde sich dahin geschlichen haben, obwohl sie zur anderen Seite der Küste gehören. Blair wusste anfangs nichts davon und ließ sich auf ihn ein. Sie verbrachten den halben Sommer zusammen, sie waren wie ein Pärchen. Doch das alles blieb geheim, nur Rachel und ich wussten davon. Blair besuchte Ray niemals bei sich zuhause, bis auf das eine Mal. Sie trafen sich in seinem Tattoo Studio, welches im zweiten Stock über einem Gemüseladen lag. Sie knutschten hinter dem Tresen, bis jemand an der Tür klopfte. Ich weiß nicht mehr genau wie alles geschah, aber die beiden wurden panisch. Ray zog Blair eilig bis zu dem Balkon, der geöffnet stand. Vollgepumpt mit Adrenalin schubste Ray Blair nach draußen und dann geschah es. Die beiden hatten keine Ahnung, dass sich die Mom von Ray auf dem Balkon befand. Durch den Stoß, den Ray Blair gegeben hat, stolperte Rays Mom nach hinten und fiel über das Geländer des Balkons.

Sie kam direkt ins Krankenhaus, das war der letzte Tag an denen sich die beiden gesehen haben. Blair hatte schreckliche Angst und wusste nicht was sie tun sollte. Sie wollte das alles doch nicht und ihre Eltern würden ausflippen. Zum Glück bestand Ray nicht darauf, dass sie die Schuld auf sich nehmen soll. Aber Rachel, Blair und ich hielten es für das Beste, dass sie vorgeben, ich wäre das Mädchen gewesen. Die Geschichte mit dem Krankenhaus wurde nie Thema, aber im Zweifelsfall war ich es, die den Sommer mit Ray verbracht hat. Und Ray hält sich an die Story um Blair zu schützen.

Allerdings denkt Chase, dass ich es war. Er denkt ich wäre dafür verantwortlich, dass seine Mom nicht mehr vernünftig laufen kann. Ich habe keinen Schimmer in welchem Zustand sie sich befindet, da ich realistisch gesehen nichts mit dem schrecklichen Unfall zu tun habe.

Chase hat mich ausgenutzt, er hat mir alles nur vorgespielt. Alle Wörter aus seinem Mund waren eine Lüge, nichts war echt.

Keuchend entnehme ich einen Riesenschluck der Weinflasche und verziehe das Gesicht bei dem widerlichen Geschmack. Doch das habe ich verdient, ich habe alles verdient. In meinem Leben habe ich viel verkehrt gemacht, ich habe es verdient so verarscht und belogen worden zu sein. So oft habe ich Menschen hintergangen oder schlecht behandelt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich der Spieß umdreht und ich an der Reihe bin. Und in dieser Nacht zeigt das Messerende eindeutig auf mich.

Ich habe mit Chase geschlafen. Ich habe mich ihm geöffnet und ihm alles von mir gegeben was ich geben kann. Scheiße, ich habe mich in einen Jungen verliebt, der alles nur vorgetäuscht hat. Wieso habe ich auch geglaubt, dass es anders sein könnte? Mir war von Anfang an bewusst, dass Chase mich in den Händen hatte. Schon bei unserer ersten Begegnung auf der Strandparty als er mir den Drink über das Kleid geschüttet hat, wusste ich, dass unsere Zeit noch nicht abgelaufen war. Das da mehr ist.

Und jetzt laufe ich hier am Virginia Beach angetrunken herum und habe das Gefühl mein gesamtes Leben sei wie ein Haufen Scherben zersprungen.

Vor einer Stunde hatte ich noch das Gefühl ich könnte schweben. Ich habe mich in Chase Woodchuck verliebt, ich war festentschlossen mein Leben umzukrempeln. Ich wollte mich zu einem Menschen verwandeln, der es verdient geliebt zu werden. Doch das Schicksal hatte andere Pläne für das Laufband meines Lebens.

Ich habe meinen besten Freund verloren und den Jungen, der mein Herz ganz anders schlagen ließ. Ich habe Nate enttäuscht und so weit gebracht mich zu hassen. Ich hatte nicht den Mut ihm die Wahrheit zu sagen, was schlussendlich dazu geführt hat, dass ich ihn komplett verliere. In meinem Herzen entsteht ein fürchterliches Loch, welches nicht so schnell geheilt werden kann.

Wie kann ich mich jemals wieder im Spiegel anschauen? Alles was ich sehe ist ein verlassenes Mädchen, welches es nicht wert ist, gerettet zu werden. Niemand kann mich aus meinen Qualen befreien und die einzige Person, von der ich annahm, sie könnte es schaffen hat mich nur ausgenutzt. Chase hat mich hintergangen. Diese Erkenntnis passt einfach nicht in meinen Kopf.

Wie kann mein Kopf und mein Herz realisieren, dass alles nur gespielt war, wenn es sich so echt angefühlt hat? Normalerweise bin ich gut darin Menschen zu durchschauen. Verdammt, ich habe schon so oft Leute verarscht, da hätte ich seine Lügen schon drei Mal gegen den Wind riechen müssen.

Doch ich habe nichts davon gesehen, weil er das Licht in meinem Leben war. Meine Rettung. Mein Anker.

Der mich schließlich in den Abgrund gerissen hat.

Irgendwie schaffe ich es bis zum Hafen zu kommen. Ich erkenne schon das Schiff, mein Sichtfeld hat sich verkleinert und ich schwanke etwas herum, doch betrunken bin ich nicht. Obwohl, auch wenn ich es wäre, würde ich es nicht realisieren. Da ich noch nie betrunken war. Ganz nüchtern fühle ich mich nicht, denn mein Kopf ist komischerweise leichter geworden, meine Beine weicher. Die Flasche liegt schwer in meiner Hand, doch ich ringe mich nicht dazu sie irgendwo auf den Boden zu werfen und ich sehe keinen Mülleimer.

Ich komme am Steg an und überquere die Schwelle zwischen Land und Wasser. Kein Arbeiter steht hier um mich reinzulassen, also schlüpfe ich einfach aufs Schiff. Es ist beängstigend ruhig hier, doch als ich das Oberdeck betrete, wünsche ich mir die Stille zurück.

Ms Wesley und Mr Bold stehen wenige Meter von mir entfernt und haben grimmig ihre Arme vor der Brust verschränkt. Sie sehen so aus, als hätten sie schon auf mich gewartet. Angst durchfährt meinen Körper, mein Kopf pocht vor Schmerzen.

»Wir haben Sie bereits erwartet Ms Princeton«, teilt Ms Wesley in einem tiefen Ton an. Ich schlucke und sehe kurz zu der Weinflasche in meiner Hand runter. Ich habe ein Problem, das weiß ich.

»Sie kommen am besten mit. Ihre Eltern sind am Telefon. Dieses Mal scheinen sie kein Erbarmen mehr zu haben.« Mr Bold kommt auf mich zu und greift nach der Weinflasche. Wie ein verscheuchtes Reh weiche ich zurück und folge den beiden dann in den Hauptraum.

Dort bekomme ich eine Videoaufnahme gezeigt, die hier auf dem Schiff aufgenommen wurde.

Ich stecke tief in der Scheiße und habe keine Person mehr, die mir den Rücken stärkt.