Kapitel 62

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Hermione Granger

Ich lauschte seinen tiefen, gleichmäßigen Atemzügen, während mein Kopf noch immer auf seiner Brust ruhte. Dort, wo ich ihn wenige Stunden zuvor abgelegt hatte. Doch anders als er, konnte ich nicht schlafen. Was nicht etwa daran lag, dass ich nicht müde war. Im Gegenteil. Ich fühlte mich erschöpft und ausgelaugt, wenngleich auch berauscht von unserer gemeinsamen Nacht – wenn man das so nennen konnte, schließlich war es ja nicht wirklich Nacht gewesen. Aber jedes Mal, wenn ich meine Augen schloss, wollte mein Kopf einfach keine Ruhe geben. Andauernd musste ich daran denken, dass mir nicht mehr viel Zeit in seiner Nähe blieb und mit jeder Sekunde die verstrich, der Augenblick näher rückte, in dem ich wieder in die Kerker von Hogwarts zurückkehren musste. Und diese kostbare Zeit wollte ich nicht mit schlafen verschwenden. Am meisten machte mich die Ungewissheit fertig, wann ich ihn wieder sehen würde. Ich könnte niemals bis zum Beginn des nächsten Schuljahres warten. Und so lag ich die ganze Zeit wach neben ihm und genoss es, seine Haut auf meiner zu spüren, seinen warmen Körper, der sich an mich schmiegte. Genoss es, seinen Geruch mit jedem Atemzug in mich aufzusaugen und mir tief einzuprägen, damit ich in den einsamen Nächten, die mir zweifelsohne bevorstehen würden, davon zehren könnte. Langsam hob ich meinen Kopf, darauf bedacht, ihn nicht zu wecken und begann ihn ausgiebig zu mustern, wie er so neben mir lag. Er sah so friedlich aus. So glücklich. Wärme breitete sich in meinem Bauch aus bei dem Anblick der sich mir bot. Ein leichtes Lächeln lag in seinen Zügen und ich musste mich zusammenreißen, ihn nicht auf der Stelle zu küssen.

Dann huschte mein Blick zu seinem Hals und mir wurde wieder klar, wie vertraut, aber gleichzeitig auch fremd mir sein Körper war. Die Narbe an seinem Hals fehlte. Das war mir heute Nacht zum ersten Mal richtig aufgefallen. Auch wenn mir diese Tatsache insgeheim natürlich klar gewesen war, war es nochmal etwas anderes es zu sehen und ganz bewusst wahrzunehmen. Und mir war auch aufgefallen, dass sie nicht die einzige Narbe war, die er in dieser Zeit noch nicht hatte. Ich durfte nicht zu genau darüber nachdenken, was er noch alles würde durchmachen müssen, denn mir lief es bereits jetzt schon eiskalt den Rücken hinunter.

Allmählich begann er sich zu bewegen und seine Atmung veränderte sich. Langsam öffnete er die Augen und blinzelte gegen das grelle Licht, welches den Raum durchflutete, an. Schließlich traf sein Blick auf mich und ich wartete gespannt auf seine Reaktion. So ganz konnte man die nämlich nie wirklich abschätzen, denn ich hätte ja auch nicht damit gerechnet, dass ich so ungeschoren davonkommen würde, obwohl ich seine Anweisung in Hogwarts zu bleiben missachtet hatte. Und dass sich das daraus entwickeln würde hätte ich auch beim besten Willen nicht gedacht. Nicht dass ich ein Problem damit hatte. Allerdings könnte sein Ausraster deswegen auch immer noch kommen, obwohl ich das für mehr als unwahrscheinlich hielt. Aber dass er mich jeden Augenblick wieder von sich stoßen würde, damit war ich mir ganz sicher. Es war nur eine Frage der Zeit, wann er dies tun würde. Und wie lange er es aufrechterhalten würde. Vorsichtig drückte ich seine Hand, die ich noch immer hielt. Meine Hoffnungen, dass uns noch ein wenig Zeit bleiben würde, wurden jäh zunichte gemacht, als ich die Veränderung in seinem Gesicht wahrnahm. Seine Züge verhärteten sich und die typische Kälte trat in seine Augen. Seine Maske saß perfekt.

„Ich denke du solltest gehen", knurrte er finster, während er sich ruckartig von mir abwandte und auf der anderen Seite aus dem Bett stieg. Ich erwiderte nichts. Es hatte keinen Sinn. Er hatte ja recht. Es wäre das Beste, wenn ich jetzt ging. Wer wusste schon, wann der nächste Todesser vor seiner Tür auftauchen würde. Wenn sie überhaupt den Anstand besaßen und nicht direkt hereinplatzten. Die Chancen, dass ich noch einmal so viel Glück haben würde wie gestern, standen relativ schlecht. Ich könnte versuchen auf ihn einzureden, mich nicht so von sich fern zu halten. Aber ich würde gegen eine Wand reden. Das war seine Art mit dem Ganzen umzugehen. Ich konnte nur hoffen, dass er auch Sehnsucht nach mir haben würde und mich nicht die ganze Zeit allein in dem Kerker ließ. Nachdem Severus sich schnell angezogen hatte, rief er nach Tipsy, gab ihr die Anweisung mich zurückzubringen und unter gar keinen Umständen je wieder her zu bringen. Dann verließ er das Schlafzimmer und ein klaffendes Loch der Leere breitete sich in meinem Herz aus.

Tipsy schien zu spüren, dass mir gerade nicht nach Reden oder Gesellschaft war und so ließ sie mich sofort allein, als ich wieder in seinen Räumen in Hogwarts war. Aber nicht ohne mich vorher aus großen, traurigen Augen zu mustern und mich auf das Essen aufmerksam zu machen, dass sie extra für mich hergerichtet hatte. Einsam stand ich nun da und starrte die Sandwiches vor mir an. Ich sollte etwas essen. Mein Magen knurrte, aber mir schien, als würde mir die Kraft fehlen. Es war schon eine Ewigkeit her, seit ich das letzte Mal was gegessen hatte. Auch wenn mir überhaupt nicht danach war, zwang ich mich etwas davon hinunterzuwürgen.

Anschließend ließ ich mich kraftlos auf die Couch fallen. Ich würde es jetzt nicht ertragen in seinem Bett zu liegen. Ich erlaubte mir, mich diesen einen Nachmittag schlecht zu fühlen, aber danach musste ich weitermachen. Ich konnte nicht einfach zwei Monate verzweifelt und weinend auf der Couch liegen. Ich würde nicht einfach zwei Monate sinnlos verschwenden. Ich würde ja wohl allein zurechtkommen. Allein.

Allein... Plötzlich wurde mir klar, dass ich vermutlich ganz allein in dem Schloss sein würde. Niemand war in den Sommerferien hier, mit Ausnahme der Geister und vermutlich ein paar Hauselfen. Das hieß ich würde meine ganze Zeit in der Bibliothek verbringen können. Schlagartig kam mir der Gedanke allein hier zu sein gar nicht mehr so grausam vor.

Jetzt könnte ich mich ungestört durch die verbotene Abteilung lesen und außerdem den Stoff für das siebte Jahr lernen, dass ich ja nun schon wieder verpasste. Das machte die ganze Situation wenigstens erträglicher. 

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