Als ich am nächsten Morgen wach wurde wollte ich mich am liebsten nochmal umdrehen, doch daraus wurde nichts. Mein Handy klingelte, sehr laut. Ich war zwar der festen Überzeugung es aus- oder wenigstens stummgeschaltet zu haben, aber machste nichts. Es war Billie. „Morgen", knurrte ich, nachdem ich den Anruf angenommen hatte. „Guten Morgen und Frohe Weihnachten!", er klang fröhlich, ach ja, es war ja Weihnachtsmorgen! „Kommst du runter?", ich grummelte zustimmend und ließ mich dann auf den Rücken fallen. Was zur Hölle lief eigentlich in meinem Leben falsch. Immer noch Todmüde schleppte ich mich ins Bad um Zähne zu putzen und anschließend die Treppe runter. Im Wohnzimmer lagen unter dem Weihnachtsbaum ziemlich viele Geschenke, hatte ich auch irgendwie nicht anders erwartet. Es hatte Harry Potter Charakter, die Szene im ersten Film wo Dudley Dursley Geburtstag hatte. Im Hintergrund dudelte Weihnachtsmusik und alle hatten die gleichen Weihnachtsschlafanzüge an und saßen in der Sofaecke. Alles in allem ein sehr skurriles Bild. „Oh", murmelte ich, „Ich wusste nicht das es einen Dresscode gibt", sie lachten. Irgendwie passte ich schon wieder nicht ins Bild und ich wusste jetzt würde der unangenehmste Teil meines Aufenthalts kommen.
Adrienne deutete auf einen Sessel, „Setz dich doch, ich hab dir einen Tee gekocht", ich nickte und fläzte mich in den Sessel. „Also, seid ihr Bereit für die Bescherung?", fragte Billie ziemlich motiviert in die Runde. Wie viel Kaffee hatte der bitte schon intus? Ich nahm die Teetasse vom Wohnzimmertisch und nippte an dem heißen Getränk. Die Armstrongs hatten irgendein komisches Würfelspiel von dem ich die Regeln nicht wirklich begriff, musst ich auch nicht, weil für mich sowieso kein Geschenk vorgesehen war. Also saß ich in den Sessel gekuschelt, meinen Tee schlürfend da und beobachtete skeptisch die ganze Szenerie. Einer der Hunde hatte sich neben mich gequetscht und den Kopf entspannt auf meinen Oberschenkel gelegt. Jetzt fühlte mich mich wie diese Bösewichte im Film, es fehlte nur noch das diabolische Lachen, die dramatische Musik und ein durchgeknallter Plan.
„Jack, das ist für dich", Billie reichte mir ein kleines Päckchen und riss mich somit aus meiner Vorstellung die Weltherrschaft zu ergreifen um dann Weihnachten zu verbieten. Erstaunt nahm ich es an, „Danke, aber...", Billie schüttelte den Kopf, „Es is Weihnachten, nimm es einfach an". Ich lächelte leicht und sah dann runter auf das Geschenk. Es war mit einem grün weiß gestreiften Geschenkpapier verpackt und hatte eine dunkelrote Samtschleife, vorsichtig zupfte ich an ihr um es zu öffnen. Nachdem ich auch das Papier entfernt hatte, hielt ich ein Multitool in der Hand. „Danke!", ich sah auf in die Runde, „Ich hab nur leider nichts für euch", sagte ich und das schlechte Gewissen kroch mir weiter in den Nacken. Erst quartierte ich mich hier ein, weil ich zu feige war um meine Familienprobleme in den Griff zubekommen und dann hatte ich nicht mal ein Weihnachtsgeschenk für sie. „Das ist doch nicht schlimm", versuchte Adrianne mich zu trösten, ich versuchte ein Lächeln zustande zu bringen, doch selbst das gelang mir nur so halb.
Nach der Bescherung sollte es in die Kirche gehen, doch ich hatte was anderes vor, während die Armstrongs mit dem Auto in die Kirche fuhren blieb ich bei ihnen zu Hause. Auf Google Maps hatte ich gesehen das es bis zu meinem alten zu Hause gar nicht mal soweit mit dem Fahrrad war, in der Garage fand ich ein weißes Hollandrad welches ich mir für mein Vorhaben auslieh.
Etwas mehr als zwanzig Minuten später stand ich erschöpft vor dem Haus meiner Eltern, der Weg war anstrengender gewesen als ich erwartet hatte. Wie damals lehnte ich das Fahrrad gegen die Garagenwand mit dem Wissen das meine Eltern es schon damals gehasst hatten, dann nahm ich zögerlich die kleine Vortreppe zur Haustür und klingelte. Nervös knotete ich meine Finger und wartete bis Jemand zur Tür kam.
Meine Mutter machte auf, sie schlug sich eine Hand vor den Mund, fing an zu weinen und schloss mich dann schließlich in die Arme. Es waren fast genau drei Jahre vergangen seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Sie entschuldigte sich viele Tausend Male, überfordert ließ ich es geschehen. „Komm rein Jacqueline", vorsichtig trat ich in den Flur ein und streifte meine Jacke ab. Viel hatte sich nicht verändert, alles war sauber und an seinem Platz, nichts stand oder hängte schief. Ich atmete tief ein bevor ich den Mund aufmachte, „Willst du einen Tee liebes? Erzähl mal wie geht es dir, was machst du jetzt so?", ich verneinte, „Ich hab nicht all zu viel Zeit und bin nur da um Dad zu Besuchen", sie nickte, aber man konnte ihr ihre Enttäuschung ansehen, „Er liegt im Wohnzimmer". Ich nickte und ging an ihr vorbei durch die Tür, das Wohnzimmer sah genauso aus, wie ich es damals verlassen hatte. Als ob ich nie fort gewesen war. Das einzige was neu war, war das Pflege Bett vor dem Fenster. Von dort hatte man einen wunderschönen Ausblick auf Oakland und an manchen Tagen konnten man sogar einen Teil von der Bay sehen. Mein Vater hatte den Blick zu mir gewandt und ich schluckte und merkte wie meine Hände schwitzig wurden. Aus der Küche konnte ich meine Mutter hören, sie war wohl mit Josie, meiner kleinen Schwester dabei zu backen, das war ihre Weihnachtstradition. Möglichst gefasst wirkend ging ich auf das Krankenbett zu.
„Hey Dad", sagte ich leise, „Meine kleine!", er strahlte, doch trotz seinem Grinsen sah er nicht gut aus. Sein Gesicht wirkte eingefallen und er hatte erheblich abgenommen. Die Haut war fahl und unter seinen Augen waren dunkle Schatten. Ich zog mir einen Stuhl ran und setzte mich einfach nur neben ihn, mir fehlten jegliche Worte. „Jacki, es tut mir so leid. Alles!", er Hustete. „Wie geht es dir? Was machst du jetzt?", „Mir geht es ganz gut. Ich bin momentan viel unterwegs und helfe Chuck und dem Rest der Band auf Tour.". Das ich ab nächsten Jahr das Schlagzeug übernehmen würde lies ich aus, er musste nicht alles wissen. „Kann man denn davon leben?", fragte er und runzelte die Stirn. Ich atmete tief durch, einer der Gründe warum ich ihn nicht besuchen wollte. „Für gerade reicht es und nächstes Jahr sind wir in Europa unterwegs", rückte ich raus, „Sind die Jungs mittlerweile so bekannt?", ich zuckte mit den Schultern, „Naja auf dem besten Weg dahin". „Wenn du möchtest kannst du immer noch studieren und in die Kanzlei mit einsteigen", schlug er mir vor und ich rollte mit den Augen. Seit ich in der Grundschule war wollte mein Vater das ich Ärztin oder Anwältin werde, eine Zeit lang sah ich es auch so, doch dann traf ich Liam und lernte dadurch Chuck kennen und ich begann meine eigenen Zukunftsträume zu haben.
„Nein danke, ich bin zufrieden so wie es ist", lehnte ich ab. „Wie geht es dir denn? Seit wann hast du die Diagnose? Und wie stehen die Chancen?", „Es gibt Tage da habe ich kaum Schmerzen und an anderen hören sie gar nicht mehr auf. Es ist jetzt neun Monate her das wir es erfahren haben, der Arzt hat mir allerdings davon abgeraten eine Chemotherapie zu machen. Der Krebs hat wohl auch schon in andere Organe gestreut, demnach hat er mir nur ein knappes Jahr gegeben.". „Scheiße", murmelte ich, mir viel nichts anderes ein. Meine Mutter kam dazu mit einem Glas Wasser welches sie meinem Vater reichte. „Es wird Zeit für deine Tabletten", ich sah auf die Uhr, „Scheiße! Ich muss los.", ich stellte den Stuhl wieder an seinen Platz. „Kommst du wieder?", fragte mich mein Dad schwach. Ich nickte, „Bevor es nach Europa geht auf jeden Fall". Mit den Worten verließ ich das Haus und beeilte mich zu den Armstrongs zu kommen.
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Hit the Road Jack
RandomAuf Tour mit Green Day, kann es schöners geben? Für Jack aufjedenfall.