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Mein Optimismus in allen Ehren, als ich jedoch den Blick hob und in die Tausenden Gesichter sah, wurde mir wieder schlecht und ich hielt verkrampft die Sticks fest. Chuck drehte sich zu mir um und ich zwang mich zu einem Lächeln, innerlich kämpfte ich mit jeder Phaser meines Körpers dagegen an mich hier und jetzt erneut zu übergeben. Ich sah wieder runter auf die Drums und atmete tief durch, dann hörte ich von Spaghetti das Gitarrenintro und stieg ziemlich gleichzeitig zusammen mit Jimmy in den Song ein.

Ich schaffte es noch mich mit den Jungs vor dem Publikum zu verbeugen, dann sprintete ich schneller als Usain Bolt von der Bühne und übergab mich mehrfach in den nächsten Mülleimer. Ein paar Tränen stiegen mir vor Anstrengung und Luftmangel in die Augen und vor mir verschwamm alles, mein Oberkörper Hob und senkte sich vor Anstrengung. Ich fühlte mich, als hätte ich ohne Vorbereitung einen Marathon gelaufen. Dann spürte ich eine Hand auf meinem Rücken und ich drehte mich abrupt um.

Chuck stand hinter mir, „Du hast das so gerockt!", rief er lautstark und seiner Stimme nach zu urteilen war er mehr als glücklich. Ich lächelte erschöpft, bestimmt hatte ich noch einen Sabber-Kotzfaden aus dem Mundwinkel hängen. „Danke", brachte ich noch raus, bevor ich mich wieder zum Mülleimer drehte. Chuck hielt mir meine Haare während ich mich erneut Lautstark in den Eimer entleerte. Hoffentlich ging das nicht die ganze Tour lang, sonst wäre ich am Ende um einige Kilo leichter.

„Wir gehen noch an den Merchstand, trink das", er hielt mir eine Flasche Wasser und ein Handtuch hin, „Und dann mach dir dein Gesicht etwas sauber und komm mit!", ich nickte und folgte seinen Anweisungen. „Können wir nicht noch erst duschen?", ich sah in wehleidig an, denn das war ein weiterer Punkt den ich nicht durchdacht hatte, jetzt musste ich auch mit bei der „Öffentlichkeitsarbeit" helfen. All das worüber ich mich all die Jahre lustig gemacht hatte, wie Fotos machen, irgendwelche bescheuerten Beiträge auf Instagram hochladen und Interviews geben, sogar auf TikTok hatten sie einige bescheuerte Videos hochgeladen. Ich verfluchte einmal mehr, das ich mit auf Tour gekommen war.

Ich folgte den Jungs die weißen Gänge entlang bis wir nach etlichen Türen in den Eingangsbereich zum Merchstand kamen. Es war schon ein großer Andrang und ich war direkt überfordert, als ich beobachtete wie die anderen aus der Band sich verhielten kam direkt ein etwas jüngeres Mädchen zu mir an und wollte ein Foto mit mir machen. Bevor ich eine Antwort geben konnte, machte sie ein Selfie mit mir und huschte weiter zu Jimmy. Ich sah bestimmt furchtbar aus, von Chuck hatte ich gegen den Kotzgeruch ein Airwaves bekomme und der penetrante Mentholgeruch überdeckte so gut wie alles.

Ein etwas älterer Typ kam zu mir und wollte ebenfalls ein Bild mit mir, ich hört auf das was mir Chuck geraten hatte, einfach lächeln und nicht hinterfragen.

In den nächsten zwanzig Minuten beantwortete ich ein paar Fragen gab mehr Autogramme als bis jetzt in meinem Leben, genauso wie Selfies oder Gruppenbilder mit der Band inklusive Fan.

Als der Wahnsinn vorbei war und es drauf zuging das Green Day anfing zu spielen huschten wir zurück in den Backstage Bereich.

Ich nahm als erstes eine Dusche als wir in unserem Raum ankamen. Es war das erste Mal an diesem Tag das ich wirklich für mich war, das ich Zeit zum Denken hatte, und es brach mir das Herz, einfach alles. Die Sache mit meinem Dad, generell mit meiner Familie, dann die Sache mit Joey, der Druck den ich mir teils selber machte mit der ganzen Schlagzeugnummer.

Nach der Dusche fühlte ich mich zwar etwas besser, aber immer noch etwas gerädert. Ich föhnte mir die Haare und flocht mir anschließend zwei Zöpfe und dann ging ich die Jungs suchen. Wir hatten abgemacht, damit wir niemand neues mitnehmen mussten, das wir alle gemeinsam jeden Tag auf und abbauten.

Ich fand die Jungs schließlich neben der Bühne, Green Day spielte gerade ihren letzten Song, Time of your life, ich musste etwas schmunzeln, als ich daran dachte wie sehr ich die Band eigentlich nicht leiden konnte, aber dieser Song mich dazu bewegt hatte heute hier zu stehen.

Die Konfettikanone ging los und der Rest der Band ging zu Billie, der bis gerade alleine performt hatte, auf die Bühne und verabschiedeten sich von den Fans. Ich begann Isaacs Schlagzeug auf einen der Rollwagen zu packen, irgendwer hatte es freundlicherweise beim Umbau bereits in die einzelnen Cases gepackt. Jimmy schloss sich mir an und schweigend räumten wir auch den Kram der anderen auf den Wagen.

„Sorry nochmal wegen vorhin", brachte ich zerknirscht raus, als wir durch die langen Gänge zum Ausgang gingen. Er lachte leise, „Schon Okay", mir war das total unangenehm. Schien er wohl zu merken, „Das passiert doch jedem Mal", versuchte er es runter zu spielen. Jetzt lachte ich, „Ich glaub nicht das es standardisiert ist Leute vor Aufregung anzukotzen", „Ich meinte auch eher das Kotzen an sich". Wir scherzten noch etwas über meine Einlage und räumten dabei a la Tetris den Anhänger ein.

Später im Tourbus begann ich meine Sachen aus meinem Gepäck einzuräumen. Der Tourbus war etwas größer als der den wir in der USA hatten, jeder hatte auch etwas mehr an Gepäck dabei denn die Tour würde sehr lang werden. Diesmal bekam ich ein mittleres Bett, über mir schlief Jimmy und unter mir Chuck.

Als ich fertig mit einräumen war fläzte ich mich zu Jimmy in die Sitzgruppe im vorderen Teil und begann mein Buch weiter zu lesen. Nach und nach kamen die anderen dann auch in den Bus. „Du hast wirklich Jimmy angekotzt!?", ich sah böse über den Rand meines Buches zu Frank. „Ja hat sie", antwortete Jimmy für mich und hielt quasi als Beweis eine Mülltüte mit seinen vollgekotzten Klamotten hoch. Frank brach darauf hin in schallendes Gelächter aus und der Rest stimmte ein, was mich unfassbar wütend machte, doch ich riss mich zusammen und zwang mir ein verkrampftes Lächeln auf. In dem Moment wusste ich das dieser Teil der Tour noch anstrengender werden würde als der letzte.

Hit the Road JackWo Geschichten leben. Entdecke jetzt