Der nächste Morgen war hart. Mein Schädel tat weh und ich hoffte das sich Chuck nicht mehr an alles erinnerte. Also explizit an den Teil den meinen Vater betraf. Da er es nicht weiter ansprach ging ich davon aus das ich Glück hatte. Wir frühstückten und dann fuhren dann in den Proberaum um ihn ein bisschen auf Vordermann zu bringen. In den letzten Monaten hatte hier niemand geputzt, tat sonst auch keiner, aber wir beschlossen den Raum aufzuräumen, also leere Flaschen wegzubringen durch zu saugen und wischen, die Fenster zu putzen und die Bar mal ordentlich zu machen. Der Tresen klebte total von verschütteten Getränken.
In einer kleinen Pause rief ich meinen Vermieter an, wie der Stand der Dinge sei. Er verkündete mir das die Handwerker mittlerweile am an der Arbeit waren und das es sich nur noch um Tage handelte, er würde sich melden wenn sie fertig waren.Am Nachmittag kamen Jimmy und Spaghetti vorbei, da waren wir allerdings schon fertig, wir tranken ein paar Bier zusammen und quatschten über Weihnachten, ich klinkte mich aus dem Gespräch aus so gut es ging und ließ lieber die anderen erzählen. Irgendwann fingen wir an zu proben, Isaacs Schlagzeug war viel kleiner als das von Joey, aber es machte schon spaß mit den Jungs zu spielen. Jetzt ohne Publikum war das auch nochmal einfacher, aber mir grauste es davor, wenn da ein volles Stadion vor mir war.
Die Tage vergingen, ich versuchte mich durch das Proben von den Gedanken über Joey frei zu machen, das funktionierte auch gut wenn ich nicht alleine war. Silvester kam und wir feierten im Proberaum, alle aus der Band waren da, sogar Isaac und Lisa kamen, Spaghetti brachte Maria mit. Wir verbrachten einen wunderschönen Abend zusammen und ich konnte für ein paar Stunden das Drama in meinem Leben ignorieren, doch als draußen die ersten Feuerwerkskörper und Raketen gezündet wurden und alle durch den Beginn des neuen Jahres sentimental wurden, dachte ich an Joey. Ich beobachtete Isaac der seine glückliche Lisa im Arm hielt, sie hatte mittlerweile eine richtige Kugel als Bauch, was ihr aber auch irgendwie stand und ich fragte mich ob ich auch mal so glücklich werden würde. Als ich dachte es würde nicht noch kitschiger ging er um Punkt zwölf vor ihr auf die Knie und holte einen Ring aus der Tasche.Am Tag nach Neujahr rief mich mein Vermieter an, meine Wohnung war fertig. Die Jungs halfen mir meine Sachen wieder einzuräumen und von der Versicherung bekam ich sogar noch Geld um beschädigte Gegenstände zu ersetzen. Nach einem weiteren Anstrengendem Tag war meine Wohnung wieder so als ob nie etwas passiert war und ich genoss die Stille um mich herum.
Es waren nur noch sieben Tage bis zum Europa Tour-Start in Turin, meine Nervosität stieg von Tag zu Tag ins unermessliche. Meine Mutter hatte mir die Einladung zu der Beerdigung meines Vaters zu geschickt. Blöderweise fiel der Tag der Beerdigung genau auf den Tag nach unserem Flug, ich telefonierte mit Steven dem Tour Manager und er buchte mir einen späteren Flug.
Am Montag war es dann so weit, ich hatte schon vorgestern alle meine Gepäckstücke zu Chuck gebracht, damit ich nur meinen kleinen Handgepäckkoffer und meinen Rucksack mitnehmen musste. Konzentriert zog ich meinen Eyeliner nach und tuschte mir dann meine Wimpern mit Mascara, dann warf ich einen Blick in den Spiegel, ich war bereit für die Beerdigung. Da ich nach der Beerdigung die am Vormittag stattfand direkt zum Flughafen musste, nahm ich meinen kleinen Rollkoffer und den Rucksack mit. Mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln ging es dann zur Kirche, die direkt an dem Friedhof lag.
Ich konnte schon von weitem meine Mutter erkennen wie sie mit Jeff und Josie vor der Eingangstür standen und die Leute begrüßten die ankamen. Ich wollte mich gerade aus ihrem Blickfeld stehlen, als sich der Blick meiner Mutter und meiner trafen, jetzt gab es kein zurück mehr. Langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen und lief auf den Rest meiner Familie zu.
Josie sah wie immer makellos aus, sie trug ein schwarzes knielanges Kleid, darüber einen teuer aussehenden Wintermantel und ihre Füße hatte sie in ebenfalls schwarze Pumps gezwängt. Ihre Haare und ihr Makeup saßen perfekt. Mein Outfit hingegen war eher spartanisch, eine schwarze ausgewaschene Jeans, abgetragene schwarze Stiefel, ein schlichtes schwarzes Shirt und ein Lederjacke, also eigentlich wie immer.
„Hey", begrüßte ich die drei distanziert, ich hatte extra etwas mehr Abstand zwischen uns gelassen, doch meine Mutter machte zwei Schritte auf mich zu und schloss mich in den Arm, was mich ziemlich überrumpelte. Sie sah ebenfalls super elegant aus in ihrem schwarzen langen Kleid. „Du bist wirklich gekommen", sie wirkte erleichtert. „Wozu der Koffer?", fragte Jeff stirnrunzelnd, bevor ich irgendwie die Beherrschung verlieren konnte, entschied ich mich möglichst neutral ihm gegenüber zu verhalten. „Ich muss nach der Beerdigung direkt zum Flughafen, ich fliege nach Turin", „Ist das nicht in Italien?", fragte Josie und ich nickte, „Was machst du denn da?", fragte Jeff nun wieder, „Ich bin da", ich überlegte kurz, „beruflich unterwegs", das klang irgendwie wichtig und cool. „Ich dachte du arbeitest in diesem", Josie suchte nach einem nicht ganz herabwürdigendes Wort für den ranzigen Supermarkt in dem ich gearbeitet hatte, „Laden", „Nein, ich habe im September gekündigt". „Was machst du jetzt?", sie klang nicht wirklich interessiert und ich hoffte das ich das alles schnell hinter mich bringen konnte. „Ich bin jetzt mit Chucks Band, Negative Love, auf Tour", „Aber das ist doch kein richtiger Job", die Stimme meines Bruders klang herablassend und ich versuchte mich nicht aus der Fassung bringen zu lassen und zuckte deshalb nur mit den Schultern, denn ich wusste das alles was jetzt aus meinem Mund gekommen wäre, nichts nettes gewesen wäre.
Es waren nur noch wenige Minuten bis die Zeremonie beginnen sollte und deshalb traten wir ein, meine Mutter zog mich mit in die erste Reihe, wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich mich nach ganz hinten gestellt.
Für eine Beerdigung für den Menschen den ich bis vor kurzen noch am meisten verabscheut hatte, war es sogar recht schön. Vorne stand in einem Meer aus weißen Rosen die graue edel aussehende Urne und links daneben eine Staffelei mit einer riesigen Leinwand auf der ein Foto von meinem Vater gedruckt worden war. Es waren einige Kerzen herum drapiert und als alle an ihrem Platz waren machte sich eine unangenehm drückende Stille breit, die dann der Pfarrer durchbrach. Er erzählte was für ein toller Mensch mein Vater doch gewesen sei und innerlich keimte in mir schon wieder Verachtung auf. Meine Mutter weinte in Jeffs dunkeln Wollmantel, doch ich vergoss keine Träne.
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Hit the Road Jack
RandomAuf Tour mit Green Day, kann es schöners geben? Für Jack aufjedenfall.