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Die Fahrt im Auto, die in Wahrheit nur etwas über Fünf Minuten dauerte, kam mir ewig vor. Joey fuhr schon schneller als erlaubt, aber es kam mir vor als kämen wir nur im Schneckentempo voran. Fahrig wies ich ihn an wo er abbiegen musste. Als wir das Haus erreichten war ich bereits rausgesprungen bevor Joey den Motor abgestellt hatte. „Soll ich mit reinkommen?", fragte Joey etwas unsicher, ich war bereits an der Haustür und klingelte. „Ja", sagte ich schnell und drückte, nach wenigen Sekunden in denen mir keiner geöffnet hatte hektisch erneut auf die Klingel. Nach ein paar langen Sekunden öffnete meine kleine Schwester Josie, wobei so klein war sie nun auch nicht mehr. Zu Letzt hatte ich sie gesehen da war sie noch fünfzehn, mit Zahnspange und vielen Pickeln. Aber immer noch genauso hochnäsig wie früher.

Ich drängte mich an ihr vorbei und hörte hinter mir sehr verschwommen wie sich Joey bei ihr für mein Verhalten entschuldigte. Schnell stürmte ich ins Wohnzimmer, wo Jeff und meine Mutter am Bett meines Vaters standen. Meine Mutter hielt seine Hand und weinte, Jeff stand neben meiner Mutter und strich ihr über den Rücken. Röchelnd lag mein Vater da, stöhnte aber freudig auf als er mich beim Näherkommen erkannte.

„Jack? Bist du das?", brachte er hervor, brauchte aber selbst dafür seine Zeit und man merkte ihm an das es für ihn sehr anstrengend war. „Ja Dad, ich bin es", meine Stimme klang fremd und brüchig, also ob sie nicht zu mir gehörte. „Ich hatte gehofft das du kommst.", hustete er angestrengt, „Es tut mir alles so leid, ich hätte mich schon viel früher bei dir entschuldigen müssen.", das Husten wurde schlimmer und man konnte die letzten Worte kaum verstehen. Jeder Atemzug den er machte klang rasselnd, also ob eine Pumpe verstopft war. Man sah ihm an, das ihn das alles seine gesamte Kraft kostete.

Schließlich standen wir alle um sein Bett herum. Mom, Josie, Jeff und ich. Joey hielt sich im Hintergrund und wirkte etwas überfordert, konnte ich ihm nicht verdenken, aber gerade auch keine Rücksicht drauf nehmen.

„Dad?", er sah zu mir herüber und ich griff seine Hand, sie war kühl, „Ich verzeihe dir", er lächelte und eine einzelne Träne rann über seine Wange, „Ich danke dir". Ein leichtes Lächeln zog sich über sein Gesicht und wenn ich mich entscheiden müsste war es das ehrlichste und authentischste Lächeln was ich von ihm je gesehen hatte.

Es dauerte noch etwas, dann schloss er die Augen, irgendwann wurde seine Atmung heftiger und setzte dann komplett aus. Meine Mutter rief seinen Namen, Josie weinte und Jeff hatte alle Hände voll zu tun den beiden beizustehen. Ich stand einfach da, in meiner Hand hielt ich immer noch seine und ich spürte wie der Puls immer flacher wurde und dann irgendwann komplett aussetzte.

Er war tot.

Ich schluckte, jetzt rann mir auch eine Träne über die Wange und dann noch eine. Auf meiner Schulter spürte ich eine Hand, ich drehte meinen Kopf und registrieret Joey, der mich jetzt von ihm weg zog und mich in den Arm nahm. Ich weinte in seinen Strickpullover hinein und er strich mir gleichmäßig über den Rücken.

Wir blieben noch eine Weile bei meiner Familie, Mom und Josie waren in der Küche und versuchten sich gegenseitig zu trösten. Jeff stand draußen und rauchte, ich gesellte mich zu ihm.

„Bekomme ich auch eine?", fragte ich vorsichtig in die Stille hinein. Wortlos reichte er mir die Schachtel und ein Feuer. Ich hatte zwar schon vor längerer Zeit aufgehört zu rauchen, aber gerade brauchte ich das Nikotin und diese eine Kippe würde eine Ausnahme bleiben.

Schweigend standen wir in der warmen Dezembersonne auf der Terrasse und rauchten. „Warum erst jetzt?", fragte Jeff in die Stille, ich drehte mich zu ihm, „Was meinst du?", fragte ich irritiert. „Warum bist du erst jetzt gekommen!? Weißt du eigentlich wie schlimm die Zeit für ihn war?", ich sah ihn verständnislos an und klopfte mit dem Zeigefinger meine Asche ab, „Sei doch froh das ich überhaupt gekommen bin", blaffte ich schließlich zurück. „Ach, jetzt sollen wir auch noch froh sein das du es einrichten konntest obwohl du dich einen Dreck für diese Familie interessierst!?", ich fing an zu lachen, „Ich interessiere mich also einen Dreck für diese Familie?", fragte ich ungläubig und war wie er etwas lauter geworden. „Diese Familie hat sich einen Dreck um mich gekümmert! Allen voran er.", ich nickte Richtung Wohnzimmer wo noch der Leichnam meines Vaters lag. „Und das du mich hier gerade so anpflaumst zeigt einfach nur das ich aus gutem Grund abgehauen bin!", ich warf den Zigarettenstummel auf den Boden und machte kehrt, „Tschüss", verabschiedete ich mich noch von ihm.

„Komm Joey! Wir gehen!", meine Worte waren etwas zu laut, dafür aber klar und deutlich. „Jack?", meine Mutter kam aus der Küche geeilt, ihre Augen waren aufgequollen und rot, „Ihr geht schon? Ich dachte...", „Nein Mom", sagte ich fest und bestimmt, „Diese Familie funktioniert nicht für mich!", sagte ich mit fester Stimme.

Dann verließen wir das Haus, aber erst als die Haustür ins Schloss fiel konnte ich eine klare Grenze ziehen. „Los, lass uns fahren", murmelte ich nach ein paar Sekunden und einmal tief durchatmen. Ich stieg in sein Auto und er ebenfalls, „Was ist passiert?", fragte er vorsichtig, „Mein Bruder", erklärte ich kurz und knapp. „Dies Familie ist so kaputt, verlogen und toxisch, das halte ich nicht aus", ich wischte mir die Tränen aus den Augen, schloss selbige kurz und Atmete fünf Mal tief durch. Das hatte mir mein Therapeut mal gezeigt und es funktionierte für mich meistens sehr gut.

Wir standen schon einige Minuten vor der Villa, saßen aber dennoch im Auto. Keiner sagte etwas, bis ich das Schweigen brach, „Es tut mir leid das du das miterleben musstest", entschuldigte ich mich bei ihm, „Und danke für das Fahren". „Das ist doch gar kein Problem", winkte er ab, „Und es muss dir nicht leid tun", wieder Schweigen. „Sag mal, sieht man das ich geweint habe?", ich sah zu ihm rüber, er nahm meine Kopf in die Hände und drehte ihn vorsichtig, „Nein sieht man nicht".

Hit the Road JackWo Geschichten leben. Entdecke jetzt