Kapitel 33

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Plymouth


Seit Stunden saß Eldrid auf ihrem Sofa und starrte das Paket nieder, welches immer noch in der Küche stand. So, als könnte sie es durch reinen Willen dazu bringen, zu verschwinden. Doch das tat es nicht. Zu ihrem Bedauern, denn das hieß, dass sie sich überlegen musste, was sie nun damit anstellte. Seufzend fuhr sie sich durch ihr Haar, welches mittlerweile ein ganzen Stück kürzer war, als noch vor einigen Monaten, denn es reichte ihr nur noch bis knapp über die Schultern.

Sie wollte nicht schon wieder an Loki denken, immerhin hatte sie genau das geschafft weitestgehend die letzten Monate zu vermeiden. Doch nun hatte sie keine Wahl mehr. Normalerweise hätte sie niemals gesagt, dass Naivität zu ihren Charaktereigenschaften zählte, doch was den Gott anging, so lagen da die Dinge vermutlich ein wenig anders. Denn wenn sie ehrlich war, dann hatte sie, seit er ihr das Versprechen gegeben hatte, in einem Teil ihres Herzens immer noch darauf gehofft, dass er zurückkehren würde. Doch dem war nicht so, wie ihr nun endgültig bewusst wurde.

Ihr Herz wollte ihr brechen, als sie aufstand und damit kämpfte, die Tränen zurückzuhalten. Schniefend schnappte sie sich das Paket und eine winzige Schachtel aus einer der Küchenschubladen. Damit verließ sie die Wohnung und ging das Treppenhaus immer weiter nach oben, bis sie schließlich an einer alt aussehenden Metalltür ankam. Diese gab ein quietschendes Jaulen von sich, als sie sie mit aller Kraft aufstieß und die heruntergekommene Dachterrasse betrat. Von seinem vermutlich ehemaligen Glanz war nicht mehr viel übrig geblieben außer ein paar alten Müllsäcken und zwei klapprigen Stühlen, die sich an der Seite befanden.

Eldrid steuerte genau auf diese zu. Und während sie das Paket auf den einen Stuhl abstellte, setzte sie sich mit größter Vorsicht auf den anderen. Dieser ächzte unter ihrem zarten Gewicht und sie war bereit, jederzeit aufzuspringen, sollte er vollständig unter ihr zusammenbrechen. Mit zittrigen Händen nahm sie den Karton schließlich auf ihren Schob und zerriss zaghaft das beige Papier. Hervor kamen, wie bereits erwartet, die Briefe, die sie die letzten Jahrzehnte begleitet hatten. Zitternd stieß sie den Atmen aus und holte den Stapel heraus, ehe sie die Kiste vor sich auf den Boden fallen ließ.

„All die Jahre", murmelte sie und fuhr mit der Hand über die vergilbten Seiten. „All die Jahre und wir haben es einfach weggeworfen." Tränen bildeten sich in ihren Augen und sie sah einen Moment zum grauen Himmel hinauf, so als könnte sie Loki dort entdecken. Könnte mit ihm reden. Ein paar Tropfen fielen auf ihr Gesicht, als der Regen wieder einsetzte. „Auch wenn du etwas anderes behaupten magst, so war es für mich real." Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Papier in ihren Händen. „Ich weiß, ich habe viel falsch gemacht. So unendlich viel falsch und ich werde nie mehr bereuen, als den Tag, an dem ich dich von mir stieß. An dem ich dich gehen ließ, obwohl ich dich umso mehr hätte halten sollen. Ich hatte vergessen, dass nicht nur ich mit dem Verlust unseres Kindes zu kämpfen hatte und ich weiß, dass du dir bis heute die größte Schuld daran gibst. Doch ich vergebe dir. Das habe ich bereits in dem Moment getan, als ich den Schmerz in deinen Augen sah. Und dennoch habe ich dich gehen lassen." Eldrid wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. „Wahrscheinlich wird nie jemand wissen, was gewesen wäre, wenn wir anders gehandelt hätten. Vielleicht wäre es sowieso nie gut gegangen. Vielleicht hättest du eines Tages das Interesse verloren. Sicher wäre es irgendwann dazu gekommen, dessen bin ich mir allmählich bewusst. Ich gebe zu, dass mich deine Worte, ich wäre nur eine Zeitverschwendung gewesen, zu tiefst getroffen haben und bis heute nicht loslassen. Doch ich werde es glauben müssen, denn mir bleibt keine andere Wahl. Du meintest, du würdest mich finden, doch mittlerweile ahne ich, dass du mich nur aus Asgard raus haben wolltest, denn ich hätte deine Pläne durchkreuzt."

Gequält nahm sie die winzige Schachtel, die sie ebenfalls mitgebracht hatte, und nahm ein Streichholz heraus. „Ich habe jeden Brief aufgehoben, den du mir je geschrieben hast. Von dem Moment an, als ich dich das erste Mal sah, wusste ich, du warst mein. Du hast es immer wieder behauptet und ich habe es wirklich geglaubt. Nun werde ich jeden einzelnen brennen sehen, denn mittlerweile habe ich keine Ahnung mehr, wer du eigentlich wirklich bist. Du kannst gern bleiben, wo du jetzt bist, Loki. Ich weiß, dass ich hier auf der Erde noch viel zu lernen habe, doch ich werde irgendwie zurechtkommen. Ich bin nicht so naiv, wie du vielleicht denken magst. Du warst schon immer eifersüchtig auf Thor und wärst mit mir nie zufrieden gewesen", flüsterte sie und entzündete das kleine Stück Holz. „Du warst nie zufrieden. Ich hoffe, du bist es jetzt."

Mit diesen Worten hielt sie den ersten Brief ans Feuer und sah zu, wie die Flammen anfingen, es zu verschlingen, ehe sie es in den Karton zu ihren Füßen warf. Sie sah einen Moment lang dabei zu, wie ein Teiles ihres kleinen Schatzes für immer vernichtet wurde, ehe sie den restlichen Stapel ebenfalls darauf warf.

„Ich wünsche, du brennst", murmelte die junge Asin und stand auf. Doch auch wenn ihr ein Teil ihrer Last genommen wurde, fühlte sich ihr Herz nicht leichter an. Der Regen fing allmählich an, ihr Haar und ihre Kleidung zu durchnässen, doch das Feuer schien sich davon nicht beeindrucken zu lassen.

Mit wackligen Beinen stand sie auf und schlang die Arme um ihren Oberkörper. Für einen Moment schloss sie die Augen und sagte Loki im Stummen Lebewohl. Als ein Blitz, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Donner, sie in die Gegenwart holte, warf sie einen letzten Blick auf den Karton, in dem das Feuer nun doch allmählich erlosch. Doch wie es aussah, hatte ihre Aktion ganze Arbeit geleistet. Es war kaum noch etwas zu erkennen.

Ein letzten Mal strich sie sich die Tränen aus den Augen, auch wenn es bei dem Regen nicht viel brachte, und kehrte nach drinnen zurück. 

Liebe ist ein Dolch *Loki FF*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt