Kapitel 25

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Asgard


Wieder einmal wurde Eldrid vom Grölen ihrer Mitinsassen geweckt. Müde rieb sie sich die Augen und spürte, wie ihr Kopf anfing zu schmerzen. Der Schlafmangel, der sie vor ihrer Zeit im Kerker schon quälte, machte ihr immer mehr zu schaffen.

"Lady Eldrid?" Eine tiefe Stimme von der anderen Seite der Zelle zog ihre Aufmerksamkeit auf sich.

Verwundert drehte sie sich zu Thor, der scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht war. Die Brünette lächelte und war froh, dass es dem blonden Prinzen gutging. "Thor", hauchte sie. Umständlich erhob sie sich und ging ein paar Schritte auf ihn zu. Als sie jedoch seinen Gesichtsausdruck bemerkte und die Trauer in seinen Augen sah, blieb sie wie angewurzelt stehen.

"Was ist passiert?", wollte sie wissen und spürte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete. Irgendwas stimmte hier ganz und gar nicht.

Der Donnergott schien nach den richtigen Worten zu suchen und es dauerte ihr definitiv zu lange, darauf zu warten, dass er endlich mit der Sprache rausrückte. Sie wollte es wissen. Jetzt. Auch wenn sie bereits eine fürchterliche Ahnung erfasste.

"Thor. Was ist passiert? Wo ist er?" Von Wut gepackt überbrückte sie mit großen Schritten die letzte Distanz bis zur Zellenwand und schlug einmal kräftig mit der Faust davor. Dass das keine sonderlich kluge Idee war, bewies ihr der Stromstoß, der nun ihren Körper durchzuckte. Sie versuchte den Schmerz so gut es ging herunterzuschlucken und nahm die Hand wieder herunter.

Thor, der Mann der eines Tages über alle neun Welten herrschen würde, wagte es nicht einmal ihr in die Augen zu sehen, als er ihr die Botschaft überbrachte, die sie endgültig zerstören würde.

"Es tut mir so leid, Eldrid, aber ich konnte ihn nicht retten. Die Dunkelelfen konnten wir besiegen, aber Loki... es tut mir so leid, ich weiß, du hast ihn immer noch geliebt." Die Worte des Blonden verschwammen zu einem einzigen Rauschen in ihren Ohren, als der Schock sie erfasste und sich seine eisige Hand um ihr Herz legte, nur um es ganz langsam zu zerquetschen. Sie bekam nicht einmal mit, dass ihre Beine unter ihr nachgaben und sie auf die Knie sackte.

"Auch er hat dich immer noch geliebt, auch wenn er sich alle Mühe gegeben hat es nicht zu zeigen. Er wollte, dass du weißt, dass er alles wieder gut machen wollte, sich für dich ändern wollte. Dass er dich wieder zurück wollte." Thors Worte, so lieb gemeint sie auch waren, waren wie die Stiche eines Dolchen, die direkt in ihr Herz zielten. "Ich weiß, es ist kein Trost, aber du solltest es dennoch wissen."

Eldrid konnte nicht einmal sagen, wann Thor nach diesen Worten wieder gegangen war und sie wieder allein gelassen hatte. Und sie hatte auch keinerlei Ahnung, wann sie eigentlich angefangen hatte zu weinen. All die Trauer, die sie durchlebte, nachdem Loki das erste Mal als tot galt, war wieder da. Und es fühlte sich noch viel schlimmer an, als zuvor.

Verzeih mir. Alles was ich in dieser Zelle sagte... es war... Wenn... wenn wir zurück sind, würde ich gerne mit dir reden.

Seine Worte geisterten ihr unaufhörlich durch den Kopf. Worte, die ihr Hoffnung gegeben hatten, trieben sie nun an den Rand der Verzweiflung. Eldrid warf den Kopf zurück und schrie. Schrie so laut sie konnte. Und doch war es immer noch nicht genug. Erschöpft setzte sie sich auf den Boden und zog ihre Beine dicht an den Körper.


"Lady Eldrid?" Zwei Wachmänner, die sie die Tage schon öfter gesehen hatte, standen plötzlich auf der anderen Seite. "Ihr werdet jetzt mit uns kommen, der König möchte Euch sehen."

Sie sah nicht einmal auf, als der Einherjar zu ihr sprach, sondern erhob sich umständlich. Was brachte es ihr denn noch, wenn sie sich jetzt widersetzen würde? Aus Angst, dass ihre Beine den Dienst versagen könnten, stützte sie sich einen Moment an der Wand ab. Während die Wachen die magische Barriere, die sie hier festhielt, auflösten, bemerkte sie bereits die Handschellen, die einer der beiden bereits in den Händen hielt. Langsam hielt sie ihre Hände vor sich in die Höhe. Das Klicken der metallischen Fesseln und die Kälte, die diese auf ihrer Haut hinterließen, sorgten dafür, dass ihr Herz anfing noch ein wenig schneller zu schlagen. Das war anscheinend der Beweis, dass sie immer noch als Verbrecherin angesehen wurde. Doch was hatte sie gedacht? Dass Lokis Tod sie von allen Vergehen freisprechen würde?

Unwillkürlich musste sie sich fragen, ob jetzt der Zeitpunkt gekommen war, an dem sich ihr Schicksal entschied. Zumindest wenn der Allvater nicht schon lange sein Urteil gefällt hatte. Innerlich betete sie, dass es den anderen zumindest gut ging und ihre Eltern ihr irgendwann verzeihen würden. Eldrid atmete tief durch, als sie zwischen den Männern die steinernen Stufen aus der Zelle trat und sich aus dem Kerker führen ließ. Als sie an den anderen Insassen vorbei geführt wurde, versuchte sie die Beleidigungen zu ignorieren, die ihr zugerufen wurden. Nein, davon wollte sie sich jetzt nicht unterkriegen lassen, das letzte Stückchen Würde, das sie besaß, würde sie jetzt nicht verlieren.

Oh nein.

Mit jedem weiteren Schritt straffte sie ihre schmerzenden Schultern ein Stückchen weiter. Wenn sie sich schon ihrem ausweglosen Schicksal stellen musste, dann würde sie dies mit erhobenen Kopf tun.

Laut krachte die schwere Tür des Kerkers hinter ihr zu und sie musste ein Aufzucken unterdrücken.

"Weiter", ertönte die Stimme der Wache zu ihrer Linken und schon wurde sie unsanft an der Schulter nach vorn gestoßen. Ein paar Schritte vor sich hin stolpernd, fing sie sich schließlich wieder und lief die langen Gänge des Palastes entlang. Die Diener, die ihr entgegenkamen und sie natürlich sofort erkannten, senkten den Kopf, aber nicht ohne ihr vorher einen abfälligen Blick zuzuwerfen. Etwas, was sie sich vorher nie getraut hätten. Es war ein elendiges Gefühl, doch sie wollte sich nicht anmerken lassen, was das in ihr auslöste.

Eine gefühlte Ewigkeit verging, ehe sie schließlich vor dem großen Tor ankamen, hinter der sich der eins so imposante Thronsaal befand. Am liebsten würde die Brünette noch einen Augenblick stehen bleiben, um sich sammeln zu können, doch das schien ihr verwehrt zu werden.

Das Erste, was sie sah, als die Einherjar das Tor öffneten, war Odin, der mit Stolz erhobenem Kopf auf seinem Thron saß und auf sie herabblickte. Keine einzige Sekunde ließ er sie aus dem Auge und schien jede ihrer Bewegungen zu beobachten, als sie langsam bis zu den Stufen geführt wurde, die zu ihm hochführten. Kurz davor blieb sie stehen und wagte es erst jetzt, ihm direkt ins Auge zu sehen. Egal was sie dachte, dort zu sehen, sie sah es nicht. Keine Wut, keine Enttäuschung. Entweder war es ihm völlig egal, was hier geschah, oder er hatte sich schon lange mit ihrem Schicksal abgefunden.

"Alle raus!", donnerte seine mächtige Stimme durch den Saal, während sein Blick immer noch auf ihr ruhte. "Ich will allein mit ihr sprechen."

Eldrid schluckte, als sie die Worte des Allvaters hörte. Damit hatte sie definitiv nicht gerechnet. Warum wollte er allein mit ihr sein? Wollte er sein Urteil unter drei Augen verkünden und vollstrecken? War etwas mit Frigga? Oder wollte er ihr von Loki erzählen? Die junge Asin bemerkte, wie ihre Atmung sich beschleunigte und ihre Hände anfingen zu zittern.

Das Laute knallen des Tors ließ sie zusammenzucken und sich automatisch danach umdrehen. Anscheinend war es hinter den Wachen nur zurück ins Schloss gefallen.

Mit einem Mal spürte sie eine Präsenz hinter sich. Anscheinend hatte der Allvater sich von seinem Thron erhoben und sich unbemerkt direkt hinter sie gestellt. Gerade, als sie noch einmal tief Luft holte, bevor sie sich ihrem Schicksal stellen wollte, bemerkte sie es. Ein Geruch, den sie unter Tausenden erkennen würde. Sandelholz und ein Hauch Lavendel.

"Ich habe dir gesagt, ich würde gerne mit dir reden."

Liebe ist ein Dolch *Loki FF*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt