Kapitel 2

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Zunächst wollte ich Anils Worten keinen Glauben schenken. Es kam mir so unwahrscheinlich vor, dass er mich betrogen hat. Ich konnte es nicht einsehen und nicht realisieren. Mit einem Lächeln fragte ich nach:" Das hast du nicht, oder? Du verarschst mich gerade!" Tränen sammelten sich in meinen Augen und ich schrie ihn buchstäblich an:" Sag, dass du lügst!" Anil konnte mich nicht mehr ansahen. Nicht viele, aber einzelne Tränen liefen ganz langsam an meiner Wange entlang und ich bekam schlagartig Kopfschmerzen. "Wieso?", fragte ich mit einer zittrigen Stimme. Anil antwortete mir nicht und sah auf den Boden. "Hast du mit ihr geschlafen?", fragte ich und hoffte so sehr, dass er es abstreiten würde. Doch er tat es nicht. Sofort stand ich auf und lief wütend durch mein Zimmer. Aus Zorn nahm ich ein Buch von meinem Tisch und schmiss es mit voller Kraft auf den Boden. Anil stand sofort auf und wollte mich in seine Arme nehmen, doch ich schubste ihn. In dem Moment platzte ich und weinte wie eine verrückte. Jedes Mal, wenn ich kurz davor stand durchzudrehen, verließ ich mein Zimmer und lief auf mein Balkon. Auch an jenem Tag. Ich öffnete die Glastür und schlug sie so laut zu, dass man meinen könnte sie sei dabei zersprungen. Auf dem Balkon setzte ich mich auf die Bank, stützte meine Arme auf meinen Beinen ab und legte weinend meinen Kopf in meine Hände. Ich hörte, dass Anil ebenfalls auf den Balkon kam und sich neben mich setzte. "Seni seviyorum.", sagte er und näherte sich mir. Sein Kopf berührte meinen und ich konnte seine sanfte Atmung hören. Diese Worte brachten mich innerlich um. Ich war noch nie in meinem Leben so frustriert, denn ich war es gewöhnt, dass mein Leben mehr als perfekt verlief. Ich hatte eine gesunde Familie, viel Geld, viele Freunde und einen perfekten Freund. Doch nun veränderte sich vieles.

Nach ungefähr fünf Minuten beruhigte ich mich und sah Anil an, der ebenfalls auf ein Gespräch wartete. "Wieso hast du das getan?", fragte ich während ich ihn eiskalt, ohne Gefühle ansah. Er atmete tief durch und versuchte, auf mein Verständnis zu hoffen:" Dilara, versteh das. Ich bin 17 Jahre alt und brauche manchmal meinen Spaß.." Sofort unterbrach ich ihn wütend:" Was?! Ich habe mit jeder erdenklichen Antwort gehofft, aber das?!" Entsetzt stand ich auf und trat mit voller Wut gegen die Wand. Anil stand ebenfalls auf:" Kannst du das nicht verstehen? Ich brauch das. Ich bin ein Junge." Diese Worte töteten mich. "Geh.", sagte ich ohne Emotionen zu zeigen. Denn die Verzweiflung fraß mich innerlich auf. "Ich liebe dich.", sagte er und nahm meine Hände in seine eigenen. Ich schüttelte mein Kopf und trotz Kloß am Hals, bekam ich undeutlich diese Worte heraus:" Nein, würdest du mich lieben, würdest du mir das nicht antun. Anil, bitte geh." "Dilara.." Ich unterbrach ihn direkt und sagte bettelnd:" Bitte, geh! Ich brauche meine Zeit, um damit klar zu kommen." Er respektierte es und umarmte mich noch einmal sehr stark, bevor er ging. Als er den Balkon verließ, schloss ich meine Augen fest zu und atmete tief durch. Langsam lief ich auf mein Zimmer und setzte mich auf mein Bett. Ich sah nachdenklich auf den Boden. Wie sollte ich damit umgehen? Doch bevor ich auch nur überlegen konnte, wie ich mit der Lage umzugehen hatte, betrat meine Mutter mein Zimmer und sagte energiegeladen:" Ich fahr dich eben zum Training. Beeil dich." Ohne mich auch nur anzusehen, verließ sie mein Zimmer. Ich packte meine Tasche zusammen und wusch im Badezimmer mein Gesicht. Mit Concealer versuchte ich meine Rötungen abzudecken und lief zu meiner Mutter ins Wohnzimmer. Sie zog ihre Jacke an und sah mich bemusternd an:" Hast du geweint?" Ich schüttelte meinen Kopf. Sie sah mich mit einem verzogenen Gesicht an:" Na gut." Und schon fuhr sie mich zum Training. Aurela war schon da und in der Umkleide erzählte ich ihr und meinen anderen Freunden, was passierte. Aurela fluchte sehr viel über Anil und die anderen zeigten mir deren Mitgefühl.

Das Training verlief unspektakulär und gegen 18 Uhr musste ich schon in die Arena, da mein Auftritt um 20 Uhr beginnen sollte. Mein Partner David und ich übten noch einmal unseren Auftritt. Ich spielte auf dem Klavier und David spielte Geige. Unser Lehrer schimpfte mich an, da ich oft falsch spielte und mir die Noten nicht merken konnte. David bat mich vor dem Auftritt, mich anzustrengen, denn seinen Eltern wäre dieser Auftritt wichtig. Ich versprach ihm mich anzustrengen, doch ich war gedanklich nicht wirklich bei der Sache. Ich hatte unerträgliche Schmerzen in meiner Brust. Es war wie ein Druck, der mich Glauben gelassen hat, ich könne nicht richtig atmen. Als würde ich jeden Moment ersticken. Doch es war keine Zeit fürs ersticken. Denn unser Auftritt begann. Da ich seit ungefähr zehn Jahren alle zwei Wochen einen Auftritt hatte, war es nichts besonderes für mich. Doch bevor David und ich mit unserem Stück begannen, sah ich auf das Publikum, welches Wohlmöglich nur aus 100 Zuschauern bestand. Und in der ersten Reihe neben meiner Mutter saß Anil. Er war oft im Publikum, als ich spielte, doch dieses Mal fühlte es sich unwohl an. Als müsse ich alles in meiner Macht stehende geben, damit ich ihn beeindrucken konnte. Ich war angespannt und unser Stück begann. Doch als wir die ersten Minuten spielten, bekam ich ein schlechtes Gewissen. In diesem Moment würde nach meinem Gewissen etwas schlimmes passieren. Ich verdrängte diese Gefühle bis wir nach spätestens einer halben Stunde mit unserem Auftritt abschlossen. Ich hatte mich oft verspielt, doch niemanden fiel etwas auf. David und ich bedankten uns von den Zuschauern und begaben uns zurück hinter die Bühne. Ich sah auf mein Handy und Aurela hatte mir aufgebrachte Nachrichten geschrieben und mir ein Video geschickt. Ich sah mir das Video an und wusste sofort, welches das war.

Als Anil vor einigen Wochen bei mir geschlafen hatte, hatte er mich beim aus- und anziehen gefilmt. Wir hatten im Video herumgealbert, uns geküsst und man konnte mich teilweise nur in Unterwäsche sehen. Anil hatte dieses Video herumgeschickt und somit mich bloß gestellt.

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