Kapitel 5

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Dilaras Sicht:

Nach dem schlimmsten Schultag, den ich jemals überstehen musste, fuhr ich mit dem Bus zurück nach Hause. Durch meine Kopfhörer hörte ich sehr laut Musik und sah vertieft aus dem Fenster. Noch immer konnte ich nicht verdauen, was in der Schule geschah. Normalerweise liebte ich es zur Schule zu gehen und die Pausen mit meinen Freunden zu verbringen. Doch an jenem Tag war ich in einer Verfassung, dass ich mich nicht einmal traute, im Unterricht aufzuzeigen oder mitzumachen. Ich saß ruhig auf meinem Stuhl und sprach mit keinem. Als ich zu Aurela, meiner angeblichen Freundin ging, um mich bei ihr auszuweinen, Stoß sie mich weg! Das war das, was mich am tiefsten traf. "Dilara, geh. Ich möchte nicht wegen dir auch noch fertig gemacht werden.", sagte sie verspottend, als ich versuchte ein Gespräch zwischen uns aufzubauen. So wichtig war ich ihr also. Erst nach diesem Schultag Begriff ich, dass alle meine 'Freunde', die mich tagtäglich anschrieben und anriefen, nie wirklich meine Freunde waren. Mir fiel auf, dass mehr als 100 Gäste auf meinem Geburtstag anwesend waren, doch nun kehrten mir alle den Rücken zu. Das war die schlimmste Erfahrung, die ich machen musste. Ich kämpfte in der Öffentlichkeit gegen meine Tränen und nur für eine kurze Zeit verlor ich den Kampf.

Zuhause angekommen rannte ich auf mein Zimmer und schmiss mich sofort auf mein Bett. Ich weinte voller Wut in mein Kissen und haute gegen meine Matratze. Ich fühlte nur Schmerz. Mein Herz fühlte sich gebrochen an und mein Verstand durcheinander. Ich wusste nicht, worüber ich als erstes nachdenken sollte. Über Anil oder über meine Lage? Am liebsten würde ich meine Tasche packen und die Stadt verlassen. In einer weit entfernten Stadt einen Neuanfang wagen und diesmal alles richtig machen.

Mit diesen Gedanken schlief ich schließlich ein. Bis meine Mutter mich aus versehen weckte. Sie war gerade dabei einige Fenster zu öffnen, um frische Luft in mein Zimmer herein zu lassen. Als ich mein Gesicht aus meinem Kissen hob, sah sie mich überrascht an. Anscheinend hatte sie meine angeschwollenen Augen und großen Augenringe bemerkt. Sofort setzte sie sich an meine Bettkante und überrumpelte mich:" Was ist passiert? Warum bist du seit gestern nur am weinen?" Und ich beschloss mich, ihr alles zu erzählen. Ich fing mit Anils Betrug an. Bis zum jetzigen Zustand erzählte ich ihr jedes Detail. Sie hörte mir aufrichtig zu. "Genau, deswegen wollte ich nicht, dass du mit früheren Jahren einen Freund hast.", sagte sie, als sie durch meine schwarzen Haare Strich. "Dilara, jeder Mensch wird dich früher oder später auf verschiedenen Ebenen und Arten verletzten. Das ist nicht aufzuhalten. Das einzige, was du tun kannst, ist es zu bestimmen, wie du mit der Lage umgehst. Du bist ein starkes Mädchen! Du bist Dilara Güven! Lass deine Zukunft nicht von unreifen Menschen verbauen.", fügte sie hinzu. Zwar waren die Worte meiner Mutter aufbauend und motivierend, doch sie reichten nicht aus, um mich besser zu fühlen. "Wenn du willst, können wir die Schule wechseln?", schlug sie mir vor. Es ist nicht so, als würde ich diesen Vorschlag nicht in Erwägung ziehen. "Ich will nicht.", sagte ich überzeugt. "Das ist gerade ein Kampf für mich und wenn ich Schule wechsle, dann habe ich mich sozusagen vor dem Kampf gedrückt.", fügte ich hinzu. "Na gut. Aber wenn deine Noten nachlassen, gibt es kein Wenn und Aber. Dann musst du wechseln." Ich war einverstanden.

Es war 18 Uhr und ich stieg aus meiner dampfenden Dusche. Ich hatte lange und nachdenklich geduscht. Danach fühlte ich mich viel besser. Hatte zwar keine Lösung für meine Probleme, doch fühlte mich etwas befreiter. Ich zog mir einen dicken Pyjama an und mit nassen Haaren, die auf meinem Rücken fielen, setzte ich mich im Wohnzimmer an mein Klavier. Mit meiner damaligen Inspiration klimperte ich etwas herum. Ihr müsst wissen, jedes Mal, wenn ich Klavier spielte, fühlte ich mich gleich viel besser. Denn während des Spielens, konzentriere ich mich auf nichts anderes. Es ist wie ein Zufluchtsort für mich. Als ich jünger war und meine Eltern diese Phase hatten, in denen sie sich tagelang stritten, setzte ich mich ans Klavier und vergaß alles um mich herum. Doch während ich übte, klingelte die Tür und da meine Eltern nicht zuhause waren öffnete ich diese. Mein Bruder stand wutentbrannt vor der Tür. Ich ließ ihn herein und hätte in dem Moment niemals damit gerechnet, dass er wegen mir sauer war. Ich begab mich unwissend zurück zu meinem Klavier und er folgte mir. Seine blauen Augen sahen mich bedrohlich an. Ich ging aber nicht darauf ein und als ich anfangen wollte Klavier zu spielen, schlug er sehr fest aufs Klavier. Ich zuckte zusammen und schrie:" Was ist los?" Er atmete tief durch und mit einer unruhigen Stimme fragte er mich:" Was sind das für Videos und Bilder?" Ich gab ihm keine Antwort. Aus Schamgefühl. Ich konnte ihn auch nicht ansehen. Mustafa brüllte mich laut an:" Was präsentierst du dich als Schlampe?" Sofort stand ich auf und sah ihm enttäuscht in die Augen:" Ich dachte wenigstens du wirst für mich da sein.." Er unterbrach mich wütend:" Was bist du für eine peinliche Schwester, Alter? Meine Freunde haben mich ausgelacht! Mir die Videos gezeigt und gelacht! Weißt du wie erbärmlich du bist?" Ich konnte darauf nicht antworten und wollte auf mein Zimmer. Doch Mustafa hielt mich am Ellenbogen fest und zog mich zu sich. Ich stand kurz davor, zu weinen. Niemals hätte ich gedacht, dass mein Bruder auch gegen mich wäre. "Du Hure bist nicht meine Schwester.", sagte er wütend und schlug mir fest ins Gesicht. Sofort fing ich an zu weinen. "Und jetzt weinst du oder was? Du solltest dich schämen!", sagte er und schlug noch einmal zu.

FragwürdigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt