Kapitel 32

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"Du hast Leukämie?", fragte ich Dilara mit einer wütenden Stimme. Ich versuchte meinen Verlangen, sie in meinen Armen zu küssen und zu beschützten, zu verdrängen. Sie räusperte sich und konnte mir nicht in die Augen schauen. Trotzdem sah ich ihre Tränen und ihre Unsicherheit. "Ehm, ja..", antwortete sie. Ihre Distanz machte mich verrückt und aggressiv, dass ich versuchte meine Wut unter Kontrolle zu halten. Aggressiv biss ich meinen Kiefer zusammen und sah sie mit angespannten Augenbrauen an. Ich wusste, dass schüchterte sie ein. Doch ich konnte nicht einfach so tun, als ob alles okay wäre. Sie hatte sich zwei Wochen nicht gemeldet und ich wusste nicht, wie es ihr nach dem Unfall ging. "Ich muss gehen, tut mir leid Batuhan.", sagte sie und lief an mir vorbei durch den Ausgang. Ich sah ihr nach und bemerkte, wie es draußen stürmte. Normalerweise würde ich keinem Mädchen nachrennen, doch Dilara alleine in der Dunkelheit zu sehen, verkraftete ich nicht. Sofort ging ich ihr nach und rief ihren Namen, doch sie blieb nicht stehen. Nach nicht einmal einer Minute war ich klitschnass. "Dilara!", rief ich noch einmal und rannte auf sie los. Ich zog sie an ihrem Arm und sie zuckte zusammen. Es tat ihr weh. Mein Griff war nicht stark, also hatte sie eine Verletzung. Weil ich dachte, es hätte Wohlmöglich mit dem Unfall zu tun, krempelte ich ihre Jacke hoch und sah eine frische Narbe. Mein Herz schmerze in dem Moment höllisch. Was ist Dilara vorgefallen? Hatte ich ihr die Wunde zugefügt? Wütend Strich ich durch meine Haare und sah durch die Gegend, um nicht die Nerven zu verlieren. "Es tut mir leid..", sagte ich, doch sie unterbrach mich. "Das war ich selber.", antwortete sie mit einer zittrigen Stimme. Ich verstand sie nicht und sah sie dementsprechend auch an. "Du hast dich geritzt?", fragte ich lachend, da ich es mir im geringsten nicht vorstellen konnte. Ich lebte in der Hoffnung, dass sie meine Frage verneinen würde, doch sie nickte und brach in Tränen aus. Meine Wut war deutlich zu sehen. Wieso hatte Dilara sich selbstverletzt? Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Sie legte ihre Hände auf ihr Gesicht und ich hörte sie nur noch schluchzten. In dem Moment war mir klar, sie brauchte mich. Fest umhüllte ich meine Arme um ihren Körper und drückte sie fest an mich. Bis ihre schwarzen, nassen Haare mein Gesicht berührten. Dilara kuschelte sich in meine Arme und weinte diesmal noch deutlicher. Ich Strich ihr durch den Rücken und fühlte mich verantwortlich für ihre Tränen. Ihre darauffolgenden Worte bestätigten meine Vermutung:" Ich hatte so Angst um dich!" "Jetzt bin ich doch da.", antwortete ich. "Du hast keine Ahnung, was für eine Riesen Angst du in mir ausgelöst hast. Du bist nicht nur irgendwer. Nein, du warst von Anfang an viel mehr.", sagte sie und diese Worte füllten die Leere, die ich seit Wochen hatte. Dilara war mit Abstand die einzige, die mich glücklich machte. Zunächst fand ich diese Gefühle unangenehm und unangebracht, doch je öfter ich Dilaras Nähe spürte, desto stärkerer Gefühle entwickelten sich. "Ich habe dich einfach so vermisst.", fügte sie hinzu. "Wusstest du, "ich vermisse dich" heißt auf Französisch "tu me manques" und bedeutet wortwörtlich "ich habe ein Teil von mir verloren". In den zwei Wochen habe ich ein Teil von mir verloren. Dich.", entgegnete ich ihr und sie löste sich langsam von mir, mit einem breiten Lächeln. Ich sah in ihre blauen Augen und mein Verlangen stieg immer mehr. Ich wollte sie küssen. Ich wollte es einfach mehr als alles andere. Sie näherte sich mir ebenfalls. Dass Dilara mich ebenfalls wollte, war mir klar. "Akin und ich haben uns getrennt.", sagte sie und wartete auf eine Reaktion. Ich nickte:" Ich weiß. Er ist jetzt mit Aurela zusammen." Sie zeigte keine Reaktion. Meine Worte hatten sie verletzt, ich merkte es sofort. Sie empfand noch immer was für diese Missgeburt. Also Zwang ich mich, auf sie zu warten. Dilara sollte dann, wenn sie endlich über Anil hinweg ist, meins sein. Nicht früher! Das versprach ich mir.

Dilaras Sicht:

Am selben Nachmittag kam ich klitschnass Zuhause an und sofort kam meine Mutter auf mich zu. "Geh dich schnell trocknen. Wir gehen deinen Bruder besuchen.", befiehl sie mir und ich machte mich mit gemischten Gefühlen fertig. Auf einer Seite, war ich gespannt darauf, meinen Bruder zu sehen. Auf der anderen Seite jedoch, hatte ich ein mulmiges Gefühl. Dies bestätigte sich auch wenige Stunden später.

Wir parkten auf einen Besucherparkplatz eines Gefängnisses in Castrop Rauxel. Meiner Mutter hatte es eine ordentliche Überwindung gekostet, durch die Türe zu gehen. Wir wurden alle untersucht und abgetastet. Wenig später durften wir Mustafa endlich sehen. In einem Raum, mit mehreren Tischen saß er schon wartend auf uns. Als meine Mutter ihn sah, rannte sie auf ihn zu und umarmte ihn kräftig. In dem Moment brach sie auch wieder aus und fing an zu weinen. Mein Bruder ließ das jedoch kalt und er unterhielt sich mit meinem Vater. Mich beachtete er nicht einmal. Vielleicht war das auch gut so. "Hol mich hier raus!", forderte er meinen Vater. "Ich bin jetzt Verbeamtet. Bin aus der Uni geflogen. Mein Leben ist nur noch ein Dreckhaufen! Und wieso? Weil diese Hure sich nicht benehmen konnte!", sagte er wütend und zeigte auf mich. In dem Moment sah er mich das erste Mal auch an. Seine Worte verletzten mich mehr, als dass ich es zeigen konnte. Innerlich fing mein Herz an zu bluten. "Rede vernünftig! Du bist nicht wegen Dilara im Knast!", antwortete mein Vater. "Wenn mich alle provozieren? Jeder sagt mir, was Dilara für eine Hure ist. Ich habe versucht unseren Familiennamen aus dem Dreck zu holen." Konnte nicht jemand ihn zum Schweigen bringen? Je mehr Worte aus seinem Mund kamen, desto schlechter fühlte ich mich. Ich hatte vor wenigen Wochen einen Autounfall und Verdacht auf Leukämie. War das nicht genug? Wieso musste mein eigener Bruder noch einen drauf setzten? Zwar verteidigten meine Eltern mich, doch ich fühlte ich mich noch immer schrecklich.

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