Kapitel 25

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Ich merkte wie mein Leben nur noch Bergab ging. Es bestand nur noch aus Problemen und das größte war mein Verdacht auf Leukämie. Gab es noch was schlimmeres? Hätte mein Leben noch komplizierter werden können?

Ich reagierte verdächtig ruhig auf diese Nachricht. Der Oberarzt erwartete eine Reaktion, doch es kam keine. Er räusperte sich:" Ehm, wir müssten auch demnächst mehrere Tests mit ihnen durchführen, um festzustellen, ob sie tatsächlich erkrankt sind oder es nur eine Vermutung ist." "Was für Tests werden das sein?", fragte mein Vater äußerst seriös. "Zunächst werden wir Blutuntersuchungen durchführen und das Knochenmark Untersuchungen..", fing der Arzt an zu erzählen. Ich unterbrach ihn allerdings:" Entschuldigung. Ich müsste eben raus." Der Arzt nickte selbstverständlich und ich verließ umgehend das Krankenhaus.

Vor dem Gebäude gab es eine Bank, auf die ich mich setzte und anfing nachzudenken. Lange Zeit hatte ich dazu nicht, da mein Vater schon neben mir stand. Emotionslos fragte er:" Dilara, was ist los?" Ich sah ihn missverstanden an:" Ist das dein Ernst? Ich habe vermutlich Leukämie! Da kann ich nicht so tun, als ob alles gut ist!" "Du hast keine Leukämie!", schrie er beinahe. Ich bekam kein Wort heraus. "Du wirst kein Krebs haben, Dilara! Deswegen werden wir niemandem von deinem Verdacht erzählen. Niemand wird davon wissen! Auch nicht deine Mutter!" Ich war verwundert:" Was soll das bringen?" "Ich hatte früher auch Blutkrebs und habe es überlebt! Das wirst du auch!", versicherte er mir. Ich nickte. "Versprich mir. Keiner wird es erfahren, bis es feststeht!" Ich war einverstanden. Dass mein Vater früher ebenfalls an Krebs erkrankte, wusste ich nicht und es schüchterte mich ein. Im Büro des Oberarztes machten wir für den nächsten Tag einen Termin aus, um mit den Tests anzufangen.

Due ganze Autofahrt über hatten wir geschwiegen. Mein ganzer Schädel brummte vor lauter Gedanken. Ich fragte mich, wie es während einer Chemotherapie sein würde. Wie es mir gehen würde. Das Problem war, ich kannte mich über die Krankheit gar nicht aus. Also konnte ich mir kein Bild darüber machen. Vielleicht ging ich deswegen so bescheiden mit der Lage um. Ansonsten wäre ich am Boden zerstört, wenn ich erfahren würde, dass ich Krebs hätte.

Zuhause angekommen ließ ich Wasser in die Badewanne ein und legte mich entspannt hinein. Dazu gönnte ich mir eine Entspannungsmaske und schloss beruhigend meine Augen. Nach ungefähr 10 Minuten wurde mir kalt und ich stieg aus dem Bad.

In meinem Zimmer zog ich mir eine Jogginghose und ein weiten Pulli an. Mit meinen nassen Haaren setzte ich mich an mein Klavier und klimperte etwas herum, in der Hoffnung auf andere Gedanken zu kommen. Was leider nicht der Fall war.

Ich bekam mit, wie sich meine Mutter mit meiner Ballettlehrerin stritt. Wenig später, nachdem sie auflegte kam sie zu mir und setzte sich neben mich. "Tatjana hat dich rausgeschmissen. Wir melden dich irgendwo anders an, mein Kind.", erzählte sie mir. Ich nickte und lächelte. Wenig später lief ich auf mein Zimmer und mittlerweile war es schon 20 Uhr. Ich kämmte meine nassen Haare durch und bemerkte einen Brief auf meinem gemachten Bett. Mit einem Lächeln las ich mir diesen leise durch.

Dilara,
Irgendwann findet dich jemand, der sich Hals über Kopf in dich verliebt. Und dieser Mensch wird die Kraft und den Mut aufbringen, um dich zu kämpfen. Doch egal, wie sehr ich es versuche. Dieser jemand werde ich einfach nicht sein. Ich bin ehrlich, dass wird mein letzter Brief an dich sein. Es ist falsch, dich zu beneiden, da du in der letzten Pause bewiesen hast, wem du gehörst. Es ist schade, dass es gerade Anil sein musste. Ich werde wahrscheinlich niemals verstehen, weshalb ein so wunderschönes Mädchen wie du mit so einem zusammen sein kann. Immerhin hat er dich betrogen und belogen. Er hat dich nicht verdient. An deiner Stelle würde ich mich nach jemanden umsehen, der deine Liebe und Zuneigung verdient. Ich weiß noch ganz genau, als ich dich das erste Mal gesehen habe. Dass war schon eine Weile her, doch den Moment werde ich wahrscheinlich niemals wieder vergessen. Ich bin mir sicher, dein Leben läuft gerade kompliziert wegen der Schule und den ganzen Leuten und so. Du suchst bestimmt nach einer Lösung, um aus allem herauszukommen. Doch vielleicht liegt die Antwort auf alle deine Fragen in einer dieser Zeilen. Irgendwie könnte ich dir gerade noch soviel mehr schreiben, aber keine Worte dieser Welt, könnten das beschreiben was ich denke, fühle und sagen möchte.
Hab keine Angst! Ich bin immer für dich da, auch wenn du mich nicht siehst."

Diese Worte trafen mich irgendwie sehr und ich las mir den Brief mehrere Male durch. Die Stellen, in denen mich der Verfasser aufmuntert, machten mich glücklich. Doch viele Sätze brachen mich zum nachdenken. Ich setzte mich auf die Bank, die auf meinem Balkon stand und hörte leise Musik im Hintergrund. Ich dachte über den ganzen Tag nach. Vor allem über meine Krankheit. Ich gab mir besonders die Schuld daran, dass mein Leben so außer Kontrolle lief. Am liebsten wäre ich in die Vergangenheit gereist und viele Situationen vermieden. Schlagartig fing ich an zu weinen und zu schluchzten. Die klare Abendluft zog an mir vorbei, strich über meine Haut und trocknete immer wieder meine Tränen die durch mein Gesicht flossen.

Leise hörte ich meinen Namen. Ich erschreck und sah niemanden. "Dilara?", hörte ich erneut. Ich sah runter und es war Batuhan, der anscheinend über den Zaun, der unsere Gärten trennte geklettert ist und sich meinem Balkon näherte. Ich konnte nicht aufhören zu weinen und legte meine Hand auf meinen Mund, damit Batuhan mich nicht hörte. "Warte, ich komm hoch!", sagte er und fing an seine Hände in meine Ranken zu stecken, die hoch zu meinem Balkon führten. Ich stand auf und stellte mich ans Geländer. " Batuhan! Hör auf!", entgegnete ich mit einer verheulten Stimme. Er war schon auf halber Höhe, als ich erschrak. Denn Batuhan fiel herunter und schrie dabei:" Scheiße!" "Geht's dir gut?", fragte ich besorgt. Er stand recht schnell auf, fasste sich an den Rücken und ich bemerkte, dass er Schmerzen hatte. Doch er antwortete:" Alles gut." "Warte ich mach die Tür auf", schlug ich vor. "Nein, ich schaff das schon!", sein Ehrgeiz war zu bewundern. Wieder kletterte er meine Ranken hoch, bis er am Geländer stand und auf mein Balkon kletterte. Das sah witzig aus und ich hatte ein Lächeln auf den Lippen. Als er erfolgreich auf meinem Balkon stand sagte er:" So muss das sein! Lächle, wein nicht!" Mit diesen Worten schenkte er mir eine feste Umarmung.

Es gibt Momente, da hört man auf nachzudenken. Genau diese Momente sind die glücklichsten. Und genau diesen Moment hatte ich während Batuhans Umarmung.

FragwürdigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt