Kapitel 19

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"Batuhan, geh nach Hause!" Er wollte nicht auf mich hören. Geschweige denn gab mir eine Antwort. Ein Kellner gab ihm noch ein Glas und ich fluchte:" Wie können sie einem 17 jährigen so viel Alkohol verkaufen?" Der Kellner antwortete rechtfertigend:" Seinem Vater gehört der Laden." "Dann schauen wir mal, was die Polizei davon halten wird! Geben sie ihm nichts mehr! Nie wieder!", drohte ich und der Kellner nickte nur. "Du bist nicht meine Mutter!", stotterte Batuhan. Ich atmete tief durch und wollte ihm antworten. "Ich habe keine Mutter.", fügte er allerdings entsetzt hinzu und nahm einen großen Schluck aus dem Glas. Diese Worte waren so verletzend, doch verstehen tat ich sie auch nicht. "Betül ist doch.." Er unterbrach mich:" Stiefmutter. Sie ist nur meine Stiefmutter.", unterbrach er mich. Ich nahm Batuhan das Glas aus der Hand und sofort sah er mich wütend an. "Fahr nach Hause!", schrie ich nahezu. "Lass mich in Ruhe! Wer bist du schon, dass du mir Befehle gibst?", schrie er noch wütender und haute gegen den Tisch. Ich zuckte kurz zusammen und bemerkte Aylin, die sofort hinter mir stand. "Dilara, was ist hier los?", flüsterte sie. Ich gab ihr keine Antwort und sah konzentriert und wütend zugleich auf Batuhan. "Dilara, geh!", hörte ich ihn sagen. Doch jedesmal, als er mich anschrie, konnte er mich nicht ansehen. "Sieh mich an." Er weigerte sich. "Schau mir in die Augen und sag, dass ich gehen soll. Ich schwöre, ich mach es.", kam wütend aus meinem Mund. Batuhan sah mich weder an, noch gab er mir eine Antwort. "Dilara, lass uns gehen!", schlug Aylin vor, doch ich schüttelte meinen Kopf, zog einen Stuhl neben Batuhan und setzte mich auf diesen. Noch immer konnte er mich nicht ansehen. Ich merkte nur, wie Aylin zurück an unseren Platz ging, um zu bezahlen.

"Wieso trinkst du?", fragte ich ihn. Batuhan nahm wieder einen großen Schluck und trank somit das Glas aus. "Ich brauche dein Mitleid nicht.", sagte er und an jedem seiner Worte Klang er noch zerbrechlicher. "Ich habe kein Mitleid mit dir. Du hast mich nur interessiert.", mit diesen Worten stand ich auf und wollte mit Aylin zusammen das Gebäude verlassen.

An der Tür angekommen, hörte ich Batuhan meinen Namen rufen. Ich drehte mich um und sah, dass er total betrunken und kaputt war. Ich lief auf ihn zu und half ihn in Aylins Auto einzusteigen. Sie sah mich fragend an. "Fahr uns beide zu mir.", sagte ich lächelnd und sie fuhr schon los.

Es war kurz vor 23 Uhr, als Batuhan sich in mein Bett legte. Es schien so, als sei er sofort eingeschlafen. Ich zog ihm die Schuhe und Jacke aus und kuschelte ihn in die Decke. Da ich ein Ehebett hatte, legte ich mich auf die andere Seite des Bettes. Kurze Zeit später, schlief ich auch mühelos ein. Doch mitten in der Nacht, fing Batuhan an, komische Geräusche von sich zu geben. Schlagartig öffnete ich meine Augen und sah ihn an. Seine Augen waren fest zugedrückt, Finger und Lippen waren am zittern. Ich stupste ihn leicht an und sofort öffnete er seine Augen. Undeutlich sah er mich an. Erst an diesem Abend fielen mir seine schönen Augen auf. Da Batuhan schon von Natur aus eine dunklere Hautfarbe hatte, kamen seine grünen Augen besonders zu Vorschein. Er hatte auch ein kantiges Gesicht und volle Lippen. In dem Moment verstand ich, weshalb Batuhan selbstverliebt war. "Geht's dir gut?", fragte ich ihn. Er sah mich konzentriert und nickend an. "Willst du weiterschlafen?" Er schüttelte seinen Kopf. Zunächst bekam keiner von uns etwas aus dem Mund. Bis ich die Stille unterbrach:" Wieso hast du heute so viel getrunken?" Batuhan antwortete mir nicht, sondern sah mich weiterhin konzentriert an. Als ich kurz davor stand, die Hoffnung aufzugeben, fing er an mit mir zu sprechen. "Dilara, mir geht's nicht gut.", sagte er undeutlich. "Wieso? Was ist los?", fragte ich ihn. Er schloss entsetzt die Augen, als er sagte:" Ich bin ein Unmensch!" Meine Augenbrauen spannte ich extrem an und brüllte ihn nahezu an:" Wie kommst du denn darauf?" Und in dem Moment erzählte er mir seine Vergangen- und Kindheit.

Und schon sah ich Batuhan mit ganz anderen Augen. Zuvor hatte ich ihn als arroganten Besserwisser abgestempelt. Doch nun wusste ich, dass er eine krasse Vergangenheit hatte, die ihn zu dem Menschen machte, der er an jenem Tag war. Batuhan erzählte mir auch, dass nur Emir und Fußball ihn Aufbauten. Er habe auch zum ersten Mal eine große Chance: Ein wichtiger Mann würde sich am nächsten Tag Batuhans Mannschaft während des Trainings ansehen und vielleicht sogar jemanden unter Vertrag nehmen. Batuhan spielte in VFL- Bochum und war Stürmer. Ich musste Lächeln, als er mir erzählte, dass Fußball ihm viel bedeutete.

Batuhans Sicht:

Es war kurz vor 6 Uhr morgens und mein Kopf schien zu explodieren. In wessen Bett lag ich? Wieso hatte ich so krasse Kopfschmerzen? Ich versuchte zu erkennen, wer neben mir lag. Als ich ungefähr nach zwei Minuten endlich Dilara erkannte, konnte ich meinen Augen nicht trauen. Sofort begann ich hektisch am ganzen Körper an zu zittern und überlegte, wie ich zurück nach Hause kommen könnte. Ich wollte nicht länger bei ihr bleiben, da ich mich nicht daran erinnern konnte, was ich am Abend zuvor getan oder gesagt hatte. Das war das schlimmste am Alkohol.

Trotz Kopfschmerzen stand ich auf und versuchte leise aufzustehen. Mein Kopf schien zu explodieren. Mit langsamen Schritten verließ ich Dilaras Zimmer. Es war zum Teil nicht einfach, da mir schwindelig war und ich das Gefühl hatte, jeden Moment umzukippen.

Um 11 Uhr kam ein greller Lichtstrahl sofort auf mein Gesicht und weckte mich. Mein Kopf bebte wie verrückt und ich versteckte es unter der Decke. "Du musst in 1 Stunden zum Training, du Säufer!", hörte ich meine Stiefmutter sagen. Am liebsten würde ich sie mit meinem Kissen abwerfen, da ihre Stimme noch stärkere Kopfschmerzen hervorrief. "Dass du gestern einfach gegangen bist, hat deine Mutter wirklich verletzt!", fügte sie hinzu und verließ mein Zimmer.

Obwohl ich mich sowohl körperlich, als auch seelisch nicht gut fühlte, Zwang ich mich aufzustehen und schnell zu duschen. Immerhin stank ich extrem nach Alkohol. Ich persönlich hasste den Geruch von Alkohol. Den Geschmack könnte ich eigentlich auch nicht leiden. Aber Alkohol soll schließlich nicht schmecken, sondern wirken!

Nach 45 Minuten nahm ich meine gepackte Tasche und verließ das Haus. Zuhause hatte ich eine Tablette genommen, die noch immer nicht wirkte. Während der Busfahrt fühlte ich mich trotz der Dusche dreckig und stand so oft kurz davor einzuschlafen. Ich wusste, der Tag war wichtig für mich! Schließlich hatte ich die einmalige Chance unter einem fetten Vertrag genommen zu werden. Das war schon immer mein Traum gewesen.

In der Umkleide angekommen bemerkte ich, dass alle meine Kollegen motiviert waren. Während ich mich langsam umzog, kam mein Trainer in die Kabine, um uns "anzufeuern". Besser gesagt, er machte uns fertig. "Wehe ihr seit heute schlecht! Dann vergeudet ihr eure Chance, etwas zu werden! Und ich weiß, dass ihr nie wieder so eine Chance bekommen werdet! Also, wenn ihr das jetzt auf dem Feld vermasselt, dann ist euer Leben ruiniert.", hörte ich ihn sagen. Doch wirklich weiter zuhören tat ich nicht, da es mir eigentlich egal war. Meine Gedanken waren nur bei letzter Nacht und Dilara. Ich hatte so Angst, dass ich etwas verplappert oder mich zum Affen gemacht hätte.

Als meine Kollegen und ich auf das Feld rannten und sahen, dass der wichtige Mann neben meinem Trainer auf der Tribüne saß, bekam ich mit, dass zum ersten Mal während eines Trainings uns so viele zusahen. Teilweise kamen die Familien der andern und sahen sich deren Söhne stolz an. Bis auf meine Familie. Ich kannte das nicht anders und wollte trotzt meiner Kopfschmerzen spielen.

Als wir anfingen und ich mit dem Ball auf das Tor rannte, sah ich Dilara, die sich auf die Tribüne setzte und mich lächelnd ansah.

FragwürdigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt