Kapitel 38

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Ich denke es war eine Art Reflex, doch ich näherte mich dem besoffenen Batuhan und umarmte ihn stark. Wenn seine Worte wahrheitsgemäß waren, müsste er sich miserabel fühlen. Doch anstatt auf meine Umarmung einzugehen und sie zu erwidern, schubste er mich von sich weg. "Verpiss dich, Dilara!", schrie er wütend. "Ich lass dich doch jetzt nicht alleine..", entgegnete ich wütend zurück. Batuhan war betrunken wie ein ganz anderer Mensch. "Ganz ehrlich, ich brauche dich nicht. Ich komme mit der Situation auch ohne dich gut klar. Immerhin wird das zwischen uns höchstens ein Jahr laufen und dann gehen wir beide getrennte Wege!", sagte er. "Wieso lässt du einfach keinen Menschen an dich ran?", fragte ich ihn. Er schüttelte wütend seinen Kopf:" Dilara, ich bin nicht der Typ Mensch, der eine Beziehung führen kann! Lieber verarsche ich Frauen, anstatt sie zu lieben. Außerdem bekomme ich ein Kind. Das wird zwischen uns nie etwas. Es ist einfach zu kompliziert!" "Jede Beziehung ist kompliziert. Ich bin bereit, dich und deine Vergangenheit zu akzeptieren." "Ich aber nicht! Ich tue dir einfach nicht gut! Distanziere dich von mir, das wäre das beste.", sagte er und verließ mit schnellen Schritten meinen Garten. Was hätte ich tun sollen? Ich ließ ihn gehen. In dem Moment dachte ich, dass es das beste für uns beide wäre.

Doch als ich wenig später zurück auf meinem Zimmer war, empfand ich mein Benehmen mehr als ärgerlich. Es war falsch von mir, Batuhan betrunken alleine zu lassen. Wer weiß, was ihm hätte passieren können? Die ganze Nacht lang quälte ich mich mit verschiedenen Gedanken, die einen Zusammenhang mit Batuhan hatten.

Erst am nächsten Morgen, als ich verschlafen Aufstand und nach meinem Handy Griff, fiel mir ein, dass ich Batuham nicht erreichen konnte. Er hatte noch immer kein Handy. Wütend lief ich durch mein Zimmer und dann schließlich auf mein Balkon. Als ich in Emirs Fenster blickte, sah ich Batuhans Stiefmutter, die gerade dabei war Emir zu füttern. Emir sah beim Essen noch süßer aus als sonst. Er war an sich ein knuffiger, kleiner Kerl und sah dazu Batuhan unglaublich ähnlich. Ich beobachtete die beiden, bis Batuhans Stiefmutter mich bemerkte und sich dem Fenster näherte. Mit ausgestrecktem Kopf fragte sie:" Dilara, weißt du wo Batuhan ist?" Mein Herz schien zu explodieren und in mir wurden dutzende Schuldgefühle erzeugt. Zunächst konnte ich keine Reaktion zeigen, doch im Nachhinein schüttelte ich einfach meinen Kopf. Sie nickte verständnisvoll und lief zurück zu Emir, den sie dann auch weiter fütterte.

Hektisch lief ich auf meinem Zimmer auf und ab. Wo war Batuhan? Zwar zweifelte ich nicht an ihm, doch hatte Angst, ob ihm etwas zugestoßen sein könnte. Im nächsten Moment kam es wie ein Schlag. Ich wusste, wo sich Batuhan aufhielt.

Meine Haare Bund ich zu einem Zopf, zog eine enge, schwarze Hose, einen grauen Pulli und meine weißen Air Max an, nahm meine Tasche und verließ hektisch das Haus. Als sei ich für Batuhans Verschwinden verantwortlich. Doch ich wollte und konnte mir einfach nicht vorstellen, was Batuhan alles getan hätte. Immerhin verstarb seine Mutter. Seine leibliche Mutter. Obwohl sie ihn Wohlmöglich nicht einwandfrei erzogen hatte, müsste es eine tiefe Wunde hinterlassen haben.

Auf dem Sportplatz angekommen lief ich suchend, wie eine Irre Batuhan. Nach kurzem suchen wurde ich fündig und es brach mir buchstäblich das Herz. Batuhan spielte für sich alleine Fußball und neben dem Tor befanden sich dutzende Bier- und Wodkaflaschen. Langsam lief ich auf ihn zu. Er beachtete mich kurz und ignorierte mich weiter. Je mehr ich mich ihm näherte, desto stärker und widerlicher war sein Alkoholgestank. Es roch abartig und ich musste mich anstrengen, nicht zu würgen.

Batuhan ignorierte mich solange, bis ich genau vor ihm stand. Er sah mich zunächst emotionslos an. Doch als ich ein schwaches Lächeln auftrug, passierte etwas unvorstellbares: Batuhan sah mich traurig an, seine Augen waren feucht geworden und er umarmte mich fest. Ich erwiderte seine Umarmung und hörte Batuhan schluchzen. In dem Moment ging mein Herz auf und ich drückte ihn noch fester an mich. Ich spürte seinen Herzschlag, welches sehr schnell schlug. Diese Situation brach mich in Tränen aus. Ich denke, ich war einfach ein sehr sensibler Mensch. Batuhans Alkoholgeruch ließ mich auch sofort kalt.

Das ging noch paar Minuten so weiter, bis sich Batuhan schlagartig von mir löste und sich aggressiv durch die Haare Strich. Aus Batuhans Augen schossen viele Tränen und die Partien unter seinen Augen waren feucht geworden. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Er wurde immer aggressiver und biss sich ständig auf seinen Kiefer. Ich wollte ihn beruhigen, indem ich seine Hand festhielt. So als Zeichen dafür, dass ich für ihn da war. Doch er ließ meine Hand sofort los und schmiss den Fußball aggressiv in die Luft. Ich war beeindruckt, doch Batuhan war noch immer voller Wut. Er lief auf das Tor zu und schlug mehrmals wutentbrannt dagegen. Ich erschrak und rannte auf ihn zu. Seine Hand fing an zu bluten und Batuhan ließ sich auf den Boden fallen. Er saß auf einem Schneidersitz und wusch die restlichen Tränen aus seinem Gesicht Weg. Als hätte der Samstagmorgen nicht schon anstrengend genug angefangen, fing es an zu regnen. Batuhan fing an aus Ironie zu lachen. Nachdenklich setzte ich mich neben ihn auf den kalten Rasen. "Geh nach Hause. Du wirst noch krank.", forderte er mich auf. Ich sah ihm tief in die Augen und sah, wie gebrochen und zerbrechlich Batuhan war. "Wie geht es dir?", fragte ich ihn und ignorierte seine Aufforderung gekonnt. Er setzte ein gespieltes Lachen auf:" Als ob du dich auch nur ansatzweise in meine Lage versetzen kannst." "Doch, dass kann ich.." Er unterbrach mich mit erhobenen, sarkastischen Augenbrauen:" Ach, das kannst du? Wirklich?" Ich sah ihn emotionslos an. "Dilara, hast du jemals jemanden verloren, den du nie hattest?", diese Frage löste verschiedene Gefühle in mir hoch. Doch meine erste, unüberlegte Antwort war:" So habe ich mich gefühlt, als du im Koma lagst." Er sah mich nachdenklich an und bekam kein Wort heraus. Bis er mich dann zu sich zog und meinen Kopf auf seine nasse Brust legte.

In meinen Ohr flüsterte er:" Ich schwöre, ich habe deinen Geruch gerochen, deine Hand und deine Nähe gespürt."

Lachend und unglaubwürdig unterbrach ich ihn:" Hast du nicht?!" Er nickte und flüsterte weiter:" Doch, habe ich." Ich blickte ihm tief in seine grünen Augen und sah erneut, wie gebrochen er war.

Batuhans Sicht :

Ich holte meinen schwarzen Anzug aus meinem Kleiderschrank und legte ihn auf mein Bett. Mein nasses Handtuch schmiss ich in eine Ecke des Zimmers und zog mich schnell um. Während ich mein weißes Hemd zuknöpfte, kam meine Stiefmutter herein. "Beeil dich. Wir gehen jetzt los. Dilara wartet schon total lange auf uns!" Und schon verließ sie mein Zimmer. Ich föhnte schnell meine Haare und war somit auch schon fertig.

Das Begräbnis meiner Mutter könnte losgehen.

FragwürdigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt