12 ◉ Tia ◉ Wahrheit ohne Pflicht

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Sein Blick spricht Bände, als er ihn zum wiederholten Mal mit widerwillig zusammengezogenen Brauen über die beiden sechsarmigen Leuchter mit den weinroten Kerzen und den monströsen Strauß roter Rosen schweifen lässt. Zusammen mit dem ebenfalls roten, mit Goldfäden durchzogenen Tischläufer wirkt das Arrangement ganz schön bombastisch. Ich halte es für genauso übertrieben wie er, aber Rosa hat sich absolut nicht davon abbringen lassen.

In Wys durchdringenden, stahlblauen Augen liegt bereits den ganzen Abend nichts als eine distanzierte Kälte, und zwar genau seit dem Moment, an dem er sich nach unserem kurzen Gespräch vor dem Essen so abrupt von mir abgewandt hat. Vermutlich, weil ich vorgeschlagen habe, ihm das Klavier spielen beizubringen. War das unverschämt von mir? Wahrscheinlich denkt er noch immer, ich würde mich für etwas Besseres halten. Vielleicht hat er sogar recht damit, sie wirft mir das schließlich auch ständig vor.

Ich seufze leise, aber seinem abwesenden Blick zufolge hat er es zum Glück nicht gehört. Seine Augen kleben weiterhin an dem überdimensionalen Rosenstrauß. Hoffentlich glaubt er nicht, dass es meine Idee war, den Tisch wie für ein Date zu decken. Ich weiß genauso gut wie er, dass das hier nichts als ein Geschäftsessen ist.

Allerdings ein Geschäftsessen, nach dem wir ein Spiel zusammen spielen werden.

Ich esse sowieso sehr langsam – ständig regt sie sich darüber auf – aber heute dehne ich es auch noch übertrieben künstlich in die Länge. Trotzdem bekomme ich kaum etwas hinunter. Ich schiebe den Rest meiner gefüllten Tortilla im Teller hin und her, stochere ein wenig darin herum und hasse mich gleichzeitig dafür, weil ich ja selbst gesehen habe, wie viel Mühe sich Rosa mit dem Essen gemacht hat.

Leider kann ich nicht anders. Jeder Bissen bleibt mir fast im Halse stecken, und das nur, weil ich ein kleiner Feigling bin. Ich fürchte mich vor dem, was gleich auf mich zukommt, obwohl es sogar meine eigene Idee war. Nur hat sich bisher nie jemand besonders für mich und meine Meinung interessiert. Mal abgesehen von ein paar Interviews bei kleineren Radiosendern, bei denen sämtliche Fragen und sogar meine Antworten von Rhonda vorgegeben wurden. Quasi idiotensicher.

Ich lege Messer und Gabel zur Seite und nehme einen großen Schluck von dem Rotwein, den Wy mir vor Kurzem auf meinen Wunsch hin zum dritten Mal nachgefüllt hat.

Das Klappern des Bestecks löst seinen Blick von den Rosen und lässt ihn zu meinem Teller schweifen. »Schmeckt es dir nicht? Glaub mir, Rosas Enchiladas sind normalerweise höllenscharf. Sie würde sie nicht für jeden so lasch würzen, da kannst du dir was drauf einbilden. Aber du musst das nicht essen, wenn du es nicht magst. Irgendwann sollten wir nämlich mit deinem netten Frage- und Antwortspiel beginnen, sonst können wir direkt von hier aus zur Gala starten.«

Ich blinzle ihn erstaunt an. Unser Essen verlief bisher in unangenehmem Schweigen und mit so einem plötzlichen Redeschwall habe ich nicht gerechnet.

Ich muss das nicht essen. Seltsam, das zu hören, denn ich bin es seit Jahren gewohnt, nicht aufstehen zu dürfen, bevor der Teller leer ist. Aber das ist selten ein Problem für mich. Weil ich meine Figur behalten soll, ist meist sowieso nicht besonders viel drauf.

»Doch, es schmeckt wirklich total lecker. Ich hab' nur keinen Hunger.« Hektisch greife ich erneut zu meinem Glas und ein weiterer Schluck des roten, schweren Weins rinnt meine Kehle hinab.

Vielleicht kann man sich ja tatsächlich den sprichwörtlichen Mut antrinken? Heute hätte ich den dringend nötig.

»Sicher, dass du so viel Alk verträgst, Sternchen? Du hattest ja heute Morgen schon eine ordentliche Menge Schnaps.« Mit einem belustigten Ausdruck in den hellen Augen zwinkert er mir zu und zum ersten Mal, seitdem wir an diesem Tisch sitzen, lächelt er.

Verflixter Rapper!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt