Verflixter Rapper!

53 ◉ Tia ◉ Videogames, die Erste

»Okay, es ist leider nichts so gelaufen, wie ich mir das vorgestellt habe.«

Chase klingt so zerknirscht, dass ich unwillkürlich schwer schlucke. Mein Blick findet seinen in dem Spiegel, vor dem ich sitze. Die Tür fällt hinter Chase ins Schloss, er bleibt beim Eingang stehen und reibt sich das Kinn, auf dem inzwischen wieder ein Dreitagebart sprießt. Hinter mir hantiert Stylistin Angie, die die letzte Stunde damit verbracht hat, meinem Gesicht und meinen Haaren den richtigen Schlafzimmer-Look zu verpassen.

»Was meinst du damit?«, krächze ich heiser und bin froh, dass ich gleich nur die Lippen bewegen und nicht wirklich singen muss. Eine dichte Duftwolke verschiedener Stylingprodukte umhüllt mich, die mir die Stimme und beinahe auch die Sinne raubt. Gut, vielleicht trägt auch die unendliche Nervosität zu meiner Atemnot bei, die durch meinen zittrigen Körper pulsiert. Heimlich schiele ich nach der angebrochenen Tafel Nussschokolade, die Rosa mir heute Morgen mitgebracht hat und die ich schon zur Hälfte vernichtet habe. Ich glaube, ich brauche dringend noch ein Stück davon. Beim Gedanken daran, dass Rosa mindestens genauso nervös war wie ich, muss ich lächeln.

»Dieser Streik an den Flughäfen bringt alles durcheinander. Wy ist erst vor einer Stunde gelandet. Er muss sofort in die Maske, wenn er hier ankommt. Wenn wir Glück haben, schafft er es gerade noch rechtzeitig zum angesetzten Drehbeginn. Es ist schon nicht optimal, dass wir direkt mit diesen Bettszenen starten müssen, aber jetzt ...« Seine rechte Hand reibt mehrmals über die Bartstoppeln auf seiner linken Wange. »Reden wir nicht lange drum herum. Ich fürchte, ihr werdet euch erst im Studio wiedersehen. Keine Zeit, um sich vorsichtig ranzutasten. Tut mir leid, Ti. Ich weiß, das ist wirklich alles andere als optimal. Schaffst du das?«

In seinem Blick, den mir der Spiegel zeigt, lese ich die Sorgen, die er sich macht. Im nächsten Moment besprüht mich Angie mit einem Schwall Haarspray, das intensiv nach exotischen Früchten duftet, und ich bin so benebelt, dass mir fast die Luft wegbleibt.

»Vielleicht ist das gar nicht so schlecht. Einfach ins kalte Wasser springen und es durchziehen, ohne lange darüber nachzudenken. Ich kriege das schon hin. Irgendwie.«

Ich zwinge mir ein optimistisches Lächeln auf die Lippen. In letzter Zeit habe ich so viel geschafft, das werde ich auch noch hinbekommen. Leider verschwindet das unbestimmte Gefühl nicht ganz, dass ich mir gerade alles nur schön rede.

»Du schaffst das, Ti. Und keine Sorge, ich bleibe die ganze Zeit in der Nähe, wenn du das willst. Und falls es doch nicht funktioniert – du musst das nicht machen. Du kannst jederzeit abbrechen, ich regle das dann schon irgendwie. Okay?«

»Okay.«

Abbrechen kommt nicht in Frage, ich ziehe das durch. Schließlich bin ich diejenige, die es unbedingt machen wollte. Außerdem will ich nicht irgendwelche Vertragsstrafen zahlen müssen, wo ich doch gerade das Gefühl habe, zum ersten Mal im Leben einigermaßen sicher auf meinen eigenen Beinen zu stehen. Trotzdem ist es ein gutes Gefühl zu wissen, dass er auch dann hinter mir steht, wenn ich nicht funktioniere.

»Fertig.« Angie streicht mir noch einmal übers Haar, bevor sie mir ein zufriedenes Lächeln schenkt.

Meine Augen wandern zu meinem Spiegelbild. Rhonda hat immer darauf geachtet, dass mein Make-up und meine Frisur trotz der knappen Bühnenoutfits mädchenhaft und unschuldig wirken. Vom unschuldigen Mädchen ist jetzt nichts mehr übrig. Meine Haare sind geglättet und dadurch länger. Sie glänzen mit dem Spiegel um die Wette. Meine Augen sind dunkel geschminkt und meine Lippen knallrot. Keine Ahnung wie Angie das gemacht hat, aber sie sind voller als sonst.

Ich sehe anders aus. Erwachsener. Vielleicht sogar ein bisschen verrucht. Und es gefällt mir.

Dennoch ist mein Lächeln nicht echt. Es ist nur dazu da, meine Unsicherheit, mein Gefühlschaos, meine Versagensängste und den Schmerz zu überdecken, der noch immer in mir wühlt, wenn ich an ihn denke. Ich habe das Gefühl, in das Gesicht erst noch hineinwachsen zu müssen, das mir da im Spiegel entgegenblickt.