2 ◉ Wy ◉ Katerstimmung

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»Du bist ja völlig übergeschnappt. Vergiss diesen verfluchten Schwachsinn ganz schnell wieder. Davon werden meine Kopfschmerzen echt nicht besser. War sonst noch irgendwas?«

»Mein lieber Wy ...«

»Kannst du etwas leiser reden?«

Ich presse meine Zeigefinger links und rechts mit festem Druck an meine Schläfen und stöhne. Die dröhnende Bassstimme meines Managers hallt, wie Hammerschläge auf Metall, mit vielfachen Echos in meinem Kopf wider. Es fühlt sich an, als würde mein Schädel jeden Moment explodieren. Aus schmalen Augen nehme ich ihn ins Visier. Viel weiter kriege ich sie sowieso noch nicht auf.

»Du weißt genau, dass ich es hasse, wenn du so unangemeldet bei mir auftauchst. Außerdem ist es verdammt viel zu früh dafür.«

Er hebt seine buschigen Augenbrauen, die im Gegensatz zu seinem Kopf über mehr als genug Haare verfügen, und wirft einen Blick auf die goldene Rolex, die sein Handgelenk umspannt.

»Es ist halb zwei Uhr. Nachmittags. Und es ist wichtig. Rhonda erwartet meinen Anruf und unsere Antwort so schnell wie möglich, damit sie alles in die Wege leiten kann.«

»Es gibt nichts in die Wege zu leiten«, fahre ich ihn an, und diesmal ist es meine eigene Lautstärke, die meine Stirn schmerzhaft pochen lässt.

Mir entgeht nicht, dass sein Blick langsam über mich hinweggleitet, von oben nach unten. Angefangen bei meinem Gesicht, das vermutlich von einem strubbeligen Etwas an Haaren umrahmt wird und möglicherweise über ein paar ausgeprägte Augenringe verfügt. Dann über mein hellgraues Shirt, das eventuell ein paar Flecken von dem Whisky abbekommen hat, der gestern nicht mehr ganz so zielsicher seinen Weg in meinen Mund gefunden hat. Schließlich über meine dunkle Jogginghose, die zu tief auf meinen Hüften sitzt und schätzungsweise auch nicht mehr ganz taufrisch aussieht, bis hin zu meinen nackten Füßen.

Er verzieht sein Gesicht zu einer angewiderten Grimasse. Nur für den Bruchteil einer Sekunde und so unauffällig, dass es den meisten gar nicht auffallen würde. Aber wenn dein sogenannter Vater dich jahrelang mit dem identischen Ausdruck angesehen hat, dann entgeht dir so was nicht. Selbst wenn du noch nicht alle deine Sinne beisammen hast. Heiß braut sich die Wut in meinem Magen zusammen und ich hole tief Luft, um sie wieder abzukühlen.

»Lass es, Simon. Ich dulde es nicht, dass mich einer so ansieht.«

Nicht mehr.

Er zuckt ertappt zusammen und wendet schnell den Blick ab, denn der drohende Unterton in meinen leise gesprochenen Worten ist ihm offenbar nicht entgangen. Unruhig schweifen seine Augen weiter durch den Raum und bleiben am gläsernen Couchtisch hängen, auf dem sich noch einige Relikte der vergangenen Nacht stapeln. Dann wandern sie weiter zum Sofa mit den vielen zerwühlten Kissen und Decken, auf dem ich die letzten Stunden verbracht habe.

Gleich wird er unaufgefordert seine unerwünschte Meinung dazu abgeben. Im letzten Moment widerstehe ich der gigantischen Versuchung, mir vorsorglich die Hände auf die Ohren zu pressen.

»Wy, du musst was ändern. Der Gestank hier drin macht einem Schnapsladen Konkurrenz. Und mal abgesehen davon, dass dein Lebenswandel alles andere als gesund ist, sieht auch deine Finanzlage so langsam nicht mehr besonders rosig aus.«

Fuck, fängt er schon wieder damit an.

»Warum zur Hölle habe ich eigentlich einen Manager, den ich mehr als teuer bezahle? Dann unternimm doch bitte was dagegen! Oder verschwinde einfach. Sobald der Rubel nicht mehr rollt, verpissen sich die Arschlöcher. Das kennt man ja.« Ich fahre mir mit gespreizten Fingern durch die Haare, um wenigstens ein bisschen Ordnung in meine Frisur zu bringen, und massiere mir anschließend die hämmernde Stirn. Nicht, dass das besonders viel bringen würde.

Wenig beeindruckt zuckt Simon mit den Schultern.

»Ich glaube an dich, Wy, und deshalb habe ich nicht vor, mich zu verpissen. Jedenfalls noch nicht. Und falls du es nicht bemerkt hast, ich bin mittendrin, etwas dagegen zu unternehmen. Aber ob du's glaubst oder nicht, dafür brauche ich ein klitzekleines bisschen Unterstützung von dir.«

»Und unter ›ein bisschen Unterstützung‹ verstehst du, dass ich irgendeine Popprinzessin daten soll?«

Ich würde gerne heftig meinen Kopf schütteln, lasse es aber lieber bleiben, weil er allein den kleinsten Versuch mit einem fiesen Stechen quittiert. Mein Manager presst seine Lippen zusammen und wirft mir diesen gewissen Blick zu, bei dem ich schon Bescheid weiß.

»Es geht noch übers Daten hinaus«, mutmaße ich. Er nickt mit einem verkniffenen Lächeln und ich seufze tief. »Es geht also noch weit übers Daten hinaus. Was stellst du dir vor? Soll ich sie nach Las Vegas schleifen und heiraten?«

Meine Stimme trieft vor Ironie, doch sein Lächeln verbreitert sich zu einem echten und ich ahne, dass ich damit wohl gar nicht so weit daneben liege. Meine Augen weiten sich verblüfft, obwohl es eigentlich viel zu hell dafür ist.

»Du hast sie ja nicht mehr alle«, spucke ich ihm fassungslos vor die Füße.

»Nun ja, ganz so schlimm ist es nicht«, gibt er von sich, nach wie vor das widerliche Grinsen auf den Lippen. Er ist sichtlich erleichtert darüber, dass ich gleich vom Schlimmsten ausgehe. Vielleicht denkt er, wenn es nicht ganz so übel wird, wie ich befürchtet habe, werde ich möglicherweise nicht vollkommen ausrasten. Das werde ich wohl tatsächlich nicht tun, weil ich im Moment gar nicht die Energie für so was habe.

Sein Glück.

Diesem verdammt viel zu ernsten Gespräch bin ich gerade nicht mal annähernd gewachsen. Bevor mich der Halsabschneider über den Tisch zieht, brauche ich dringend Kaffee und Schmerztabletten, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

»Komm mit, wir trinken eine Tasse Kaffee. Und dann kannst du mich von mir aus in deine völlig blödsinnigen Pläne einweihen.«

Nur ganz leicht schwankend bewege ich mich in die weiße Hochglanzküche. Simon folgt mir, und während ich zielstrebig auf die Kaffeemaschine zusteuere, setzt er sich auf einen der mit schwarzem Leder bezogenen Barhocker am hohen Tresen. Verdammt, aber da liegen ja noch ...

»Du schreibst etwas?«

Fuck. Er hat es schon gesehen.

Sein Blick aus großen, staunenden Augen schweift zu mir. Hektisch stürme ich auf ihn zu und raffe die Blätter zusammen, um sie dann in eine Schublade zu stopfen. Wie gerne würde ich das Ding zuknallen, aber es hat diesen beschissenen, geräuschlosen Selbsteinzug.

Ich will auf keinen Fall, dass er meine kläglichen, grausam schlechten Versuche sieht. Dabei sind die Texte früher nur so aus mir herausgesprudelt.

Genau deshalb hasse ich es, wenn Simon seine verdammten unangekündigten Besuche bei mir macht. Ich muss ihm das ganz dringend abgewöhnen.

»Nicht wirklich«, zische ich durch zusammengebissene Zähne, weil Simons erwartungsvoller Blick mich noch immer durchbohrt. Mit leicht zitternder Hand drücke ich den Startknopf des Vollautomaten, der sich mit einem lauten Brummen in Startposition bringt.

»Wy, es ist doch toll, wenn du endlich wieder ...«

»Nicht. Wirklich.« Die Schärfe in meiner Stimme ist nicht zu überhören und er hebt entschuldigend beide Hände.

»Okay, ich hab's verstanden.«

Wieso glaube ich ihm das nicht?

Verflixter Rapper!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt