49 ◉ Tia ◉ Überraschung

256 46 88
                                    

Am Montagmorgen, in der zerbrechlichen Phase zwischen Schlafen und Aufwachen, gehen mir all die Erlebnisse des Wochenendes durch den Kopf. Jodie hat mit mir ihren angeblich oft erprobten ›Drei-Tage-Liebeskummer-Stufenplan‹ durchgezogen.

Der erste Schritt dieses Plans ist exzessives Shoppen. Selbst wenn ich nicht weniger Lust dazu hätte haben können, ließ ich mich von ihr überzeugen und fand von Minute zu Minute mehr Spaß daran. Allein schon wegen des Gefühls, die Wohnung einfach so verlassen zu können. Nur, weil ich es will und ohne einen Termin zu haben oder lang und breit meine Gründe dafür erklären und mir eine Genehmigung einholen zu müssen. Und wegen des unglaublichen Gefühls, einfach all das kaufen zu können, was mir wirklich gefällt. Solange ich denken kann, war mir das noch nie erlaubt. 

Deshalb hat es mich nach einer Weile auch gar nicht mehr gestört, dass wir uns mit Basecaps und Sonnenbrillen tarnen mussten und die ganze Zeit über Jodies zwei muskulöse Bodyguards im Schlepptau hatten. Selbst wenn ich mir nur wenige Teile gegönnt habe, weil ich mein Geld zusammenhalten will. Zumindest bis die Sache mit Rhonda endgültig über die Bühne gegangen ist und ich sicher sein kann, keine Schulden mehr zu haben.

Schritt zwei war viel zu lautes Singen und Tanzen bis zur Erschöpfung in meinem Wohnzimmer. Zum ersten Mal kam die Musikanlage zum Einsatz, die man wie fast alles in meiner Wohnung über das Display an der Zimmerwand bedienen kann. Ihr Klang ist absolut fantastisch und diese Tatsache hat mir sofort einen heftigen Stich versetzt, denn ich weiß genau, wer dafür verantwortlich ist, dass ich eine so hochwertige Anlage besitze. Die Erinnerungen an unseren Tanz in Katies Strandhaus und all die wundervollen Erlebnisse danach haben mich getroffen wie eine viel zu hohe Welle, mit der man nicht gerechnet hat und die einen ganz plötzlich ins eiskalte Wasser wirft.

Bis vor kurzem hätte ich nie gedacht, eines Tages mit Jodie in einer innigen Umarmung zu stehen, während wir beide Rotz und Wasser heulen, doch genau das ist danach passiert.

Was würde er wohl denken, wenn er seine Ex und seine Ex so gesehen hätte, vereint in dem Versuch, über ihn hinwegzukommen? Dieser Gedanke entlockte mir zwischen all dem Weinen und Schluchzen ein heftiges Kichern, das sich irgendwann auch auf Jodie übertragen hat. Es dauerte eine ganze Weile, bis wir uns wieder in den Griff bekommen haben.

Der dritte Schritt bestand aus einem Serienmarathon, Pizza, Eis und sehr viel Rotwein.

Genauso fühle ich mich auch, als mein Handy die Weckmelodie abspielt und mich damit unsanft aus meinen Erinnerungen reißt.

Doch die pochenden Kopfschmerzen, der ekelerregende Geschmack im Mund und das flaue Gefühl im Magen haben sich gelohnt. Denn zum ersten Mal seit zehn Jahren hatte ich das Gefühl, so etwas wie eine Freundin zu haben und mit ihr ein Wochenende zu verbringen, wie es Leute in meinem Alter manchmal tun. Und außerdem haben damit wir unser Ziel erreicht, in den letzten drei Tagen nur wenige Male an den Auslöser unseres Liebeskummers zu denken.

Der Effekt dieses Vergessens wird allerdings schlagartig völlig zunichte gemacht, als mir bewusst wird, dass es sich bei meiner Weckmelodie um die ersten Takte von ›Fire‹ handelt, dem Song, den er und ich zusammen aufgenommen haben. Seine Stimme brennt sich wie ein glühendes Eisen in meine Brust, langsam und bedächtig, aber mit jeder Silbe tiefer. Hektisch taste ich blind den Nachttisch nach meinem Smartphone ab. Es ist viel zu hell, um die Augen zu öffnen, aber ich muss diesen Alarm so schnell wie möglich abstellen.

Als sich meine Augen einigermaßen an die Helligkeit gewöhnt haben, wechsle ich als erstes die Weckmelodie. Ich weiß nicht, warum ich mich bisher jeden Morgen damit gequält habe. Erst als ich stattdessen ein neutrales Klingeln aktiviert habe, atme ich auf.

Genau wie die Melodie den verflixten Rapper mit Wucht zurück in meine Gedankenwelt katapultiert hat, steht nun plötzlich auch wieder der Termin heute Nachmittag groß und bedrohlich in der Mitte meines Bewusstseins. Rot leuchtend wie ein Warnschild, um mich auf die Gefahr hinzuweisen und zum Weglaufen zu bewegen.

Verflixter Rapper!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt