54 ◉ Tia ◉ Videogames, die Zweite

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»Im Grunde ist es nur ein bisschen Zungenakrobatik und etwas Hüftaction. Mehr nicht. Gymnastik sozusagen.« Verblüfft blinzelnd löse ich meinen starren Blick von Wy und richte ihn auf Angie, die immer noch neben mir steht und nun leicht mit den Schultern zuckt. »Sorry, ich habe vorhin gehört, was Chase zu Miles gesagt hat. Ich habe auch gerade eine Trennung hinter mir und kann mir ungefähr vorstellen, wie du dich fühlst. Aber hey, das ist nur ein bisschen Show für die Leute, nichts Echtes. Mach die Augen zu und denk an etwas Schönes, dann ist es bestimmt schneller vorbei, als du glaubst.«

Bevor ich antworten kann, schnappt sie sich ihren Koffer und nimmt wieder ihren Platz hinter dem Scheinwerfer ein. Trotzdem geben mir ihre Worte einen Halt, an den ich mich klammern kann.

Zungenakrobatik und Hüftaction. Gymnastik. Das klingt logisch. Einfach.

Nur Schauspiel. Nichts Echtes. Wie ganz am Anfang. Wir sind wieder da, wo wir begonnen haben. Was für eine Ironie.

Obwohl, das stimmt nicht ganz. Ich bin nicht mehr dieselbe wie am Anfang. Bei Wy weiß ich es nicht.

»Dann wollen wir mal!« Ich zucke zusammen, als Miles mit einem breiten Lächeln in die Hände klatscht, als hätte er weder Kummer noch Sorgen. Ganz im Gegensatz zu mir.

Nur Schauspiel. Nichts Echtes. Nur Schauspiel. Nichts Echtes.

Verflixt, wie soll ich das hinbekommen, wenn die unterschiedlichsten Gefühle wie ein Orkan durch meinem Bauch toben. Was für ein Chaos! In mir, um mich herum und im Grunde überall. Warum ist mein Leben nur so kompliziert?

Wy strafft die Schultern und ich kann sehen, wie sich seine Brust in mehreren tiefen, langen Atemzügen hebt und senkt. Dann dreht er sich so langsam zu mir um, als koste ihn diese einfache Bewegung jede Menge Kraft und Überwindung. Seine Augen weiten sich, als sein Blick auf mich fällt und über meinen Körper gleitet. Ich kann sehen, wie sich sein Kehlkopf bewegt, weil er schwer schluckt.

Dann treffen sich unsere Blicke, versinken ineinander und er setzt sich in Bewegung. Schritt für Schritt kommt er auf mich zu. Ich stehe auf. Mein Herz pocht viel zu schnell und so laut, dass ich Angst habe, er könnte es hören. Obwohl ich dachte, ich wäre bereit, diese Sache mit Wy durchzuziehen, sagt mir mein Magen gerade etwas ganz anderes. Das flaue Gefühl darin macht mich schwindelig.

Als Wy direkt vor mir steht, so nah, dass ich nur die Hand heben müsste, um ihn zu berühren, würde ich mich am liebsten in seine Arme werfen und an ihm festhalten. Aber er hat mich schon einmal fallen lassen. Ich weiß jetzt, dass ich alleine stehen kann.

Also hebe ich mein Kinn und rühre mich nicht mehr. Keiner von uns bringt den Mut auf, die Stille zwischen uns mit Worten zu füllen. Wir sehen uns nur an.

Zu tief. Zu viel.

Es ist zu viel. Es ist nicht genug. Nie genug.

Vom ersten Tag an hatten seine Augen diese besondere Wirkung auf mich, und das hat sich bis heute nicht geändert. Ich erinnere mich, wie er sich nach unserer ersten Begegnung von mir abwandte und mit dem Fuß einen Stuhl umgetreten hat. Heute tut er das nicht.

Er lächelt. Auf eine süße, irgendwie unsichere Art, die ich von ihm nicht kenne. Dieses Lächeln erschüttert die Mauern, die ich eben erst errichtet habe, mehr als Worte es vermocht hätten.

Vielleicht lässt ihn das alles doch nicht so kalt, wie es vorher den Anschein gemacht hat? Vielleicht ist er auch nicht mehr derselbe?

Aber seine Wirkung auf mich ist unverändert. Ich möchte mich an ihn schmiegen, meine Finger in seinem dichten Haar vergraben, seine Lippen küssen, seine Haut schmecken. Sein Duft flutet meine Nase, und ich gebe mir die größte Mühe, keine Miene zu verziehen. Mir nicht anmerken zu lassen, wie tief mich dieser Duft berührt, weil er Erinnerungen weckt an Wärme, Geborgenheit und ein Zuhause. Am liebsten würde ich die Augen schließen und völlig darin versinken. Mein Körper ist sich derart uneins mit meinem Verstand, dass es weh tut.

Verflixter Rapper!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt