Verflixter Rapper!

33 ◉ Tia ◉ Geöffnete Schubladen

Wys Hand liegt auf meiner, sein Daumen streicht immer wieder über meinen Handrücken, und ich liebe es. Es ist, als würde durch diese Verbindung seine Kraft in mich hineinströmen und die Unsicherheit, die mich die meiste Zeit beherrscht, einfach wegspülen.

Denn ich brauche diese Kraft, um die Stimme zu überhören, die mir ununterbrochen zuflüstert: Tu es nicht! Er wird dich auch verlassen! Du bist dumm und naiv! Du wirst es bereuen! Du bist es gar nicht wert!

Wenn ich anfange, darüber nachzudenken, ob es richtig ist, was ich gleich tun werde, dann kommen mir diese Warnungen in die Quere. Das will ich nicht. Ich weiß nicht wie, aber ich schaffe es, die fiese Stimme in die hinterste Ecke meines Kopfes zu verbannen. In eine der vielen Schubladen einer riesigen Kommode voller Dinge, denen ich mich nicht stellen will.

Einige dieser Schubladen muss ich jetzt öffnen. Mir graut so sehr davor, dass ein Zittern durch meinen ganzen Körper läuft, bevor ich tief Luft hole und mich räuspere.

»Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll«, sind die ersten leisen Worte, die meine Lippen verlassen.

Für einen winzigen Moment weiten sich Wys Augen, als wäre er überrascht, dass ich ihm wirklich alles erzählen will. Ich selbst bin es auch.

»Wo du willst, Tia. Vielleicht am besten ganz von vorne.«

»Ganz von vorne. Ja. Okay.« Ich nicke zaghaft und ringe mir ein gezwungenes Lächeln ab. Wys warme Hand umschließt die meine, drückt sie leicht, und als hätte er damit einen Startknopf gedrückt, beginnen die Worte aus meinem Mund zu sprudeln.

»Als ich auf die Welt kam, war meine Mom erst neunzehn Jahre alt. Sie ist eine schöne Frau und hatte große Pläne für ihr Leben. Sie wollte Model werden und hatte sogar schon einen Vertrag. Sie hat es nie so direkt gesagt, aber ich weiß, dass ich ihr dazwischen gekommen bin. Mein Dad war Assistent bei einem Fotografen, so haben sie sich kennen gelernt. Ich bin sicher, meine Eltern haben sich geliebt, aber... Ich glaube, manchmal reicht das nicht. Sie war nicht glücklich und ... und sie war krank. Nicht körperlich, aber ...«

Ich schlucke trocken, weil es mir schwerfällt, so verflixt schwer, die nächsten Worte auszusprechen.

»Sondern geistig. Daher deine Angst, dass es dir auch so gehen könnte«, vollendet Wy meinen Satz. Ich nicke dankbar, den Blick fest auf unsere verschlungenen Hände gerichtet, die zwischen uns auf dem Tisch liegen.

Nervös ziehe ich meine Unterlippe zwischen die Zähne, bevor ich mir einen Ruck gebe und die nächsten Worte aus meinem Mund presse. »Ja. Da war schon immer das Gefühl, dass mit meiner Mom etwas anders war als bei anderen Leuten. Sie konnte wahnsinnig aufgedreht sein, dann hat sie vor Lebensfreude nur so gesprüht. Sie hat alle mitgerissen, sie war so überschwänglich, voller Energie. Zu viel Energie. Sie war laut, überdreht und auf die Dauer war das ... irgendwie anstrengend. Sie war dann völlig hemmungslos und manchmal hat sie Dinge gesagt, die sie nicht hätte sagen sollen. Schonungslose Wahrheiten. Geheimnisse ausgeplaudert.«

»Wie meinst du das?«

Meine Augen brennen. Zu viele schmerzhafte Erinnerungen prasseln wie spitze Hagelkörner auf mich ein, aber ich zwinge mich weiterzusprechen.

»Ich erinnere mich an einen Nachmittag, an dem ihre damalige beste Freundin und ihr Mann bei uns zu Besuch waren. Plötzlich hat Mom ausgeplaudert, dass ihre Freundin ihren Mann betrogen hat. Mom verstand nicht einmal, warum sie daraufhin wütend unser Haus verlassen hat und nichts mehr von ihr wissen wollte. In diesen Phasen kannte sie keine Grenzen. Wenn sie so war, ich glaube, dann hat sie gedacht, dass sie alles kann. Dass ihr nichts passieren kann. Als ich ganz klein war, habe ich es geliebt, wenn sie so war. Man konnte dann so viel Spaß mit ihr haben. Aber später hatte ich wahnsinnige Angst davor. Sie war dann total sorglos und manchmal ... Manchmal hat sie gefährliche Sachen gemacht.«