Verflixter Rapper!

34 ◉ Tia ◉ Dance, Baby!

»Tanz mit mir, Wy.«

Im schummrigen Halbdunkel blinzelt er verwirrt, als würde ich eine fremde Sprache sprechen und er kein Wort verstehen.

»Du willst tanzen? Hier? Jetzt gleich?«

Anscheinend hat er mich doch verstanden und nur Schwierigkeiten, meinen plötzlichen Stimmungsumschwung nachzuvollziehen. Zugegebenermaßen macht es mir selbst ein bisschen Angst, wie gut ich mich auf einmal fühle, nachdem ich in der letzten Stunde ein ums andere Mal in Tränen der Trauer und Verzweiflung ausgebrochen bin. Weil diese unterschiedlichen Stimmungen genau das sind, was die Krankheit meiner Mom ausmacht. Aber daran will ich im Moment keinen einzigen Gedanken verschwenden.

Nach vielen Jahren unter Wasser kann ich endlich wieder atmen. Wy ist meine Luft. Dass er mir zugehört hat, dass er mich nicht verurteilt hat, dass er mich immer noch in den Armen hält, obwohl er jetzt meine Geschichte kennt, dass er nicht den Eindruck macht, als würde sich für ihn etwas ändern oder als würde er jeden Moment davon laufen, all das hat eine schwere Last von meiner Brust genommen. Oder vielleicht lag diese Last auch auf meiner Seele.

Er lässt mich vergessen, dass ich Angst habe. Er hält mich fest, macht, dass ich mich geborgen und beschützt fühle. Mut und auch die verflixte Hoffnung durchströmen mich auf eine herzerwärmende Weise und plötzlich kommt es mir vor, als gäbe es vielleicht, ganz vielleicht doch eine Lösung für meine Situation, die mir bisher immer völlig ausweglos erschien.

Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich frei. Frei zu sein, wer ich bin und zu sagen, was ich denke und was ich wirklich möchte. Ich weiß nicht, wie lange das so bleiben wird, aber ich will jede Sekunde dieses berauschenden Gefühls auskosten.

»Du hast gesagt, du tanzt mit mir, Wy. Beim nächsten Mal, erinnerst du dich? Also ... Kannst du Musik machen?«

Er zieht die Augenbrauen hoch, rückt dann aber mit dem Rücken ein Stück vom Sofa ab, um sein Handy aus der Gesäßtasche seiner Jeans zu ziehen. Er tippt kurz darauf herum und reicht es mir.

Mit einem Lächeln auf den Lippen gebe ich »Sia« beim Streamingdienst ein und wähle »Gimme love« aus. Mein Lächeln wird breiter, denn im nächsten Moment strömt die Musik aus mehreren Lautsprechern aus allen Ecken des Raumes auf uns ein. Wy scheint in jedem seiner Häuser eine erstklassige Musikanlage zu haben und ich kann das so gut verstehen. Sollte ich jemals ein eigenes Haus haben, wäre die Musikanlage auch das, worauf ich am meisten Wert legen würde.

Ich drehe die Lautstärke auf, bis der Sound jede Faser meines Körpers durchdringt, erhebe mich von seinem Schoß, starte den Song erneut und aktiviere die Endlosschleife.

»You don't wanna dance with me,
but, babe, that's what I need.
Please now, just this once.
Dance, babe, dance, baby«,

singe ich mit Sia, während ich das Handy auf die Couch werfe und Wys beide Hände greife, um ihn zu mir hochzuziehen. Ich hätte keine Chance das zu tun, wenn er nicht mitmachen würde, aber er steht auf.

Im dämmrigen Raum, der nur vom Mondlicht und den Lichterketten der Terrasse erhellt wird, stehen wir uns gegenüber und sehen uns tief in die Augen, bis ich die Lider schließe. Die Musik übernimmt die Kontrolle über meinen Körper, ich beginne mich zu bewegen und fühle jede Zeile, die meine Lippen verlässt. Zusammen mit der Musik überfluten Sicherheit und Selbstvertrauen mein Herz und meinen Verstand und verstärken das Gefühl der Freiheit, das durch meine Adern rauscht. Ich bin mutig und selbstbewusst genug, um zu tun, was ich will. Ohne darüber nachzudenken. Ohne es zu hinterfragen.

Und gerade will ich nichts mehr auf dieser Welt, als mit Wy zu tanzen. Mit sinnlichen Hüftschwüngen entferne ich mich ein paar Schritte von ihm, lege einen Zeigefinger auf meine Lippen, bevor ich den Kopf in den Nacken lege und den Finger sanft über mein Kinn und meinen Hals bis zum Ansatz meiner Brüste streichen lasse. Als sich meine Lider flatternd wieder öffnen, starren seine Augen wie hypnotisiert auf meinen Körper. Ich liebe es.