Der Geruch von Benzin hängt in der Luft. Dreht mir den Magen um.
Ein Knall reißt die Dunkelheit in Fetzen. Peitscht durch die schwarze Nacht. Erzeugt ein widerliches Echo. Lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.
Ein Schuss. Und noch einer.
Für einen Moment kann ich keinen Muskel rühren. Mein Herz schlägt so hart, als würde es meine Brust sprengen wollen. Dann setze ich mich in Bewegung. Werde schneller und schneller. Renne so schnell ich kann.
Keine Chance. Egal, wie schnell ich laufe, ich bleibe immer an derselben Stelle, bewege mich keinen Millimeter vom Fleck. Wie auf einem beschissenen Laufband. Du läufst und läufst und kommst nicht weiter. Niemals weiter. Davonlaufen gibt es nicht. Es ist schneller. Immer.
Doch dann verstehe ich es plötzlich. Bisher habe ich es nie begriffen, aber jetzt ist es mir klar. Etwas hält mich zurück. Ein schweres Gewicht hängt an mir, krallt sich an meine Beine, lässt mich nicht entkommen. Es zieht mich nach unten, reißt mich hinab in eine schwarze Dunkelheit, die sich an mich klammert, mich von allen Seiten umschließt und mich auffrisst. Es gibt kein Entkommen.
Da ist Blut. Viel zu viel Blut. Rot mischt sich ins Schwarz. Es ist überall.
Regen. Wasser. Dreck. Benzin. Und Blut.
Der Eisengeruch nimmt mir den Atem. Keine Luft.
Ich kicke, winde mich, schlage um mich. Ich muss diese Last loswerden. Sonst werde ich ertrinken, in all dem verfluchten Blut. Verbissen kämpfe ich, um aus der schwarzen Tiefe aufzutauchen. Sie ist wie ein zäher Sumpf. Ein Sumpf aus Blut und Dunkelheit.
Doch wie sehr ich mich auch anstrenge, ich schaffe es nicht. Keine Chance. Kein Entkommen.
Plötzlich ist da diese Stimme. Zuerst ganz leise, wie aus weiter Ferne. Ich kenne die Stimme, sie macht mich ruhiger. Es ist so verdammt dunkel, ich sehe nur schemenhafte Umrisse. Aber ich kann sie hören. Eine sanfte, warme, starke Stimme, auch wenn Angst und vielleicht sogar Panik darin mitschwingen. Sie ruft meinen Namen, wieder und wieder. Ich sehe mich um, drehe mich in die Richtung, aus der die Stimme kommt. Ich muss dorthin, da bin ich mir mit einem Mal absolut sicher. Irgendwie muss ich dort hin. Die Stimme ist der Ausweg. Die Rettung.
Sie gibt mir die Kraft, die ich brauche, um mich loszureißen. Endlich schaffe ich es, mich von dem Gewicht zu befreien, das mich zurückhält. Endlich kann ich von hier verschwinden. Aus der Hölle, aus der ich noch nie zuvor einen Ausweg gefunden habe. Diesmal ist da ein Licht, auf das ich zusteuere. Doch als ich über die Schulter einen Blick zurückwerfe, liegt er auf dem Boden und starrt mich an.
Er war es. Es war seine Hand, die mich festgehalten hat. Seine entsetzt aufgerissenen Augen klagen mich an. Ich kann sein Urteil darin lesen. Er hat recht. Ich bin schuldig.
Er kommt näher. Ich weiß nicht wie, denn keiner von uns bewegt sich. Seine Hände sind wie Klauen, greifen nach meinem Knöchel, packen ihn und ziehen mich zurück. Zurück in die Dunkelheit.
Kein Entkommen.
Mein Oberkörper schnellt nach oben. Ich reiße die Augen auf, ohne wirklich etwas wahrzunehmen.
»Wy? Das war nur ein Traum. Alles ist okay. Nur ein Traum, okay?«
Das Zittern in ihrer Stimme ist unüberhörbar. Trotzdem spüre ich die Kraft dahinter. Sie ist wie ein Rettungsanker, der mich ins Hier und Jetzt zurückholt.
Ich blinzle, sehe langsam wieder klar und blicke im schummrigen Dunkel eines fremden Schlafzimmers in weit aufgerissene graue Augen, die besorgt in meine schauen. Und ängstlich. Und erschrocken. Was kein Wunder ist.
Mein Herz rast, mein Atem geht schwer, keuchend, stoßweise. Ich bin schweißgebadet. Meine Schulter pocht, als wäre dort eine frische Wunde. Dabei ist von ihr längst nur noch eine Narbe übrig, kaum sichtbar, weil sie von einem Tattoo überdeckt wird. Wahrscheinlich habe ich mich gerade wie ein Wahnsinniger aufgeführt. Sie hätte das nicht sehen sollen.
Diese verdammten Träume. Dunkle, qualvolle Träume, die es mich wieder und wieder durchleben lassen. Immer wieder aufs Neue. Ich hätte nicht gedacht, dass sie ausgerechnet heute zurückkommen. Sie haben mir die Zeit im Paradies nicht lange gegönnt. Meine persönliche Hölle hat mich schneller eingeholt, als ich es erwartet hätte.
»Besser?«, fragt Tia leise.
Ich ringe mir ein Nicken ab, fahre mir mit beiden Händen übers Gesicht und drehe mich weg. Ich kann sie nicht ansehen. Wann genau habe ich mir eingeredet, dass ich das alles einfach hinter mir lassen könnte? Dass ich einfach nur glücklich sein könnte. Dass ich es eines Tages vergessen könnte.
Weglaufen ist nicht drin. Die Schuld ist schneller als ich. Das war sie immer.
»Willst du darüber reden?«, fragt sie so sanft, ruhig und unbeeindruckt, dass ich ernsthaft darüber nachdenke.
Will ich das?
Sie hat mir alles von sich erzählt. Alles, was sie erlebt hat, was sie belastet, was ihr Angst macht. Nur deshalb kann ich sie verstehen, nur deshalb sind wir uns so nahe gekommen. Und ich glaube, dass es ihr jetzt besser geht. Sie ist so verdammt mutig.
Aber sie hat keine Schuld an dem, was ihr passiert ist. Kein bisschen. Im Gegensatz zu mir. Ich bin der Typ, der etwas Unverzeihliches getan hat. Sie wird mich mit anderen Augen sehen, wenn sie es weiß. Will ich so jemand für sie sein?
Fuck, nein. Das will ich nicht. Niemals. Sie braucht jemanden, der stark ist, und genau das werde ich für sie sein. Die Dämonen können mich auffressen, solange sie ihr nicht zu nahe kommen. Und vielleicht kann ich sie weit genug zurückdrängen, dass wir glücklich sein können. Wenigstens für eine Weile.
»Es gibt nichts zu reden. Das war nur ein Traum, Tia. Nichts Wichtiges.«
Die Worte fühlen sich falsch an, hinterlassen einen widerlichen Beigeschmack auf meiner Zunge. Erstaunt bemerke ich, dass ich beide Hände in die Bettdecke gekrallt habe. Ich muss mich anstrengen, um meine Finger davon zu lösen. Ich konzentriere mich völlig darauf, denn ich kann Tia nicht ansehen. Sie hat mir so viel gegeben, was ich ihr nicht zurückgeben kann.
Ehrlichkeit. Vertrauen. Wahrheit.
»Es kam mir wichtig vor.«
Sie spricht leise, und als ich so tue, als hätte ich sie nicht gehört, fühle ich mich noch ein ganzes Stück schlechter. Sie hat es nicht verdient, nicht gehört zu werden. Das passiert ihr viel zu oft. Ich weiß, dass ich es anders machen sollte, aber verdammt, ich kann es nicht. Nicht in dieser einen Sache.
»Ich bin verschwitzt, ich geh mich duschen. Schlaf einfach weiter, Sternchen.«
Es klingt nicht so locker wie es sollte, und ich weiß, dass sie das bemerkt hat. Ich weiß, dass sie weiß, dass es eine Flucht ist, als ich im Bad verschwinde. Es fühlt sich übel an. Es macht mich zum Lügner, weil ich ihr versprochen habe, nicht mehr wegzulaufen. Am Allerwenigsten sollte ich vor ihr weglaufen. Fuck. Das sollte ich wirklich nicht. Aber ich bin ein verdammter Feigling und tue es.
All die ganzen Leute, die ständig darüber singen und schreiben, dass Liebe alles kann, dass sie jeden Zweifel und alle Ängste besiegt ... Vielleicht habe ich ihnen für einen Moment geglaubt.
Aber ich schätze, die haben sich geirrt.
*****
Ich weiß, dass nicht jeder den Prolog einer Geschichte liest. Aber wenn man das hier besser verstehen will, dann sollte man es vielleicht noch tun. 👀
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Verflixter Rapper!
Romance⩥ ROMANCE ⩤ Popsängerin Cynthia Gale ist auf dem Weg nach oben. Auf der Bühne fühlt sich die sonst so schüchterne junge Frau frei und selbstbewusst. Mit Ehrgeiz und harter Arbeit erzielt sie erste Platzierungen in den Charts. Der zynische Rapstar Wy...