32 ◉ Tia ◉ Verflixte Hoffnung

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Wir sitzen uns am hellen Marmortisch auf der Terrasse von Katies Haus gegenüber. Die Nacht ist warm und sternenklar. Lichterketten, die zwischen den Palmen rund um die Terrasse verlaufen, tauchen uns und die Umgebung in ein warmes, orangefarbenes Licht. Wy hat chinesisches Essen bestellt, und obwohl ich nicht geglaubt habe, dass ich überhaupt etwas runter bekomme, hat es mir von Minute zu Minute immer besser geschmeckt. Er hat meinen Teller mehr als reichlich gefüllt, trotzdem war er am Ende leer.

Es war ein langer, aufwühlender Tag, aber das leise Rauschen des Meeres, das sich unterhalb des Hauses immer wieder gegen die felsige Küste wirft, wirkt in seiner Eintönigkeit beruhigend auf mich. Auf eine seltsame Weise fühlt es sich unwirklich an. Wie ein wunderschöner Traum, aber nicht ganz echt.

Wy schiebt ein eng beschriebenes Blatt über den Tisch. Er sieht mich an. Seine Augen sind nicht mehr kalter blauer Stahl wie an dem Tag, als wir uns zum ersten Mal begegneten. Sie sind hellblau wie der Pazifik und leuchten wie das Licht der Kerze, die hinter dem Glas einer Laterne den Tisch erhellt.

Voller Energie. Voller Tatendrang. Und voller Hoffnung.

So viel verflixter Hoffnung, dass etwas davon auf mich überspringt. Und obwohl ich weiß, wie weh enttäuschte Hoffnung tut, kann ich gar nichts dagegen tun.

»Ich hab was geschrieben. Heute morgen, als du bei diesen ... diesen zwei Hyänen warst. Und einerseits denke ich, es wäre besser gewesen, wenn ich dabei gewesen wäre. Andererseits habe ich schon so verdammt lange nichts mehr geschrieben, was ich selbst gut finde, dass ich es irgendwie nicht richtig bereuen kann. Mir ist heute einiges klar geworden, Tia, und diese Worte sind mir einfach so aus den Fingern geflossen.«

Ich blicke auf das Stück Papier, das er immer noch mit den Fingerspitzen festhält, weil der Abendwind hier an der Küste frisch ist und es sonst vermutlich davonwehen würde.

»Das Ding ist, es gibt plötzlich wieder so viele Sachen, über die ich schreiben könnte. So viele Ideen und Texte in meinem Kopf. Ich weiß nicht, wie es bei den Leuten ankommt, aber das hat mich früher auch nicht interessiert. Ich habe einfach geschrieben, was ich wollte, weil ich es irgendwie musste. Weil es aus mir raus musste. Ich hatte das verdammt lange nicht mehr, aber gerade fühlt es sich wieder so an.«

Er schiebt das Blatt noch ein Stück weiter in meine Richtung. Seine Handschrift ist erstaunlich gerade und klar. Sehr gut lesbar, im Gegensatz zu den schiefen, krakeligen Buchstaben, die ich fabriziere und für die sie mich ständig rügt. Zaghaft hebe ich den Kopf und schaue ihn an. Die Hoffnung hat sich inzwischen in seinem Blick festgesetzt und macht sein Gesicht noch schöner.

»Du möchtest, dass ich es lese?« Meine leisen Worte werden sofort vom Wind davongetragen, aber er hört sie trotzdem.

Er nickt und ich schlucke. Jemandem seine Texte zu zeigen, ist ein großer Vertrauensbeweis. Man macht sich verletzlich, angreifbar. Jedenfalls dann, wenn man so viel von sich selbst in die Texte hineinlegt und von sich preisgibt, wie ich es tue. Ich bin mir sicher, dass es bei Wy genauso ist. Er ist irgendwie echt, und seine Texte sind das sicher auch.

Ich habe damit keine guten Erfahrungen gemacht. Rhonda hat mich nur milde belächelt und mir erklärt, dass kein Mensch diesen sentimentalen Quatsch hören will. Seitdem traue ich mich nicht mehr, jemandem meine Worte zu zeigen. Ich fürchte den Schmerz und die Enttäuschung.

Meine Finger zittern leicht, als ich das dünne Blatt in meine Hände nehme und zu lesen beginne.

»Es geht um eine Sängerin«, stelle ich nach den ersten Zeilen fest und blicke wieder zu ihm auf. Er zwinkert mir zu.

»Rate, an wen ich gedacht habe.«

Könnte es sein, dass ...

Oder er meint Jodie.

Verflixter Rapper!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt