50 ◉ Tia ◉ Schwimmen

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»Meine Güte, sieh dich nur an.«

Rhondas kalter Blick aus ihren falschen türkisblauen Augen gleitet über mich hinweg, als würde sie ein widerliches Ungeziefer betrachten, das sie soeben auf dem Küchenboden entdeckt hat.

Mit der Ansage, sie habe noch etwas Geschäftliches mit mir zu besprechen, hat sie zuvor meine Mama nach draußen auf die Terrasse geschickt. Ich wollte sie anflehen, bei mir zu bleiben, mir zu helfen, mich zu retten, aber mein Körper war taub, mein Mund trocken, meine Stimmbänder wie gelähmt. Kein Wort wollte mir über die Lippen kommen.

Jetzt sind wir allein. Allein in meiner Wohnung, in der ich mich sicher gefühlt habe. Aber ich bin nirgends sicher. Nirgendwo.

Das altbekannte Gefühl der Machtlosigkeit überschwemmt mich wie eine Welle, die all meine Vernunft und meinen Widerstand mit sich reißt. Mein Körper ist wie betäubt, nur meine Gedanken rasen durch meinen Kopf auf der Suche nach den Ratschlägen, die mir mein Therapeut gegeben hat. Doch da ist nichts als schwarze Leere.

Ungehorsame Kinder werden bestraft. Sie werden bestraft, wenn sie nicht tun, was man ihnen sagt. Ich will um Hilfe rufen, aber niemand kann mir helfen. Ich bin ganz allein. Wie damals, als sie mich einfach mitgenommen hat.

»Mein Gott, wie es hier aussieht. Das totale Chaos, Cynthia. Wie damals ... Ganz genau wie damals. Du bist auf dem gleichen Weg wie deine Mutter, offensichtlich.«

Ich schlucke, während mein Blick dem ihren folgt, der angewidert über das Sofa schweift, auf dem Decken und Kissen wild durcheinander liegen, dann über den Tisch, auf dem sich halbvolle Gläser, Pizzaschachteln und leere Eisbecher stapeln. Schließlich verzieht sie das Gesicht, als sie an den Rotweinflecken auf dem hellen Steinboden hängen bleibt.

»Gott, und dieser Gestank hier. Wie in einer Bahnhofskneipe. Deine Mutter muss ja einen tollen Eindruck von dir bekommen haben.«

Sie dreht sich zu mir um, packt mich von hinten grob an den Oberarmen und schiebt mich energisch vor den großen Spiegel im Eingangsbereich. Es passt zu ihr, wie sie mich anfasst. Sie ist eine Macherin, schiebt sich die Welt zurecht.

Ich lasse es einfach geschehen, meine Arme hängen nutzlos an meinen Seiten, als gehörten sie mir gar nicht. Nur die Augen schließe ich, ein winziger Akt des Protests. Mehr bringe ich nicht zustande.

Ich will das nicht. Ich will nicht, dass sie das mit mir macht.

»Sieh hin, Tia. Mach die Augen auf und sieh genau hin. Oder willst du es wirklich noch schlimmer machen?«

Ich schlucke schwer. Nein, ich will es nicht noch schlimmer machen. Ich muss ihr gehorchen. Es gibt kein Entkommen. Flatternd öffne ich die Lider.

Was ich im Spiegel sehe, erschreckt mich. Wilde, struppige Strähnen umrahmen ein blasses Gesicht, dunkle Schatten liegen unter trüben, glanzlosen Augen. Den Körper bedeckt nur ein großes, hellgraues Schlafshirt, das auf der Hälfte der Oberschenkel endet und mehrere dunkle Flecken hat. Ich ziehe den Kopf zwischen die Schultern wie eine Schildkröte, die sich in ihrem Panzer verstecken will.

»Ekelhaft, Cynthia. Wirklich. Eine Vogelscheuche ist bildhübsch gegen dich. Und du stinkst erbärmlich. Was ist nur aus dir geworden in der kurzen Zeit, in der ich nicht dafür sorgen konnte, dass du das Richtige tust? Du bist offensichtlich nicht in der Lage, für dich selbst zu sorgen. Du bist auf mich angewiesen. Ich hoffe sehr, dass du noch genug Verstand hast, um das zu begreifen.«

Ich stehe vor dem Spiegel und starre mein Bild an. Stehe neben mir wie ein stummer Beobachter und sehe, wie eine einsame Träne über meine Wange rollt.

Verflixter Rapper!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt