41 ◉ Tia ◉ Superhelden

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Es gibt diese wenigen, ganz besonderen Momente im Leben, in denen alles stimmt. In denen man sich nichts vorstellen kann, was das Hier und Jetzt noch besser machen könnte. Genau so ein Moment ist es, als der Mann, der uns zur Bühne geführt hat, eine schwarze, schalldichte Tür öffnet.

Mit einem Mal ist die Luft erfüllt vom Lärm, den Rufen und den Pfiffen der wartenden Fans in der Halle. Ihre Energie vibriert zwischen uns wie unsichtbare elektrische Spannung, greift auf mich über und setzt meinen ganzen Körper unter Strom. Wy drückt meine Hand, die noch immer in seiner liegt.

Musik und die Momente auf der Bühne sind die Dinge, die mir in den letzten Jahren am meisten bedeutet haben. Sie waren mein Rettungsring in einem endlos scheinenden Meer aus Angst, Verzweiflung und Unsicherheit und haben mich davor bewahrt, elendig darin zu ertrinken. Musik und die Bühne gemeinsam mit dem Mann zu erleben, der sich in den letzten Wochen ganz tief in meinem Herzen eingenistet hat, ist das Beste, was ich mir vorstellen kann.

Vorsichtig hebe ich den Blick und sehe ihn an, doch die Panik, die ich vorher in seinen Augen zu lesen glaubte, ist völlig verschwunden. Er strahlt keinen Hauch von Unsicherheit mehr aus. Stattdessen erkenne ich nur ruhige Konzentration und Stärke. Er hat die Ausstrahlung von Superman, als hätte er immer alles im Griff und für jedes Problem eine Lösung. An seiner Seite fühle ich mich wie Wonderwoman. Stark, selbstbewusst, unbesiegbar. Auf der Bühne habe ich mich schon immer so gefühlt, aber wenn er in meiner Nähe ist, habe ich dieses Gefühl inzwischen auch an jedem anderen Ort.

Ich recke mich auf die Zehenspitzen und spreche laut in sein Ohr, um den Lärm zu übertönen. »Geh da raus und hab Spaß, mein Rap-Gott. Ich kann es kaum erwarten, bei dir zu sein.«

Er sieht mich an, mit einem ehrlichen schiefen Lächeln auf den Lippen, legt seine Hand in meinen Nacken und zieht mich zu sich, um mich sanft zu küssen. Dann atmet er einmal tief durch und löst seine andere Hand von meiner, bevor die Visagistin und der Tontechniker ein letztes Mal um ihn herumwirbeln. Pfiffe, Rufe und Jubel werden ohrenbetäubend laut, unzählige Handyblitze zucken auf, als er die Bühne betritt und gleich darauf wummern treibende Beats durch den Saal.

Dass wir so kurzfristig die Chance bekommen haben, mit unseren neuen Songs als Headliner beim Benefizkonzert eines bekannten Radiosenders aufzutreten, ist eine Riesenchance. Mit jeder Faser fiebere ich darauf hin, diese Bühne zu betreten und zusammen mit Wy mein Bestes zu geben.

In den ersten Minuten sind meine Augen nur auf ihn gerichtet, ich habe keine Chance, etwas anderes wahrzunehmen. Er hat diese besondere Präsenz auf der Bühne, dieses gewisse Etwas, das man braucht, um die Leute mitzureißen. Die Art, wie er sich bewegt und die Blicke, die er seinen Fans zuwirft, haben etwas Hypnotisches. Er steht da oben und füllt den Saal mit seiner Stimme, als wäre das alles für ihn so einfach wie für andere Menschen das Atmen.

Das Meer von Händen, die sich zum Beat bewegen, ist ein atemberaubender Anblick. Die Fans springen im Takt auf und ab, schreien den Text mit, brüllen noch lauter, wenn er ihnen das Mikrofon entgegenstreckt.

Er trägt helle Jeans und ein schwarzes Tanktop. Die Scheinwerfer tauchen ihn in buntes Licht und erwecken die Tattoos auf seiner Haut zum Leben. Sie wirken wie lebendige Wesen, die auf seinem Körper tanzen. Der Anblick raubt mir den Atem.

Die Frauen in der ersten Reihe reißen die Arme in die Höhe und kreischen gleichzeitig los, als er sich mit dem Saum seines Shirts über das Gesicht wischt und dabei die Sicht auf seinen durchtrainierten Bauch freigibt.

Ich kann sie verstehen. Es ist kein Wunder, dass sie ihn anhimmeln.

Er war in den letzten Wochen noch viel öfter im Fitnessraum seiner Villa als ich und ist verflixt gut in Form. Doch das ist es nicht allein. Ich fand ihn schon von Anfang an heiß, aber ihn so zu sehen, ist noch mal etwas völlig anderes. So ganz in seinem Element, mit dieser unglaublichen Stimme, wie er die Menschen da unten völlig im Griff hat. Wie sie jedem seiner Worte lauschen, als würde er eine Heilsbotschaft verkünden, und jeder seiner Ansagen folgen, als wären sie der Befehl eines Königs.

Verflixter Rapper!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt