52 ◉ Tia ◉ Hoffnung, die Tausendste

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»Ich kann kaum glauben, dass es wirklich solche Menschen gibt.«

Chase steht neben mir an der Brüstung der Dachterrasse und lässt seinen Blick über das Lichtermeer der nächtlichen Stadt schweifen, während er langsam den Kopf schüttelt. Seine Finger krampfen sich so fest um das Wasserglas, dass ich Angst habe, es könnte in seiner Hand zersplittern.

Die in den Boden eingelassenen Strahler tauchen ihn in ein warmes, orangefarbenes Licht. Er trägt immer noch das schicke Outfit, das er am Nachmittag beim Anwaltstermin an hatte, aber inzwischen hat er die Ärmel seines figurbetonten hellblauen Hemdes hochgekrempelt. Die Krawatte hängt zusammen mit dem dunkelblauen Jackett über einem Stuhl.

»Wenn dieser Frau ihre Künstler zu egoistisch und exzentrisch sind, dann hätte sie vielleicht einen anderen Beruf wählen sollen. Am besten irgendwas mit ... Steinen.«

Meine Mundwinkel zucken und verziehen sich dann zu einem Grinsen.

»Steine würden gut passen. Oder Puppen. Marionetten wären wahrscheinlich perfekt.«

Auch Chase setzt ein breites Grinsen auf, das seine weißen Zähne aufblitzen lässt. Dann dreht er sich ganz zu mir um und plötzlich wird sein Blick ernst. »Ich bin froh, dass sie es nicht geschafft hat, aus dir eine Marionette zu machen, Ti.« Seine Stimme ist leise und sanft.

Ich schlucke schwer, denn ich weiß genau, dass ihr nicht viel gefehlt hätte, um dieses Ziel zu erreichen.

»Ja, das bin ich auch.«

Plötzlich kehrt sein Grinsen zurück, seine Augen funkeln schelmisch. »Aber heute hast du ihr gezeigt, wo der Hammer hängt. Mann, ihr Gesicht war Gold wert, als du ihr gesagt hast, dass dich die Verschwiegenheitserklärung einen verdammten Dreck interessiert, wenn du jemals herausfinden solltest, dass sie wieder ein Kind unter ihrer Fuchtel hat. Ich werde nie ihren Blick vergessen, als du ›verdammter Dreck‹ gesagt hast. Ich glaube, dein Anwalt hatte auch Spaß. Zuerst hat er nur die Augen aufgerissen, aber dann hat er heimlich in sich hineingegrinst. Das hab ich ganz klar gesehen.«

»Ich glaube, er kennt mich so noch nicht.«

Etwas verlegen zucke ich mit den Schultern, während meine Wangen heiß werden. Schimpfwörter jeglicher Art zu benutzen, war mir bisher immer streng verboten. Genau aus diesem Grund habe ich Rhonda heute Nachmittag einige an den Kopf geworfen. Sie soll wissen, dass sie jede Macht über mich verloren hat. Und ich hoffe, dass das wirklich so ist.

»Ja, das glaube ich auch.« Er seufzt leise. »Trotzdem war es wahrscheinlich richtig, diese Verschwiegenheitserklärung in die Vereinbarung aufzunehmen. So wie du über deine Zeit mit Rhonda in der Öffentlichkeit stillschweigen bewahren musst, darf sie in Zukunft auch nie über dich und deine Mutter oder über Wy und die Sache mit der Scheinbeziehung sprechen. Sonst wird es verdammt teuer für sie. Sie dürfte sowieso schon zu knabbern haben, weil die Summe, die sie zahlen muss, heute noch einmal deutlich gestiegen ist. Es war gut, dass du auf deinen Anwalt gehört hast und mehr verlangt hast. Und die Klausel, dass sie nie wieder in irgendeiner Form Kontakt zu dir oder deiner Mutter aufnehmen darf, war auch verdammt wichtig. Ich würde sagen, du bist diese Frau zum Glück jetzt für immer los.«

Ich wünschte, ich könnte auf Holz klopfen. Aber es ist leider keines in der Nähe.

»Ja, das hoffe ich«, sage ich stattdessen.

Ich hoffe es sehr. Und wundere mich gleich darauf, dass ich wieder hoffen kann. Zum tausendsten Mal. Selbst wenn ich schon neunhundertneunundneunzig Mal enttäuscht wurde.

»Sie ist trotzdem immer noch zu gut weggekommen. Ich meine, ich habe sie nie besonders gemocht, aber ich hätte nicht gedacht, was für ein manipulatives Miststück sie wirklich ist. Alle Leute, die dir was bedeutet haben, hat sie von dir ferngehalten. Hat sie rausgeschmissen, wenn sie gemerkt hat, dass sich eine Freundschaft oder eine Beziehung entwickelt. Nur, damit du ganz allein und völlig abhängig von ihr bist.«

Verflixter Rapper!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt