8 ◉ Wy ◉ Verschrecktes Hühnchen

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»Wohnt das Sternchen noch hier?«

Rosa zuckt zusammen, bevor sie herumwirbelt und mich ein strafender Blick aus dunkelbraunen Augen trifft. Drohend richtet sie ihren Staubwedel auf mich, mit dem sie gerade, eines ihrer mexikanischen Lieder vor sich hin summend, das Gewürzregal bearbeitet hat. Sie verzieht ihr Gesicht zu einer grimmigen Grimasse. »Wy! Irgendwann bekomme ich noch eine Herzattacke und du ganz allein bist schuld daran! Du kannst mich nicht immer so furchtbar erschrecken!«

Ich lege das schiefe Grinsen auf, das es jedes Mal schafft, die Wogen zu glätten. »Du siehst doch, dass ich es kann.«

»Du bist unmöglich.«

»Ich weiß. Aber du liebst mich trotzdem.«

Sie verdreht dramatisch ihre Augen und wirft beide Hände in die Luft. »Dios mio, was habe ich nur verbrochen?« Dann zieht sie ihre Brauen zusammen und mustert mich kritisch. »Bist du gerade erst aufgestanden?«

Ich zucke mit den Schultern, bevor ich zielstrebig auf die Kaffeemaschine zumarschiere und den Einschaltknopf betätige. Mit dem typischen Brummen setzt das Gerät sich in Betrieb. »Sorry, aber so langsam müsstest du doch wirklich wissen, dass ich selten vor dem Nachmittag wach bin.«

»Stimmt. Aber ich habe gehofft, dass sich das endlich ändert. Jetzt, wo sie hier ist. Du solltest dich mehr um sie kümmern.« Um ihre Worte zu betonen, wedelt sie mit ihrem Staubmopp wie wildgeworden vor meinem Gesicht herum. Ich huste und niese.

»Fuck. Was hast du vor? Willst du mich ersticken?«

»Si. Und das wäre kein besonders großer Verlust für die Menschheit. Was hat mich nur dazu gebracht, mit dir hierher zu kommen? Ich hätte bei meinen Leuten bleiben sollen.« Sie rollt vielsagend mit den Augen und entlockt mir damit ein Lächeln.

Ich nicke, während ich ihr gleichzeitig zuzwinkere. »Das hätte uns beiden viel Leid erspart. Aber wenn du mal ehrlich bist, hättest du es ohne mich gar nicht ausgehalten.«

Sie schüttelt den Kopf, verzieht ihre Lippen dabei aber mehr und mehr zu ihrem ansteckenden, warmen Lachen, das ihre weißen Zähne aufblitzen lässt. Wieder einmal wird mir bewusst, dass sie die Einzige ist, die mir zuhört und immer für mich da ist. Obwohl sie es auch nie leicht hatte. Oder vielleicht gerade deswegen.

Was sagt es wohl über mich aus, dass die Tante meines besten Freundes, die gleichzeitig meine Haushälterin ist, der letzte Halt ist, den ich im Leben noch habe?

Okay, ich denke vielleicht lieber nicht darüber nach.

»Ich meine das ernst, Wy. Ich mag sie. Tia ist ein liebes Mädchen.«

»Sicher?«, frage ich mit einigem Zweifel in der Stimme. »Mir kommt sie eher wie ein verwöhntes, talentfreies Popsternchen vor, das für den Erfolg so ziemlich alles tun würde.«

Rosa schüttelt so energisch ihren Kopf, dass sich eine Strähne ihres schwarzen Haares, das seit einiger Zeit mit feinen Silberfäden durchzogen ist, aus ihrem Pferdeschwanz löst. »Wie kommst du nur darauf? Du hast da ein völlig falsches Bild von ihr. Wo ist deine Menschenkenntnis geblieben, hm? Ich mag es nicht, dass du solche Vorurteile entwickelst, Junge.« Mit dem Zeigefinger ihrer kleinen, braunen Hand stupst sie mich mehrmals in die Brust. »Sie ist nicht verwöhnt. Sie lässt sich nicht bedienen und macht vieles selbst. Wenn ich etwas für sie tue, bedankt sie sich jedes Mal. Ich merke genau, dass sie mir nicht zur Last fallen will. Morgens steht sie um sechs Uhr auf und hat den ganzen Tag ein straffes Programm, aber wenn sie hier ist, dann hilft sie mir. Sie ist freundlich und hilfsbereit und sie hat Ehrgeiz und verfolgt ihre Ziele.«

Überrascht ziehe ich die Luft ein, angesichts dieser unerwarteten Lobeshymne und der Stichelei gegen mich, die sie gleich noch darin verpackt hat. »Willst du damit sagen, dass ich meine Ziele nicht verfolge?«

Verflixter Rapper!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt