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Xavier erfüllt sich seinen Wunsch und schläft bis ca. 10 Uhr. Da ich aber schon zwei Stunden vorher wach war, habe ich die Zeit genutzt und mich dazu überwunden, mit meinem Vater zu telefonieren. Zu meiner Erleichterung war er nicht sauer auf mich, sondern auf Samanta. Er meinte, dass es erstmal gar nicht geht, dass sie mich so grob behandelt und das dann auch noch direkt vor unserer Haustür, wo es jeder sehen kann. Außerdem hat er gesagt, dass ich öffentlich nichts dazu sagen muss und dass meine Schwester das schön allein ausbaden kann. Trotz alledem hat er sich gewünscht, dass ich zu Hause mal wieder vorbeischaue, er würde auch versuchen, Sammy davon zu überzeugen, sich bei mir zu entschuldigen. Das kann er gerne versuchen, ich bin mir nicht sicher, ob das klappt. Weil sie von klein auf wie eine verwöhnte Prinzessin behandelt wurde, denkt sie heute noch, dass sie tun kann, was sie will und das wird dann toleriert, dass sie kriegt, was auch immer sie will und auch, dass alles so läuft, wie sie es gerne hätte. Es ist ein Erziehungsfehler.

Mit Xav zusammen frühstücke ich dann und nicht viel später müssen wir uns schon auf den Weg machen. Es war alles so viel besser, als wir als Gruppe noch zusammengewohnt haben. Wir wurden für Termine immer am Dorm abgeholt, keiner hat sich verfahren oder sonst was. Außerdem sind zwei von uns nicht bei ihren eigenen Häusern; Pete und ich. Pete wohnt zurzeit bei Avery, weil seine Schwester das Haus vermietet hat, um an Geld für ihr Studium zu kommen. Ob sie nun wusste, dass ihr Bruder nicht für immer ausgezogen ist oder nicht, weiß ich nicht. So oder so ist es blöd für ihn. Ich persönlich fände es super, wenn wir die Wohnung zurückbekommen könnten, aber das Entertainment macht uns da einen Strich durch die Rechnung. Die ermöglichen es uns erst wieder zusammen zu wohnen, wenn wir mit der Schule fertig sind, weil der Abschluss unsere größte Priorität sein sollte. Ein bis zwei Jahre, je nachdem welchen Abschluss man anstrebt, müssen wir es also noch so schaffen. Ich denke, wenn wir uns erstmal wieder dran gewöhnt haben, nicht mehr zusammen zu leben, wird es etwas einfacher.

Bei der großen Konzerthalle angekommen, sind Xav und ich zwar die letzten, aber nicht zu spät. Uns als Gruppe wird der Ablauf erklärt und dann ist auch schon gleich der Soundcheck, bei dem mein Freund dann auch nochmal seine Probe hat. Weil Jon und Pete ja immer noch verhindert sind, mussten wir ein Lied nehmen, dass wir ohne Choreografie aufführen können. Wir stehen nur in einer Reihe auf leuchtenden Podesten, die LED-Wände hinter uns spielen irgendwelche Muster ab und später kommt hier auch noch Nebel. Der Song, den wir ausgesucht haben, passt perfekt zu meiner jetzigen Situation, was es beinahe lächerlich macht. Er heißt Forgiveness. Die Message ist, dass es einen nicht weiterbringt einen Groll zu hegen und man durchs Verzeihen nicht nur der Person, mit der man Streit hat, Frieden schenkt, sondern vor Allem sich selbst. Würde ich meine eigenen Ratschlägen befolgen, wäre es gar nicht so weit gekommen, dass meine eigene Schwester mich eine Missgeburt nennt. Meinte sie das wirklich ernst? Wenn ja, dann ist ihre Aussage nicht nur ziemlich beleidigend gewesen, sondern auch homophob. Denn es bedeutet ja, dass man schon mit einem Fehler geboren wurde und da ich körperlich nicht beeinträchtigt bin, würde mir nichts anderes einfallen als meine Sexualität, die nicht der Norm entspricht. Aber vielleicht denke ich auch viel zu weit und sie hat sich da nichts Großes bei gedacht, sondern das Wort als einfache Beleidigung gesehen; wie zum Beispiel Arschloch oder sowas. Das kann nur Samanta genau sagen.

„Worüber denkst du nach?", fragt Christopher und reißt mich damit aus meinen Gedanken. Wir befinden uns in unserem Backstage-Raum und sind derzeit die einzigen hier, weil die anderen noch in der Maske sind. Damit sind wir schon fertig.

„Ist meine Sexualität ein Makel?" Ich weiß nicht, warum ich antworte, wenn er mich fragt. Wenn Xavier dasselbe gefragt hätte, wäre meine Antwort nicht so offen gewesen.

„Nein, um Gottes Willen. Wie kommst du denn auf so 'n Scheiß?"

Schockiert starrt er mich an, als hätte ich vollkommen den Verstand verloren. „Du bist doch sonst auch immer stolz darauf gewesen. Denkst du, dass es falsch ist, dass du Xavier liebst?"

SlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt