Jonas fühlte sich nicht bereit, Markus wieder unter die Augen zu treten. Dieser Tag war mehr als in einer Hinsicht ernüchternd gewesen. Nicht nur, dass er ein schreckliches Video hatte ansehen müssen, nach dem ihm klar war, dass sie das Mädchen nicht mehr würden retten können, sondern er und Marc hatten auch noch ihren wütenden Vorgesetzten ertragen müssen.
Allerdings waren sie auch ein ganzes Stück weiter, denn in der Wohnung des Täters waren jede Menge Dinge sichergestellt worden. Hoffentlich fanden sie abgesehen von den Dateien auf seinem Laptop noch andere Beweise wie Haare oder Hautschuppen der Opfer. Jonas wusste, dass sein Teil in diesen Ermittlungen zum Großteil erledigt war, sofern der Kerl sich nicht noch einmal per Mail bei ihm meldete, aber er war sich sicher, dass noch heute ein Haftbefehl gegen ihn rausging und sie in der Zeit genug fanden, um ihn eingesperrt zu lassen.
Dennoch blitzte immer wieder das Bild von dem Mädchen vor seinem inneren Auge auf, das geschändet und misshandelt in diesem Kellerverlies lag. Paulchen trug zwar eine Skimaske, aber sicherlich würden sie genug Identifikationsmerkmale finden, dass er es tatsächlich war.
Kopfschüttelnd vertrieb er das Mädchen aus seinen Gedanken und versuchte, sich auf den Feierabend zu konzentrieren. Das fiel ihm jedoch alles andere als leicht, denn er wusste, dass Markus draußen auf ihn wartete. Und er war ohne Frage wütend auf ihn.
„Mach Feierabend. Wir können nichts weiter tun und müssen die da oben machen lassen. Wir haben genug Beweise auf seinem Laptop gefunden, selbst wenn die da oben das nicht hinkriegen. Mehr können wir nicht machen", hörte er Marc sagen, gefolgt von einer Zigarette, die über die Bildschirme auf seinen Schreibtisch flog. Sie kullerte über den Tisch, hinterließ kleine Tabakkrümel darauf und wurde schließlich von der Tastatur daran gehindert, vom Tisch zu rollen.
„Ja, ich... ich brauch nur noch fünf Minuten", sagte er, nahm die Zigarette und zündete sie an. Auch Marc rauchte und Jonas entschied sich, noch ein paar der überflüssigen Mails zu löschen. Die Danksagung „von denen da oben", wie Marc sie immer nannte, dass sie im letzten Fall tolle Arbeit geleistet hatten, die zwar nett gemeint, aber irgendwie scheinheilig klang zum Beispiel. Oder die Verabschiedung eines Kollegen in den Ruhestand, von dem er noch nie etwas gehört hatte.
Auf einmal bemerkte er, wie sein Handy vibrierte und eilig zog er es aus der Tasche. Sicherlich war es Markus, der sich beschwerte, dass er so lange arbeitete. Allerdings sah er schon auf den ersten Blick, dass es nicht Markus war, der ihm eine Nachricht geschickt hatte, sondern Aaliyah. Sein Herz sank ihm in die Hose, als er den kurzen Text las, den sie geschrieben hatte.
„Hallo Papi! Papa färt mich jetz zu Mama. Ich freu mich aufs Wochen ende."
Er lächelte über die kleinen Rechtschreibfehler, allerdings bemerkte er keine Sekunde später, wie sein Blick von den Tränen in seinen Augen unscharf wurde. Eilig blinzelte er sie weg und überlegte, wie er sich nun verhalten sollte. Anscheinend hatte Matthias Aaliyah nicht davon erzählt, dass er sich aus dem Staub gemacht hatte, was ihn merkwürdig beruhigte. Er konnte nicht sagen wieso, aber wenn Matthias Aaliyah erzählt hätte, dass er nicht mehr wiederkam, dann wäre es doch irgendwie endgültig, oder? Wollte er, dass Matthias die Hoffnung aufgab? Er wusste es nicht. Oder er wollte es nicht wahrhaben, dass er derjenige war, der für den ganzen Stress sorgte.
Gleichzeitig schoss ihm auf einmal eine Idee durch den Kopf. Wenn Aaliyah schrieb, dass Matthias sie nach Hause fuhr, dann bedeutete das doch, dass er im Moment nicht zu Hause war und vermutlich auch eine Weile wegbleiben würde. Denn auch wenn er Aaliyah nur absetzen würde, schaffte Esra es immer, ihn in ein Gespräch zu verwickeln und ihn mindestens zwanzig Minuten am Zurückfahren zu hindern.
Auf einmal wurde er hektisch, denn er musste auf jeden Fall in die Wohnung zurück, sein ganzes Zeug inklusive seinem Dienstausweis war ja noch dort. Noch einmal zog er an seiner Zigarette, drückte sie in den Aschenbecher auf seinem Schreibtisch und schnappte sich seine Tasche.
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Slice of Life - L'Affaire
De TodoJonas ist vollkommen gestresst von der Arbeit, worunter nicht nur er leidet, sondern auch sein langjähriger Freund Matthias und dessen Tochter Aaliyah. Bei all dem Stress kommt das bevorstehende Wochenende in Frankreich ganz recht. Ein alter Schulfr...