Kapitel 67 - Matthias

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Matthias schreckte schweißgebadet hoch. Sein Herz pochte heftig gegen seine Rippen und er versuchte, sich zu orientieren. Er hatte geträumt und anscheinend war es schrecklich gewesen, aber er konnte sich nicht mehr daran erinnern. 

Schweiß rann seine Schläfe herunter und eilig wischte er sich mit der Hand durchs Gesicht. Ein Stöhnen entfuhr ihm, als er sich mühsam aufrichtete und ungeschickt das dünne Laken, das er als Decke benutzte, beiseite schlug. 

Grelles Sonnenlicht drang durch die Ritzen in den Rollläden und geblendet kniff er die Augen zusammen. Gerade als er sich erhob, klingelte sein Wecker. Das Geräusch war viel zu laut und schnitt sich durch seine Trommelfelle und hallte in seinem Kopf nach. Was war das nur für eine Nacht? 

Er fühlte sich absolut nicht erholt und auch wenn er sich auf den Tag mit seiner Tochter freute, graute es ihm davor, stundenlang durch den Zoo zu latschen. 

Endlich schaffte er es, den Wecker auf seinem Handy zum Verstummen zu bringen, doch als er genauer auf das Display sah, zuckte er unsanft zusammen. Jonas hatte gestern Abend angerufen. Und er hatte es nicht mitbekommen! Verdammt! Augenblicklich fingen seine Hände an zu zittern und unruhig fuhr er sich durch die Haare. Was sollte er nun tun? Ihn zurückrufen? Was hatte Jonas ihm sagen wollen? 

Matthias spürte, wie er auf seiner Unterlippe herumkaute, unfähig, eine Entscheidung zu treffen. Er beschloss, zunächst einmal duschen zu gehen, denn das würde hoffentlich seine Gedanken klären. 

Mit schweren Gliedern wankte er durchs Wohnzimmer in Richtung Bad, wobei seine nackten Füße ein klebriges Geräusch auf dem Laminat hinterließen. Er musste wirklich dringend duschen. 

Sein Handy legte er im Bad auf die kleine Ablage über dem Waschbecken, anschließend betrat er die Badewanne und stellte das Wasser an. Noch bevor es warm wurde, ließ er sich den Strahl über den Kopf laufen, sodass kleine Tropfen über seine erhitzten Wangen liefen. Er legte den Kopf in den Nacken und erzitterte, als sich eine Gänsehaut auf seinen Armen ausbreitete. 

Nur langsam klärten sich seine Gedanken und Erinnerungen an den vergangenen Abend drängten sich in sein Hirn. Jonas hatte ihm geschrieben. Ziemlich heiße Nachrichten sogar und er sah wieder das Bild vor sich, wie Jonas sich in der Dusche berührte. Matthias Körper reagierte sofort und auch wenn Jonas erst ein paar Tage weg war, verzehrte er sich nach ihm, als wären sie schon wochenlang voneinander getrennt. 

Panisch drehte er das Wasser auf ganz kalt, um sich abzulenken. All zu viel Zeit hatte er nämlich nicht mehr, bevor Esra ihn abholen kam. Kopfschüttelnd vertrieb er die eindeutig zweideutigen Bilder aus seinen Gedanken und duschte sich. Allerdings fiel es schwer, nicht an Jonas zu denken. Er hatte angerufen, mit ihm sprechen und seine Stimme hören wollen. 

Unwillkürlich beeilte er sich und kaum dass er aus der Badewanne gestiegen und sich ein Handtuch um die Hüften gewickelt hatte, griff er nach seinem Handy. Ohne weiter darüber nachzudenken wählte er Jonas Nummer. 

Gespannt lauschte er den Tuten und mit jeder Sekunde, die verstrich, beschleunigte sich sein Herzschlag. Könnte er nur mit Jonas sprechen, ganz in Ruhe. Allerdings meldete sich anstelle von Jonas nur seine Mailbox. Matthias schluckte und er entschied sich, ihm eine Nachricht zu hinterlassen. Er wartete, bis der Piepton ertönte, holte tief Luft und fing an zu sprechen.

„Hey, du hast gestern angerufen. Ich... ich habe es erst eben gesehen, tut mir leid. Aber ich fahre ja gleich mit Aaliyah in den Zoo, vielleicht können wir heute Abend telefonieren, wenn sie schläft? Oder willst du auch mit ihr reden? Ich melde mich später bei dir."

Erst nachdem er aufgelegt hatte, wurde ihm klar, dass er gar nicht gesagt hatte, dass er ihn liebte. Aber das wusste Jonas doch, oder? Kurz überlegte er, noch einmal anzurufen, entschied sich aber schließlich dagegen. Immerhin hatte er Jonas schon mehr als einmal geschrieben, dass er ihn liebte. 

Er legte sein Handy wieder auf die Ablage und machte sich fertig. Allmählich konzentrierte er sich auf Aaliyah, immerhin würde er mit ihr den Tag verbringen und sollte Esra nicht vollkommen durchdrehen, weil er sie durch irgendetwas zur Weißglut brachte, würde sie auch hier übernachten. 

Mit einem Seufzen verließ er das Bad, ging zurück ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen und setzte anschließend die Kaffeemaschine in Gang. Sein Blick wanderte wie automatisiert zum Balkon, wo all zu oft Jonas saß und rauchte. Aber sein Platz war leer. Eine ungewohnte Leere breitete sich in ihm aus die er eilig mit viel zu heißem Kaffee füllte. 

Hoffentlich würde Jonas bald zurückkommen. Aber die Nachrichten gestern Abend und auch sein Anruf stimmten ihn zuversichtlich. Ja, sie würden über alles ganz in Ruhe reden müssen und vielleicht würde seine Enttäuschung über Jonas Fehltritt noch einmal zum Vorschein kommen, aber er wollte die letzten Tage vergessen und am liebsten da weiter machen, bevor Jonas nach Frankreich aufgebrochen war. 

Seufzend nahm er den letzten Schluck Kaffee aus seiner Tasse, schnappte sich einen schon ein wenig verschrumpelten Apfel und biss hinein. Nicht, dass er sonderlich viel Auswahl zum Frühstück gehabt hätte, denn es wurde nun wirklich dringend Zeit zum Einkaufen. Vielleicht könnte er Esra vorschlagen, auf dem Rückweg vom Zoo noch kurz beim Supermarkt anzuhalten. 

Gerade als er die Apfelkitsche in den Mülleimer warf, klingelte es. Ein wenig vorfreudig eilte er zur Tür, schlüpfte in seine Schuhe und schob sein Portemonnaie und den Schlüssel in die Hosentasche, bevor er die Wohnung verließ. Beschwingt lief er die Treppen nach unten und erkannte schon Aaliyah draußen vor der Tür, als er den letzten Treppenabsatz betrat. Sie winkte aufgeregt und er bemerkte, dass sie das süße weiße T-Shirt mit dem bunten, mandala-ähnlichen Elefanten darauf trug, dass er ihr zu ihrem letzten Geburtstag geschenkt hatte. Er beeilte sich, die Haustür zu öffnen und breitete die Arme aus. 

„Hey du!", begrüßte er sie, als sie sich in seine Arme schmiss, als hätten sie sich ewig nicht gesehen. Er drückte sie an sich und küsste sie auf die Wange, bevor sie ganz aufgeregt nach seiner Hand griff und ihn in Richtung Esras Auto zog, das in zweiter Reihe am Straßenrand stand. Er beeilte sich und stieg auf der Beifahrerseite ein, während Aaliyah hinter ihm in ihren Kindersitz kletterte. 

„Hey", sagte er zu Esra, während er schwungvoll die Tür zuzog. Esra lächelte und hielt ihm die Hand zu einem High-Five hin. Er schlug ein, musterte sie aber einen Moment lang. Sie hatte wirklich eine Menge durchmachen müssen in den letzten Tagen, dennoch wirkte sie heute ungewöhnlich fröhlich. Ihre dunklen Locken trug sie wie üblich offen und sie trug wieder eine dieser längs gestreiften, flattrigen Hosen. Heute ein Exemplar in Grüntönen, dazu ein dunkelgrünes Top. 

„Hoffentlich gibt es im Zoo keinen Wald, denn da finden wir Mama nie wieder so gut wie sie getarnt ist", rutschte es ihm heraus und eilig warf er einen Blick zu Aaliyah, um Esras strafendem auszuweichen. Aaliyah lachte und auch Esra gluckste, wenn auch eindeutig widerwillig. 

Endlich fuhr sie los, wendete mitten auf der Straße, um zurück zur Hauptstraße zu kommen und beschleunigte. Das Radio lief leise im Hintergrund, so leise, dass sie es eigentlich auch hätte ausschalten können. 

Matthias wandte den Blick zu ihr und betrachtete sie einen Moment, wie sie konzentriert auf die Straße sah. Sie wirkte glücklich, zumindest dem Funkeln in ihren Augen nach zu urteilen. Auf einmal spürte er das drängende Bedürfnis, sie in den Arm zu nehmen. Sie hatte so viel Stress in ihrem Leben, weil sie sich immer und immer wieder auf die falschen Typen einließ, ihn eingeschlossen, und schaffte es dabei immer noch, eine tolle Mutter zu sein. 

„Das war ein Scherz, ich mag dein Outfit", griff er seien Aussage von vorhin wieder auf, woraufhin sie ihn für eine Sekunde lang ansah. 

„Danke", sagte sie und lächelte. 

„Papa? Warum kommt Jonas nicht mit?", fragte Aaliyah von hinten und er glaubte, eine Spur Enttäuschung in ihrer Stimme zu hören. Er wandte sich zu ihr um und schluckte schwer, gleichzeitig entging ihm Esras schüchterner, aber durchaus neugieriger Blick nicht. 

„Er ist doch in Frankreich, Mäuschen", sagte er, als hätte sie es nur vergessen. 

„War er da nicht schon letztes Wochenende? Wie lange bleibt er denn da?", fragte sie quengelig und tatsächlich stellte Matthias sich die gleiche Frage. 

„Er kommt bald zurück", wich er aus, drehte sich wieder nach vorn und flehte, dass Aaliyah nicht weiter nachhakte. Glücklicherweise schwieg sie, allerdings klebte nun Esras Blick auf ihm. 

„Alles okay bei euch?", fragte sie, was er mit einem viel zu schnellen Nicken beantwortete und panisch das Radio lauter drehte, um einem Gespräch zu entgehen. 

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