Matthias wollte nicht gehen. Es war bereits später Nachmittag, das Frühstücksbuffet hatten sie abgebaut und auch die bestellte Pizza hatten er, Diana, Louisa und Franziska sich schmecken lassen. Alle Akten waren sortiert und sie hatten ihre ganzen restlichen privaten Sachen eingepackt.
Nun stand er zusammen mit den anderen dreien unschlüssig da. Keiner von ihnen wollte anscheinend gehen, denn das würde der endgültige Abschied von seiner Arbeitsstelle sein. Verlegen schob er ein unsichtbares Steinchen mit dem Fuß hin und her, bis Franziska sich räusperte.
„Das war es also mit unserer Zweigstelle. Ich muss sagen, ich kann noch immer nicht wirklich fassen, dass das passiert. Und es tut mir wahnsinnig leid, denn ich habe wirklich gern mit euch zusammen gearbeitet", sagte sie und auch wenn es wie eine typische Ansage klang, die man immer in solchen Situationen bekam, rührten ihn diese Worte. Wie schon so oft an diesem Tag sammelten sich Tränen in seinen Augen, die er panisch wegblinzelte.
„Lasst euch noch mal drücken", platzte Diana heraus und kam schon mit ausgebreiteten Armen auf ihn und Louisa zu. Matthias legte den rechten Arm um Louisa, den anderen schlang er um Dianas Schulter, sodass sie in einer riesigen Gruppenumarmung da standen.
„Ihr habt alle meine Nummer, also gibt es keine Ausrede, dass ihr euch nicht mehr meldet", sagte Diana, die eindeutig am meisten litt. Immerhin hatte sie noch einen Job, er und Louisa nicht. Franziska ließ er außen vor, denn auch wenn er sie genau so lange kannte wie Diana, war sie als ihre Chefin nicht so vertraut wie die anderen beiden.
„Ich meld mich auf jeden Fall bei dir", hörte er Louisa sagen und auch er selbst machte ein zustimmendes Geräusch. Nach einer gefühlten Ewigkeit lösten sie sich wieder voneinander.
„Zeit für den Feierabend", verkündete Franziska, schnappte sich ihre schicke Handtasche und bedeutete ihnen, es ihr gleichzutun. Matthias eilte, gefolgt von den anderen, hinter den Tresen und kramte seine Tasche hervor und schwang sie sich über die Schulter.
„Und jetzt raus mit euch!", rief sie und scheuchte sie mit einer Handbewegung nach draußen. Matthias grinste, denn ohne ihre Ansage wären sie vermutlich noch Stunden hier geblieben. Matthias atmete tief durch, sog noch einmal die vertraute Luft ein, die immer ein wenig nach einer Mischung aus Bahnhofstoilette und viel zu lange nicht gewaschenen Klamotten roch und ließ noch einmal die Gedanken schweifen.
Tatsächlich hatte er sich eine Weile an diesen Geruch gewöhnen müssen, aber er arbeitete nun einmal mit Menschen zusammen, die auf der Straße lebten, Drogenprobleme hatten und auch sonst nicht gut im Leben zurecht kamen. Da roch der ein oder andere schon mal etwas streng, aber mit der Zeit hatte er sich daran gewöhnt.
Er dachte an die vielen lächelnden Gesichter der Leute, die ihr Leben wieder auf die Reihe bekommen hatten und auch an diejenigen, die es nicht geschafft hatten. Nicht nur einer war gestorben, hatte sich eine Überdosis verpasst oder einer war sogar mal von anderen Obdachlosen totgeschlagen worden. Er hatte viele Schicksale gesehen und einige davon positiv beeinflusst. Ja, er mochte die Arbeit mit Menschen und er konnte sich in diesem Moment nicht vorstellen, dass er irgendetwas anderes machen könnte.
„Komm schon", riss Louisa ihn aus seinen Gedanken und erst da bemerkte er, dass er stehengeblieben war. Sie zog an seinem Handgelenk und ließ es erst los, als sie draußen angekommen waren.
„Hattest du Angst, ich laufe wieder zurück und versteck mich auf dem Klo?", fragte er belustigt, was Louisa und auch Diana lachen ließ.
„Naja, für einen Moment lang sahst du so aus", erwiderte sie und setzte ein breites Grinsen auf.
„Also dann... Wir hören uns! Bald! Ganz bald!", rief Diana, verabschiedete sich mit einem Winken und ging die wenigen Meter bis zu ihrem Auto. Matthias wandte sich Louisa zu, die ein wenig bedröppelt aussah.
DU LIEST GERADE
Slice of Life - L'Affaire
RandomJonas ist vollkommen gestresst von der Arbeit, worunter nicht nur er leidet, sondern auch sein langjähriger Freund Matthias und dessen Tochter Aaliyah. Bei all dem Stress kommt das bevorstehende Wochenende in Frankreich ganz recht. Ein alter Schulfr...