Kapitel 54 - Jonas

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Der nächste Morgen kam viel zu schnell. Jonas fühlte sich unausgeruht und übermüdet, als sein Wecker klingelte. Blind tastete er nach seinem Handy, das unter sein Kissen gerutscht war und schaltete eilig das nervtötende Geräusch aus. Neben sich hörte er die Decke rascheln, gefolgt von einem Gähnen. 

Jonas schluckte, denn als er Markus friedliches Gesicht sah, wurde auf einmal sein Herz schwer. Nicht, dass er jemand anders neben sich im Bett erwartet hatte, aber es fühlte sich dennoch ganz ungewohnt an. 

Kopfschüttelnd versuchte er seine Gefühle beiseite zu schieben und langsam erhob er sich. Er schlurfte ins Bad, stützte sich am Waschbecken ab und betrachtete sich für einen Moment im Spiegel. Sofort bereute er es, denn Schuldgefühle prasselten auf ihn ein. Er hatte Matthias verlassen. Ohne ihm wirklich die Chance zu geben, zu verstehen, was in ihm vorging. Und er hatte ihn geküsst. 

Hastig drehte Jonas das kalte Wasser auf und spritzte sich eine Ladung davon ins Gesicht, in der Hoffnung, er könnte Matthias so vertreiben. Natürlich klappte es nicht und auf einmal spürte er, wie seine Augen anfingen zu brennen und sich eine einzelne Träne über seine Wange stahl. Es kam ihm vor, als hätte er in den letzten Tagen mehr geweint als in den letzten zehn Jahren und das nur, weil er fremdgegangen war. Denn das war doch sein eigentlicher Fehler gewesen. Dass danach immer und immer mehr nach dazugekommen waren, machte es auch nicht besser. 

Mühsam riss er sich zusammen, wischte sich die Tränen von den Wangen und beschloss, eine schnelle Dusche zu nehmen. Er zog sich aus, öffnete die kleine Duschkabine und trat hinein. Als er das Wasser aufdrehte, prasselte es die ersten Sekunden eiskalt auf seinen Kopf. Ein Keuchen entfuhr ihm, aber endlich schaffte er es, Matthias aus seinen Gedanken zu vertreiben. Immerhin musste er gleich zur Arbeit und dort durfte er sich keine Unaufmerksamkeit erlauben. 

In Windeseile duschte er, putzte sich die Zähne und verließ nur mit einem Handtuch um die Hüften das Bad. Markus lag noch immer im Bett, ihm den Rücken zugewandt. Sein Atem ging ruhig und gleichmäßig, also schien er noch zu schlafen. Möglichst leise zog Jonas sich an, schnappte sich seinen Rucksack und verließ das Hotelzimmer. 

Kaum dass er unten auf den Parkplatz ins Freie trat, atmete er erleichtert auf. Es kam ihm vor, als wäre er aus Markus viel zu enger Umklammerung entkommen und hatte nun ein wenig Zeit für sich. Denn auch wenn Markus es am liebsten so haben wollte, war eine Trennung nach einer so langen Beziehung alles andere als leicht. Nicht, dass Jonas sich erlauben durfte zu trauern, immerhin war er allein dafür verantwortlich, dass es so gekommen war, aber was das wirklich bedeutete, würde ihm wahrscheinlich erst nach und nach klar werden. 

Mit geübten Fingern fischte er eine Zigarette aus der Dose, die wie üblich in seiner Hosentasche steckte und zündete sie an. Gierig inhalierte er den giftigen Rauch, der jedoch seine Nerven ein wenig beruhigte. Er ging zu seinem Auto, warf seinen Rucksack auf die Rückbank und stieg ein. Sein Handy legte er in die Mittelkonsole, schaltete das Radio an und fuhr los. Es fühlte sich merkwürdig befreit an, Markus nicht neben sich sitzen zu haben und das erste Mal seit Tagen konnte er seine Gedanken so richtig kreisen lassen. Er hatte hier seine Ruhe, niemand redete ihm ins Gewissen. 

Seine Gedanken wanderten zu Matthias, wieder einmal, aber dieses Mal fühlte es sich nicht so quälend an, viel mehr ließ er die letzten Jahre noch einmal Revue passieren. Er war glücklich gewesen, nicht nur mit Matthias, sondern auch mit seinen Kindern. Aaliyah aufwachsen und Duygu erwachsen werden zu sehen hatte ihn doch mehr geprägt, als ihm vermutlich bewusst war und auf einmal vermisste er vor allem Aaliyah. Er war immer für sie da gewesen, hatte schon das ein oder andere Mal mit ihr geschimpft, als Matthias heillos überfordert gewesen und ihn hilfesuchend angesehen hatte. Er hatte mit ihr für Diktate gelernt, hatte mit ihr Fahrradfahren geübt und ihr beigebracht, wie man einen Handstand machte. Sie war ein tolles Mädchen und er hatte seine Rolle als Teilzeit-Stiefpapa nur zu gern eingenommen. 

Slice of Life - L'AffaireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt