Kapitel 77 - Matthias

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Matthias saß am Esstisch und aß ein Nutella-Toast. Er war noch ziemlich verschlafen, denn die letzte Nacht war nicht wirklich lang gewesen. Er hob den Blick und sah zu Jonas, der auf dem Balkon saß und rauchte. Gott, wie er diesen Anblick vermisst hatte! 

Immer wieder warf Jonas ihm schüchterne Blicke zu, die er mit einem Lächeln erwiderte. Irgendwie konnte er noch nicht so recht glauben, dass Jonas wirklich zu ihm zurückgekehrt war und was er noch viel weniger glauben konnte war, dass er ihm auch noch verzieh. Er war eigentlich noch nicht einmal mehr wütend. Verletzt, ja, aber nicht mehr wütend. 

Sicherlich würde er noch das ein oder andere Mal wehmütig werden und Jonas diese ganze Geschichte vorhalten, aber das änderte nichts daran, dass er diesen Mann liebte. Sie standen das gemeinsam durch, waren füreinander da. Das bedeutete doch viel mehr, als das Körperliche. Klar, die letzte Nacht war berauschend gewesen, aber viel wichtiger war, dass Jonas wieder da war. 

Kopfschüttelnd vertrieb er die gefühlsduseligen Gedanken, allerdings wollte sich einer nicht vertreiben lassen. Markus hatte Jonas versprochen, ihn zu heiraten. Natürlich wusste Matthias, dass Jonas davon träumte und sie hatten schon mehr als einmal über den Sinn von der Ehe im Allgemeinen diskutiert, aber nun war aus irgendeinem Grund ein kleiner Funke in Matthias erwacht. Vielleicht, ganz vielleicht, also wirklich nur ganz vielleicht, würde er Jonas diesen Wunsch irgendwann erfüllen. 

Ein Seufzen entfuhr ihm und er blickte noch einmal zu Jonas, der gerade seine Kippe in den Aschenbecher drückte. Er erhob sich, wischte sich unsichtbare Krümel von den Klamotten und betrat das Wohnzimmer. Er schlenderte zu ihm, drückte ihm einen Kuss auf den Kopf und schaltete das Radio ein, das hinter ihm auf der Arbeitsfläche der Küche stand. Es knisterte kurz, doch dann ertönte die weibliche Stimme der Nachrichtensprecherin. 

Jonas ließ sich neben ihm nieder, schnappte sich ebenfalls ein Toast aus der Tüte und zog das Nutellaglas zu sich. Allerdings hielt er abrupt inne und setzte sich aufrechter hin. Verwirrt sah Matthias ihn an, doch da begriff er, dass Jonas den Nachrichten im Radio lauschte. 

„Vergangene Nacht wurde der Tatverdächtige in der Mord- und Vergewaltigungsserie in Nordrhein-Westfalen verhaftet. Er konnte in Frankreich aufgegriffen werden und befindet sich aktuell in Untersuchungshaft", sagte die Frau und auch wenn Jonas nicht über die Arbeit mit ihm sprach, wusste Matthias, dass er dazu beigetragen hatte. Seine Gedanken rasten, denn... in Frankreich? 

„Ehm... du hast nicht zufällig nebenbei noch Verbrecher gejagt, oder?", fragte Matthias und sah ihn ungläubig an. Jonas senkte den Blick und Matthias wurde klar, dass er wohl ein Detail seiner Geschichte ausgelassen hatte. 

„Wir... wir waren ihm schon eine ganze Weile auf den Fersen und... ich habe ihn zufällig in Frankreich gesehen und meinen Chef informiert. Ich habe mit Markus gestritten, weil er nicht wollte, dass ich den Kerl beschatte. Da hat er mich geschubst und... naja, ich war außer Gefecht", erklärte er kleinlaut. 

Matthias starrte ihn an. Die ursprüngliche Version, die Jonas ihm erzählt hatte, war, dass er und Markus einfach nur gestritten hatten. Erschrocken schlug Matthias die Hand vor den Mund, denn ihm wurde wieder einmal bewusst, was genau Jonas arbeitete. Manchmal vergaß er, dass er sich den ganzen Tag mit Mördern, Vergewaltigern und Pädophilen herumschlug und mit Sicherheit ziemlich viele verstörende Dinge gesehen und gehört hatte. Aber weil er nicht wirklich mit ihm über seine Arbeit sprach, war ihm das die meiste Zeit gar nicht bewusst. 

„Gott sei Dank haben sie ihn noch erwischt", sagte Jonas und klang dabei merkwürdig verbittert, so als wäre es seine Schuld, wenn sie es nicht getan hätten. 

„Und du hast dazu beigetragen", sagte Matthias, den Stolz in seiner Stimme absichtlich nicht verbergend. Er legte Jonas eine Hand auf den Arm und lächelte ihn an. Dieser zuckte jedoch nur die Schultern. 

„Aber da draußen laufen immer noch zu viele ungestraft herum", gab er zurück. Matthias schluckte, nickte dann aber. 

„Weißt du, manchmal denke ich gar nicht mehr daran, was du auf der Arbeit alles sehen musst", sagte er, aber Jonas winkte ab. 

„Ich habe Wochenende, also Schluss mit der Arbeit!", lachte er, griff nach dem Nutellaglas und drehte den Deckel ab. Matthias nickte. 

„Du hast recht."

Plötzlich klingelte es. Matthias zuckte zusammen und sah verwirrt zu Jonas, der auf einmal ziemlich weiß geworden war. 

„Sag mal... Markus weiß doch nicht, wo du wohnst, oder?", fragte er vorsichtig, denn nach Jonas Erzählung war es diesem Typen absolut zuzutrauen, dass er einfach hier auftauchte. Jonas sah ihn entschuldigend an, doch da klingelte es noch einmal, rhythmisch und eindeutig irgendeine Melodie nachahmend. Matthias lachte. 

„Das wird Aaliyah sein", rief er aus, sprang auf und eilte zur Tür. Zur Sicherheit nahm er den Hörer der Gegensprechanlage ab und meldete sich mit einem Hallo. 

„Paaapaaaa!", rief Aaliyah und er hörte, wie Esra im Hintergrund lachte. Eilig drückte er auf und hängte den Hörer wieder auf die Station. 

„Es ist Aaliyah", rief er Jonas zu, öffnete die Wohnungstür und lauschte den aufgeregten kleinen Schritten. Als er Aaliyah sah, kam sie freudestrahlend auf ihn zu. Matthias bemerkte im Augenwinkel, wie Jonas sich zu ihnen gesellte. 

„Papi!", rief sie, drängte sich an Matthias vorbei und stürzte sich auf Jonas. Der fing sie gerade noch auf und drückte sie fest an sich. Erst da bemerkte er Esra, die ebenfalls mit nach oben gekommen war. 

„Hey", sagte er, was sie mit einem schüchternen Lächeln erwiderte. Jonas nickte sie zu. 

„Ich hab angerufen, aber... auf jeden Fall geht es ihr wieder besser und sie wollte unbedingt zu dir", erklärte sie und erst da fiel Matthias wieder ein, dass er sein Handy letzte Nacht auf lautlos gestellt hatte. 

„Okay. Ich kann sie heute Abend bringen", sagte er und dankbar nickte Esra. 

„Gut, dann viel Spaß heute", sagte sie, verabschiedete sich mit einem Winken und verschwand wieder. Matthias schloss die Wohnungstür und sah zu Aaliyah und Jonas, die herumalberten und versuchten, sich gegenseitig in die Rippen zu piksen. 

„Deine Tablette hat richtig gut geholfen!", rief Aaliyah atemlos, was Matthias grinsen ließ. Die Wunderheilkraft der TicTacs. Matthias ging ins Wohnzimmer, die beiden anderen folgten ihm, hörten aber mit ihrer Kabbelei nicht auf. 

Matthias beobachtete sie und verspürte ein glückseliges Gefühl in sich aufsteigen. Aaliyah brauchte Jonas, allein deswegen konnte er gar nicht mehr wütend auf ihn sein. 

„Papi, was ist denn mit deinem Kopf?", fragte Aaliyah auf einmal und hielt erschrocken inne. 

„Ach, ich bin ziemlich blöd gestolpert und habe mir den Kopf aufgeschlagen", antwortete er, warf aber für den Bruchteil einer Sekunde den Blick zu Matthias. Erschrocken sog Aaliyah die Luft ein. 

„Ist aber halb so wild. Tut gar nicht mehr weh", beruhigte er sie, allerdings schien sie keine Lust mehr auf Toben zu haben. 

„Können wir einen Film angucken?", fragte sie und sofort nickte Matthias. Nicht nur, dass die Vorstellung, wie sie alle drei zusammen auf dem Sofa saßen einfach nur schön war, sondern so hätte er auch genug Zeit, Jonas im Arm zu halten und ihm zu zeigen, dass er ihm verzieh. 

„Gute Idee!", pflichtete Jonas ihr bei und augenblicklich schwang Aaliyah sich über die Lehne aufs Sofa. 

„Pass auf, ein Verletzter reicht", rief Matthias, ließ sich ebenfalls auf dem Sofa nieder und legte den Arm auf der Lehne ab. Jonas verstand die Aufforderung und schmiegte sich eng an ihn. 

„Danke, dass du mir verzeihst", flüsterte er so leise, dass Aaliyah es nicht mitbekam. Matthias schlug für eine Sekunde die Lider nieder und küsste ihn auf die Wange. 

„Wir sind doch eine Familie", erwiderte er an seinem Ohr und auf einmal fühlte er wieder diesen kleinen Funken erwachen, Jonas auch auf dem Papier zu seiner Familie zu machen. Zu seinem Mann, mit dem Versprechen, für immer miteinander verbunden zu sein, für sich da zu sein und ein gemeinsames Leben zu führen. Aber das wäre eine ganz eigene Geschichte.

                                                      ENDE

Slice of Life - L'AffaireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt