Kapitel 19 - Matthias

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Es war mitten in der Nacht, vermutlich schon früher Morgen und noch immer lag Matthias wach im Bett. Nach Esras Anruf hatte er einfach nicht mehr einschlafen können. Schon seit mindestens zwei Stunden wälzte er sich von einer Seite auf die andere, aber es half nichts. 

Allmählich bekam er das Gefühl, dass er keine fünf Sekunden mehr hier liegen konnte, ohne durchzudrehen und er beschloss, ein wenig ins Wohnzimmer zu gehen. Er schnappte sich sein Handy und erhob sich mühsam aus dem Bett. Seine Glieder fühlten sich schwer und träge an, als er den kurzen Weg vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer ging und sich auf dem Sofa niederließ. Er legte sich auf den Rücken, platzierte sein Handy auf seiner Stirn und legte die Hände darauf. 

Er klickte den Entsperrknopf und schob es näher an seine Augen, was er sofort bereute. Das künstliche Licht schien sich in seine Netzhaut zu brennen und fluchend warf er das blöde Ding neben sich. Allerdings erkannte er, dass Jonas sich noch immer nicht gemeldet hatte. 

Irgendwie machte ihm das ein wenig Sorgen. Zwar wusste er, dass er gut angekommen war und dass er Spaß mit seinen Freunden hatte, aber es war schon komisch, dass er sich gar nicht mehr meldete. Meistens schrieb er dennoch zwischendurch, dass alles okay war, wünschte ihm eine gute Nacht oder schrieb, dass er ihn vermisste. Matthias seufzte, griff noch einmal nach seinem Handy und tippte eine Nachricht an ihn. 

„Ist alles okay?", fragte er nur, bemerkte aber, dass seine Nachricht nicht durchkam. Entweder hatte Jonas kein Internet, was in diesem kleinen französischen Kaff durchaus möglich sein konnte, oder sein Akku war leer. Noch eine geschlagene Minute starrte er auf sein Handy, als könnte er dadurch beeinflussen, ob Jonas Akku sich wieder wie von Geisterhand auflud. 

Genervt legte er sein Handy auf den kleinen Couchtisch, griff nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein. Er seppte eine Weile durch die Programme, aber nichts schien wirklich interessant zu sein. Mit einem Seufzen schaltete er den Fernseher wieder aus und griff erneut nach seinem Handy. Natürlich hatte Jonas sich nicht gemeldet und auf einmal überkam ihn das merkwürdige Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war. Noch einmal schwebte sein Finger über der Tastatur, aber es wäre sinnlos, eine weitere Nachricht zu schicken, die genauso wie die letzte nicht durchkam.

Allerdings blieb sein Blick auf einem anderen Name hängen. Oskar. Sein bester Freund, sein Zwilling im Geiste. Matthias grinste bei dieser Vorstellung, denn würde er das Sheila, seiner wahren Zwillingsschwester, sagen, wäre sie sicherlich beleidigt. 

Er klickte auf Oskars Namen und augenblicklich öffnete sich der Nachrichtenverlauf mit ihm. Die letzte Nachricht war von gestern. Tatsächlich schrieb er ziemlich viel Belangloses mit Oskar hin und her und er kontrollierte, wann er das letzte Mal online gewesen war. Um 4:55 Uhr. Das war vor vier Minuten gewesen. Matthias entschied sich, ihm eine Nachricht zu schreiben. Er meinte sich zu erinnern, dass heute Nachtschicht hatte, sodass er vielleicht ein wenig Zeit hatte, wenn er nicht gerade bei einem Einsatz war. Oskar arbeitet als Notarzt, eine Woche Nachtschicht, eine Woche Tagschicht und eine Woche frei. Noch einmal holte er tief Luft, dann schrieb er einen kurzen Text an Oskar.

„Jonas ist in Frankreich auf einem Geburtstag und er antwortet mir nicht. Ich mache mir ein wenig Sorgen."

Kaum dass Matthias die Nachricht abgeschickt hatte, färbten sich die kleinen Häkchen in der Ecke blau und er sah, wie Oskar eine Antwort eingab. Ungeduldig wartete er auf die Meinung seines Freundes. 

„Was genau macht dir Sorgen?", fragte er schlicht, was ihn zum Nachdenken brachte. Tja, was genau machte ihm Sorgen? Dass er mit Markus irgendetwas Dummes anstellte? Natürlich, darüber machte er sich immer Sorgen, wenn Jonas in Frankreich war. Aber realistisch betrachtet wusste er, dass Jonas nichts tun würde. Dafür liebten sie sich zu sehr und Jonas war nun wirklich nicht der Typ, der fremdging. 

„Keine Ahnung, ist nur so ein Gefühl", antwortete er und wartete wieder keine Minute auf eine Antwort. 

„Wegen seinem Ex? Glaubst du wirklich, dass Jonas das tun würde? Sei nicht albern."

Matthias Augen füllten sich auf einmal mit Tränen. Wahrscheinlich war seine Sentimentalität dem Schlafmangel und seiner Sehnsucht nach Jonas geschuldet. Er schniefte und wischte sich die Tränen mit dem Handrücken weg. 

„Hast recht. Ich spinn mal wieder rum. Aber es würde mich wirklich beruhigen, wenn er sich melden würde."

„Glaub ich dir. Aber mach dich nicht verrückt. Es ist schon alles in Ordnung."

Matthias fuhr sich noch einmal durch die Haare, anschließend über die Augen. Oskar hatte wirklich recht, er machte sich zu viele Gedanken. Wieso war er noch immer so unsicher, was Markus betraf? Vielleicht, weil er ein manipulativer Arsch war, beantwortete er seine Frage selbst. 

Kopfschüttelnd und leise vor sich hin brummend erhob er sich, denn auf einmal wurde ihm ziemlich heiß. Verfluchte Dachgeschosswohnung. Er ging zur Balkontür und öffnete sie. Sofort legte sich eine Gänsehaut auf seine Arme, denn draußen wehte eine angenehm kühle Brise. 

Er beschloss, sich ein paar Minuten draußen hinzusetzen, um sich ein wenig abzukühlen. Vorsichtig tastete er sich im Dunkeln bis zu einem der Stühle und ließ sich nieder. Sofort stieg ihm der beißender Geruch von Jonas Aschenbecher in der Nase und er rutschte ein Stück von dem kleinen Tisch weg, auf dem er stand. 

Das war wirklich Jonas einziger Makel, seine Raucherei. Und vielleicht seine oft unbegründete Eifersucht, auch wenn es damit in den letzten Jahren sehr viel besser geworden war. Nun schien er derjenige zu sein, der unbegründet eifersüchtig war. Eilig verdrängte er den aufkeimenden Gedanken an Markus wieder und streckte sich stattdessen. Er sollte wirklich noch ein paar Stunden schlafen, denn mehr als ein, zwei Stunden Schlaf hatte er bisher nicht bekommen. Allerdings fühlte er sich im Moment gleichzeitig müde und aufgekratzt, eigentlich keine gute Mischung, um zu schlafen. 

Er rutschte ein wenig in dem Stuhl hin und her, legte die Füße auf der Brüstung ab und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Eigentlich war es sogar ganz schön hier, sich den Sonnenaufgang anzusehen. 

Slice of Life - L'AffaireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt