Kapitel 40 - Jonas

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Jonas starrte ins Leere. Er hatte Markus Berührungen genossen, hatte ihm gesagt, dass er ihn liebte. Und nun spürte er nichts als Leere. 

„Hey, du grübelst", bemerkte Markus, auch wenn es im Zimmer dunkel war und er ihm den Rücken zugekehrt hatte. Jonas hörte, wie das Laken und die Kissen raschelten und keine Sekunde später spürte er Markus Hand sanft über seinen Rücken fahren. 

Er reagierte nicht darauf, denn er musste an Matthias denken. Daran, wie oft er ihn in den letzten paar Tagen hintergangen hatte. Wie viele Nachrichten und Anrufe er ignoriert hatte. Wie er nach Frankreich gefahren und einfach nicht zurückgekehrt war, ohne ihm irgendetwas zu erklären. Wie würde er sich wohl an seiner Stelle fühlen, wenn er nur wusste, dass er betrogen worden war und seitdem Funkstille herrschte? 

„Jonas", sagte Markus und fing an, an seiner Schulter zu rütteln. Er entwand sich seinem Griff, rutschte so nah an die Bettkante wie es ging und presste die Augen fest zusammen. Es war spät und er sollte dringend schlafen, immerhin musste er morgen fit sein, um weiter auf Paulchens Computer nach Beweisen für seine Abartigkeit zu suchen. 

„Ich muss schlafen", brummte er, aber natürlich ließ Markus nicht locker und rutschte auf seine Seite des Bettes, sodass er nun kaum noch Bewegungsfreiheit hatte. Markus Hand legte sich auf seine Schulter und fing an, seine verspannten Muskeln zu massieren. Tatsächlich tat es gut und Jonas entspannte sich ein wenig. Massieren konnte Markus wirklich gut. 

„Schatz, du musst mit mir reden. Du kannst nicht alles in dich hineinfressen, dann platzt du irgendwann. Schlaf dich aus, mach morgen auf der Arbeit krank und rede mit mir. Über deine Gefühle, deine Gedanken. Wenn ich dich glücklich machen soll – und glaub mir, dass will ich – musst du dich mir gegenüber öffnen", plapperte Markus, während er unablässig mit dem Daumen wohltuende Kreise auf seiner Schulter platzierte. 

Jonas entfuhr ein Seufzen. Natürlich hatte Markus recht, vorausgesetzt er ließ sich auf ihn ein. Vollkommen, nicht nur körperlich, denn das hatte er längst getan. Nur ein kleiner, nicht erlöschen wollender Funke in Form von Matthias brannte in ihm und verhinderte es. Vielleicht war das auch sein Verstand, denn sein Leben mit Matthias und den Kindern, wovon eines inzwischen erwachsen war, war wunderschön gewesen. 

Ja, sie hatten ihre Meinungsverschiedenheiten und er wusste, dass er es manchmal mit seiner Eifersucht übertrieb, aber all das war nichts, was sein Benehmen rechtfertigte. Nichts rechtfertigte, dass er Matthias vollkommen verzweifelt allein ließ, noch nicht einmal richtig mit ihm Schluss machte und hier mit einem anderen Mann im Bett lag. 

Auf einmal fühlte sich Markus Berührung alles andere als angenehm an und er wollte am liebsten davonrennen. Vorsichtig tastete er mit der Hand nach dem Lichtschalter der kleinen Lampe auf seinem Nachttisch und knipste sie an. Geblendet von dem unerwartet hellen Licht kniff er die Augen zusammen, während er sich aufsetzte. Er stemmte die Fäuste in die Matratze und drückte sich hoch. 

Seine Knochen knackten, als er in Richtung Badezimmer ging. Leise öffnete er die Tür, trat hinein und schloss sie wieder. Er hörte, wie die Leuchtröhre über dem Waschbecken sirrte und als er sich auf dem Waschbecken abstützte und sich im Spiegel betrachtete, schien das Licht unheimlich Schatten werfend in sein Gesicht. 

Seine Haut sah ungewöhnlich blass aus und auch wenn es draußen mehr als genug Sonne gab, wäre es vielleicht eine gute Idee, noch einmal ins Solarium zu gehen. Immerhin arbeitete er den ganzen Tag im Keller und in den letzten Wochen hatte er zu wenig Zeit, die natürliche Sonne auf der Haut zu genießen. Außerdem ging er schon so viele Jahre ins Solarium, dass es zur Gewohnheit geworden war. Vielleicht würde er morgen - oder besser gesagt: heute – nach der Arbeit einfach dorthin gehen und es sich ein wenig gutgehen lassen. 

Jonas riss den Blick von seinem Spiegelbild los, ging auf die Toilette und verließ wieder das Bad. Markus war inzwischen wieder auf seine Seite des Bettes gerutscht und hatte ihm den Rücken zugekehrt. Jonas schlich zum Bett, knipste die Nachttischlampe aus und krabbelte ins Bett. 

„Weißt du, ich gebe mir wirklich Mühe", sagte Markus und klang dabei eindeutig enttäuscht. 

„Ich weiß", erwiderte Jonas, erschrak aber von dem kratzigen Ton seiner eigenen Stimme. Eine Weile herrschte Stille. 

„Wenn du das hier alles nicht willst, dann sag es einfach. Bring mich zum nächsten Bahnhof und ich bin weg. Aber sei dir darüber bewusst, dass du dann zwei Herzen gebrochen hast."

Jonas fing an zu zittern. Markus Geplapper brachte ihn noch um den Verstand. 

„Ich muss schlafen. Kannst du bitte einfach mal die Klappe halten?", rutschte es ihm heraus, presste sich aber sofort die Hand auf den Mund. So patzig wie es geklungen hatte, war es gar nicht geplant gewesen. Markus räusperte sich, rutschte ein wenig hin und her und schwieg. Und schwieg. 

„Entschuldige, ich wol..."

„Schon okay. Ich halte den Mund. Schlaf dann auch und laber mich nicht voll."

Jonas schluckte, gehorchte aber. Er legte sich möglichst gemütlich hin, schloss die Augen und versuchte angestrengt, einzuschlafen. Plötzlich sammelten sich Tränen in seinen Augen. Wieso machte er immer nur alles kaputt? War es wirklich so schwer, sich zusammenzureißen und sich ein wenig Mühe in einer Beziehung zu geben? 

Seine Hand wanderte wie von allein zu seinem Handy und als er es in die Hand nahm, zuckte er zusammen. Das kleine Messengersymbol war eindeutig zu erkennen. Panisch warf er einen Blick über die Schulter, aber Markus hatte ihm noch immer den Rücken zugewandt. Mit zitternden Fingern öffnete er den Messenger und sofort beschleunigte sich sein Herzschlag. Natürlich war die Nachricht von Matthias. 

„Warum tust du mir das an? Ich weiß nicht, was ich noch tun soll. Ich bin verzweifelt. Bitte rede mit mir, erklär mir, was das alles soll. Warum du das tust."

Jonas glaubte, ein Abgrund würde sich unter ihm auftun und er stürzte in eine bodenlose Tiefe. Matthias. Er würde ihm nicht so oft über den Mund fahren, wie Markus es tat. Bei ihm würde er keine Hemmungen haben, einfach das auszusprechen, was er dachte und er würde ganz sicher nicht auf Schritt und Tritt überwacht werden. 

Vor wenigen Minuten war diese Nachricht eingetroffen und vielleicht war Matthias noch wach und würde seine Nachricht lesen, vorausgesetzt, er antwortete ihm. Jonas kaute unsicher auf seiner Lippe. Noch vor einer Stunde hatte er Markus gesagt, dass er ihn liebte. Nun sehnte er sich nach Matthias. 

„Schatz, was machst du da?", fragte Markus, der auf einmal halb über ihm lehnte und auf sein Handy sah. Erschrocken zuckte Jonas zusammen, sperrte seinen Bildschirm und legte sein Handy auf den Nachttisch. 

„Er hat dir Nachrichten geschrieben? Und du wolltest ihm antworten?", fragte Markus tonlos. 

„Nein, ich... ich meine, ich weiß nicht, was ich ihm schreiben soll", rutschte es ihm heraus und obwohl es dunkel im Zimmer war, spürte er Markus anklagenden Blick auf sich. 

„Das finde ich echt daneben von dir. Du verbringst die letzten Tage mit mir, sagst mir, dass du mich liebst und jetzt willst du auf seine verzweifelten Nachrichten antworten? Echt Jonas, du bist der Wahnsinn!", empörte Markus sich, schnaubte verächtlich und schnalzte mit der Zunge. Jonas fühlte sich augenblicklich schlecht. 

„Wenn du mir weiter die ganze Zeit Vorwürfe machst und mir nicht mal zwei Minuten Zeit gibst, meine ganzen Gefühle zu sortieren, wie soll ich mir dann klar darüber werden, was ich will?", gab er zurück, allerdings plusterte Markus sich nur noch mehr auf. 

„Wie bitte? Du weißt nicht, was du willst? Sagst du einfach so daher, dass du jemanden liebst? Springst du mit jedem direkt in die Kiste, der dir schöne Augen macht? Bist du echt so einer geworden?"

Jonas schwieg. Das war doch alles lächerlich. 

„Ach, der feine Herr antwortet nicht mehr. Fantastisch. Also wirklich, du benimmst dich wie ein Kind. Aber nur zu, schmoll ruhig. Wenn du wieder erwachsen geworden bist, sag Bescheid", fuhr Markus fort, drehte sich um und setzte zum zweiten Mal zu einem beleidigten Schweigen an. Hoffentlich hielt er es dieses Mal durch. 

Natürlich schmerzten seine Worte, aber Jonas entschied um des Schlafes willen dafür, es dabei zu belassen. Er kniff fest die Augen zusammen und zwang sich, die Gedanken einfach durcheinander wirbeln zu lassen, damit er bloß nicht auf die Idee kam, sich mit einem zu sehr zu beschäftigen und sich selbst so vom Einschlafen abzuhalten. 

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