Kapitel 17 - Matthias

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Ein Surren direkt neben seinem Gesicht riss Matthias aus einem unruhigen Schlaf. Nur mit Mühe schaffte er es, die Augen zu öffnen, allerdings fühlte es sich an, als hätte er keine Stunde geschlafen. 

Als er allmählich die Augen auf bekam und sich umsah, bemerkte er, dass es stockdunkel im Schlafzimmer war. Durch die Ritzen in den Rollläden drang kein Licht herein und er fühlte sich noch so erschlagen, dass es unmöglich schon Morgen sein konnte. 

Er suchte nach seinem Handy, das zweifelsfrei die Quelle des störenden Geräuschs war und er fand es schließlich unter seinem Kissen. Er kramte er hervor und bemerkte, dass er einen verpassten Anruf hatte. Kurz schlug sein Herz schneller und er dachte an Jonas, der nach einem langen Abend noch kurz versucht hatte, ihn zu erreichen. 

Aber seine Erwartung wurde nicht erfüllt, denn der Anruf war von Esra gewesen. Beinahe genervt verdrehte er die Augen, denn auch wenn es schlimm war, was ihr zugestoßen war, sollte sie bloß nicht denken, er würde deswegen mehr Zeit als bisher mit ihr verbringen. Vielleicht war er da ein wenig kaltherzig, aber er hatte wegen ihr schon so viel Ärger gehabt, das wollte er sich nicht mehr antun. 

Bevor er Esra zurückrief, klickte er noch einmal das Nachrichtenprogramm an und kontrollierte, ob Jonas sich inzwischen gemeldet hatte. Allerdings schwieg er, noch nicht einmal gelesen hatte er seine Nachricht. Matthias schluckte schwer, schob aber seinen gekränkten Stolz beiseite. Sicherlich meinte Jonas es nicht böse und würde sich morgen spätestens melden, wenn er losfuhr. 

Er blinzelte den letzten Schlaf aus den Augen und klickte auf Esras Namen. Auch wenn er nicht wirklich Lust hatte, mit ihr zu sprechen, kam es ihm falsch vor, sie in diesem Moment allein zu lassen. Schon nach dem ersten Klingeln nahm sie ab. 

„Danke, dass du zurückrufst", sagte sie leise und gedämpft und automatisch drängte sich das Bild vor seinem inneren Auge auf, wie sie unter der Decke in ihren Krankenhausbett saß und leise in ihr Handy flüsterte. 

„Alles okay?", fragte er und bemerkte erst da, wie kratzig seine Stimme klang. Eilig räusperte er sich. 

„Habe ich dich geweckt?", fragte sie erschrocken, was Matthias mit einem Schweigen beantwortete. Sie sollte sich deswegen nicht auch noch Vorwürfe machen. 

„Ich... ich weiß eigentlich gar nicht, warum ich angerufen habe", stotterte sie, woraufhin Matthias für einen Moment genervt die Augen schloss. Er kam sich schlecht vor, dass er so schnell genervt von ihr war, aber so war es nun einmal. 

„Kein Problem. Du solltest schlafen", versuchte er, das Gespräch zu beenden, allerdings schniefte sie auf einmal. Matthias fuhr sich durch die Haare, schwang die Beine aus dem Bett und setzte sich auf. 

„Was ist?", fragte er ein wenig zu unfreundlich, dennoch verfehlte es seine Wirkung nicht. 

„Er... er hat mir Vorwürfe gemacht, dass ich Schuld daran bin, dass das alles passiert ist", sagte sie, wieder gefolgt von einem Schluchzen. Matthias brauchte einen Moment, bis er begriff, dass sie den Vater des Kindes meinte. Ein dicker Kloß bildete sich in seiner Kehle, denn wieder einmal hatte Esra nicht wirklich ein gutes Händchen bewiesen, was Männer anbetraf. 

„Hey, du weißt, dass es nicht deine Schuld ist. Lass dir das bloß nicht einreden", sagte er sanft. Esra wimmerte leise. 

„Ich... ich weiß nicht, ob... ob ich noch mit ihm zusammen sein will", fuhr sie fort. Matthias schüttelte den Kopf. Wollte sie etwa Beziehungstipps von ihm? 

„Esra, damit kann ich dir nicht helfen und ich will es auch nicht. Wenn du ihn liebst, dann sei mit ihm zusammen und wenn nicht, dann nicht", fuhr er sie an und war versucht, einfach aufzulegen, brachte er aber doch nicht übers Herz. Einen Moment lang schwieg sie.

„Okay, du hast recht. Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe. Ich werde nicht wieder anrufen", sagte sie und bevor er noch etwas dazu sagen konnte, hatte sie aufgelegt. 

„Diese Frau macht mich wahnsinnig!", rief er aus, warf sein Handy auf den Nachttisch und legte sich wieder hin. Manchmal wünschte er sich, Esra niemals kennengelernt zu haben. Wäre er doch nur zu Hause geblieben, anstatt für seinen Vater in dem türkischen Supermarkt etwas einzukaufen, der ihrer Familie gehörte und in dem sie hin und wieder aushalf, obwohl sie erst vierzehn gewesen war. Hätte er sich nur nicht so schnell und so heftig in sie verliebt, dass er ohne darüber nachzudenken, mit ihr geschlafen und sie so geschwängert hatte. 

Wütend auf sich selbst drehte er sich auf die andere Seite. Er konnte sie ja auch verstehen und objektiv gesehen war sie schon ganz in Ordnung. Nur nervte ihr Geklammere tierisch und auch wenn sie schon einige Jahre lang nichts mehr versucht hatte, war ihm klar, dass ihr Herz für immer ihm gehören würde. Dabei waren sie gar nicht lang zusammen gewesen. Zwei kurze Beziehungen, die beide nicht wirklich schön geendet hatten. 

Allerdings würde er noch eine ganze Weile mit ihr zu tun haben, denn Aaliyah war erst neun. Bis sie mit ihrer Ausbildung fertig war, würde es noch eine ganze Weile dauern, allerdings freute er sich insgeheim, wenn beide seiner Kinder auf eigenen Beinen standen. Sicherlich wollte er sie weiterhin um sich haben, aber dieses notwendige Zusammentreffen mit Esra würde wegfallen. Sie erinnerte ihn nicht mehr überflüssigerweise an seine Wochenenden mit Aaliyah und dass er auch ja pünktlich Duygus Miete bezahlte. Als ob er es vergessen würde. Kopfschüttelnd vertrieb er Esra und sein nicht ganz so zuverlässiges früheres Ich aus seinen Gedanken und versuchte, noch einmal einzuschlafen.

Slice of Life - L'AffaireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt